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munkelte und prophezeite allerlei. Sicher war es Giovanni, den sie vorhin meinte. Giovanni als Meister auf der Bargada. Giovanni an seiner Stelle? Ein Fremder, ein armer Bursch? Es wäre vielleicht eine Lösung; er sei fleißig und tüchtig, hieß es. Aber der Gedanke war befremdlich und quälend, er verwarf ihn. Ratlos wollte er sich peinigender Grübelei hingeben, als er auf dem grünen Plan vor der Felsenspalte Bellinda sitzen sah. Sie lachte ihm fröhlich zu und winkte mit einem Strauß, den sie dort pflückte. Der Anblick seiner jungen Frau an diesem düsteren Ort lenkte ihn von den schweren Gedanken ab, doch nicht in freundlicher Art. Er brachte ihm neuen Ärger, den zu klären er sich die Mühe nicht nahm, aber er rief Bellinda unwirsch herbei. Sie erschrak über seinen Ton und sein finsteres Gesicht. Rasch sprang sie ihm entgegen. Schon besänftigt, legte er seinen Arm um ihre Schulter, sagte aber belehrend: «Nicht dort sitzen, es zieht dort.» Bellinda spürte, daß nicht Sorge um ihre Gesundheit es war, was ihn so barsch sein ließ. Es mußte etwas anderes sein, das ihn verdroß. Ihr Kopf erriet es nicht, aber ihr Herz.

      Sie schmiegte sich an ihn, innig und ohne Versuch, ihn durch Schelmereien umzustimmen, bereit, mit ihm zu tragen, was es sein mochte. In dankbarer Zärtlichkeit für ihr stilles Verstehen fand Bernardo sein Gleichgewicht wieder, und die letzten Stunden auf der Bargada verliefen ohne weitere Störung.

      So war es immer: Bellindas Fähigkeit, in jedem Augenblick so zu empfinden wie er, beruhigte ihn. Sie spürte rasch, wie ihm zumute war, und stimmte sich danach. Nie, daß sie etwas anderes wünschte als er, zu Spaß und Lachen aufgelegt war, wenn er ernst sein mochte, oder den Kopf hängen ließ, statt bei jungem Unfug mitzuhalten, wenn ihn danach gelüstete. Sie war sein reiner Wiederklang. Bei ihr durfte er jede Vorsicht vergessen, denn eher hätte sie sich selbst verletzt, als ihm weh zu tun.

      Oft reizte es ihn, diesen sanften, eifrigen Gehorsam zu prüfen, abzutasten, wo er sich in Widerspruch wenden mußte. Er fand den Punkt nicht. Weder ihr Glaube an ihn noch ihre Heiterkeit waren zu erschüttern. Sie scherzte noch wie ein kleines Mädchen, kicherte und lachte, bis ihr der Atem ausging, und über nichts, nur weil sie glücklich, weil sie verliebt war.

      Über ihre Ergebenheit und ihren frohen Sinn hinaus war diese Verliebtheit, in der sie sich ganz verlor, der tiefe Grund von Bernardos Glück. Er dachte oft und nie ohne Erbeben daran. Wenn er von der Arbeit heimkehrte, wartete Bellinda beim Waldbrunnen auf ihn. Sie hängte sich an seinen Hals, als hätten sie sich ein Jahr lang nicht gesehen. Daß sie, die Sanfte, so ungestüm sein konnte! Nach dem Essen, wenn alles in Ordnung gebracht war und Mutter Bice schlafen ging, stiegen sie in ihre Kammer hinauf. Das Kerzenlicht flackerte über die schön bemalte Decke und beleuchtete die Himmelskinder, die ihnen zulächelten. Am Morgen kam Bernardo oft zu spät, weil ihnen die Nacht nicht lang genug war. Ohne zu frühstücken, schwang er sich in Eile auf sein Rad und sauste den Rain hinunter. Mutter Bice schüttelte mißbilligend den Kopf. «Alles zu seiner Zeit, auch beten und frühstücken.» Sie fand die beiden wenig ernst für Eheleute. «Soll denn die Ehe ein Vergnügen sein, tagein, tagaus?» schalt sie. «Soll man nichts als sich küssen, wenn man zusammen ist? Ist das der Sinn des Ehestandes?» Als sie sich einst vor Bernardo solche Sprüche erlaubte, erwiderte er belustigt, ob sie denn der Meinung sei, der Ehestand habe ein Kreuz zu sein. «Vielleicht nicht gerade das», brummte sie, «aber wie ihr es auffaßt, kann nichts werden. Die Liebe allein tut es nicht.» Bellinda, vor Vergnügen kichernd, suchte die erboste Mutter zu besänftigen. «Wir sind jung, wir haben noch alle Zeit, ernst zu werden», spaßte sie, «und wie hast du es mit deinem Mann gehalten, als du in meinem Alter warst?»

      «Anders, ganz anders», eiferte rühmend Mutter Bice. «Dein Vater, doppelt so alt wie ich, war ein gesetzter Mann, als er mich zur Frau nahm. Keine Kindereien, keine Faxen! Nach seinem Willen und Gutdünken trug er mich über die Schwelle der Kammer, wie ein Kind. Ich fürchtete ihn … und so soll es sein.»

      «Über die Schwelle trug er dich?» fragte neugierig Bellinda.

      «Ja», betonte Mutter Bice, «über die hohe Schwelle, an welcher du später das Gehen lerntest. Du wolltest es alleine tun, wehrtest meine Hand ab, bis du hinfielst, eine Schramme im Kopf.»

      «Da war der Vater auch schon tot», schloß Bellinda mit Grabesstimme.

      Mutter Bice spürte den Spott heraus. Obschon ihr Unglück weit zurücklag, tat es ihr weh, so respektlos von der Tochter daran erinnert zu werden: «Sterben kann man, wannʼs ist. Dazu braucht man nicht alt zu sein.»

      Bellinda war es nicht recht, die Mutter im Übermut verletzt zu haben. Um sie aufzuheitern, griff sie nach ihrem oft erprobten Mittel: sie bat, ihr mehr aus ihrer Kindheit zu erzählen.

      «Was ist da zu erzählen?» lenkte die Alte ein. «Warst ein Kind wie alle andern, nur eigensinniger … Die Sache mit dem Luftballon … Ein Händler kam bis vor unsere Türe. Dutzende von Luftballons wallten wie eine bunte Wolke an seinem langen Stab. Du warst darüber närrisch vor Freude; wolltest einen Ballon haben. Ich mußte sparen und schlug dir den Wunsch ab. Du betteltest aber so lange und so schön, bis der Mann, ein alter bärtiger Kauz, einen loslöste und ihn dir gab, einen roten, ich weiß es noch. Ich schämte mich, das Geschenk von dem Unbekannten anzunehmen, und wollte ihn bezahlen. Er aber weigerte sich, die Batzen, die ich hervorklaubte, anzunehmen. Geschenkt sei geschenkt. Während wir noch zusammen stritten, was meinst du, was du tatest? Du öffnetest deine kleine Hand und ließest den Ballon fliegen, nicht aus Ungeschick, mit Fleiß, weil es dir gefiel, ihn in den Himmel steigen zu sehen. Du jauchztest, aber der gute Mann war böse, man sah es ihm an. Und ich schämte mich nun erst recht. Was blieb mir übrig, als das Geld wieder hervorzuziehen und es dem Manne, der es nun nahm, in die Hand zu drücken.» Bellinda kannte die Geschichte auswendig, sie hörte nur halb zu, bis Mutter Bice mit dem Satz endete: «Ja, du wirst sehen, was es heißt, ein Kind zu erziehen!»

      Nun, darauf freute sich Bellinda. Es dauerte ihr nur zu lange. Sie waren schon ein Jahr und mehr verheiratet, und nichts wollte werden. Sie stahl sich in die Kirche vor das Bild der Mutter Gottes, ihr Vorwürfe zu machen, die schönen Kinder, die Bernardo in die Mitte der Zimmerdecke gemalt hatte, winkten ihr vergebens. Sie wich ihren Freundinnen aus, die sie mit neugierigen Fragen in Verlegenheit brachten. Gerne hätte sie der Mutter ihre Besorgnis anvertraut, aber Trotz oder Scheu verschlugen ihr das richtige Wort. Wenn sie, in Zärtlichkeiten, Bernardo ihre Ungeduld verriet, lachte er sie aus, ein wenig Zeit sei ihnen zu gönnen, das Leben zu genießen, bevor ihnen die Last einer Familie auferlegt werde.

      Aber auch er war glücklich, als Zoe geboren wurde. Kaum war das Kind groß genug, drängte er, man möge mit ihm die Reise auf die Bargada unternehmen, es den Eltern zu zeigen, damit auch sie sich daran freuen könnten.

      Zoe war auf der Reise brav. «Ein Engel!» behaupteten mitreisende Frauen, die das niedliche Ding nicht genug bewundern konnten, «ein Schatz, ein Stern! Die Rosenwänglein, die Grübchen darin, die zwei weißen Zähnchen, die Ringellöckchen und die Augen, hast du die Augen gesehen? Goldbraun mit helleren Funken darin. Ein Wunder!» Das Kind lächelte freigebig im Kreise herum und verstand es, auch die Männer für seine kleine Person zu gewinnen, sogar einen mürrischen Alten, der abweisend in seiner Ecke saß, bis Zoe mit zierlichen Fingerchen ihm in den Bart fuhr und ihn ankrähte, daß er lachte. Ein Engel, ein Schatz, ein Stern! Bellinda strahlte, und Bernardo hatte alle Mühe, unter einer würdigen Miene sein Schmunzeln zu verstecken.

      Doch als er Zoe über die Schwelle der Bargada trug, fing sie an zu schreien, und je mehr Gesichter sich über sie beugten, desto wilder sträubte sie sich. Sie verlor den Atem vor Zorn, wurde blau im Gesicht und machte so zuckende Bewegungen – wie ein Fisch, fand Orsanna mißbilligend –, daß Bellinda sich mit dem Kind in eine Kammer einschließen und warten mußte, bis es schlief.

      «Das kleine Ding hat Kraft, sich zu wehren», bemerkte der Vater.

      «Es braucht sich doch gegen uns nicht zu wehren», ereiferte sich Or­sanna.

      «Wer weiß», warf Tomaso leicht hin und sah Bernardo mit einem halben Lächeln an.

      Bei jenem Besuch klagte der Vater zum ersten Male, er und die Mutter seien müde. Orsanna könne nichts Weiteres auf sich nehmen, sie trage schon genug, und die alte Giulia sei nicht mehr bei Sinnen, sie zähle nicht. Taglöhner seien teuer und schwer zu finden, zu einem Knecht lange es nicht. Er erwähnte

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