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Er hatte sie nie anders als runzlig und zerfurcht gesehen, nun waren sie also so alt, so nah dem Tode …, wenn man es recht bedachte. Und dann, was sollte aus dem Hof werden? Schon jetzt wurde zurückgewirtschaftet. Was sollte erst später sein? Ein Mann fehlte, ein junger Mann, der arbeiten konnte und Augen im Kopf hatte, alles zu sehen. Dieser Mann war er. Er wußte es. Wer sollte den Hof übernehmen, wenn nicht er? So verstand es auch der Vater. Es klang deutlich aus seinen vorsichtigen Reden.

      Darüber geriet Bernardo in tiefste Mißstimmung. Was tun? Aber was tun? Mit Freuden hätte er nun Giovanni als Meister auf die Bargada ziehen sehen; er hätte ihn darum bitten mögen, mit erhobenen Händen. Aber es war zu spät. Es hieß, Giovanni heirate die blonde Alda, die ein Kind von ihm habe, einen Knaben. So war es mit dieser Lösung nichts. Eine andere fand er nicht. Es gab keinen Meister als ihn selbst, das war wohl klar. Und doch konnte er sich nicht entschließen, dem Vater zuzusagen, ihm zu versprechen, er trete an seine Stelle. Er wollte nicht, er wollte nicht! Und schließlich: Hatte er das Recht, Bellinda hierher zu versetzen? Was wußte sie vom Leben auf der Bargada? Sie fand es schön und gut, weil alle um sie herumtanzten, wenn sie zu Besuch kam, und es ihr schmeichelte, auf eigenem Grund und Boden zu stehen, sie, die immer nur zur Miete gewohnt hatte. Auch genoß sie es, den Augen der Mutter Bice, die nichts durchgehen ließ, entrückt zu sein. Sie ahnte nicht, und er hatte ihr nie angedeutet, daß das Leben hier schwierig war, und weshalb. Oft drängte es ihn, mit ihr darüber zu sprechen, doch wartete er wohl zu lange damit, das Wort gab sich nicht, es verdrehte sich ihm im Munde, und er sagte etwas anderes, als das, wozu er angesetzt hatte.

      Aus diesen trüben Betrachtungen riß ihn bald ein Streit mit seinem Meister. Rossi war zwar mit seinem jungen Arbeiter sehr zufrieden. Er überließ ihm auch schwierige Aufträge zu selbständiger Ausführung, und es schmeichelte ihm, daß es im Städtchen hieß, wer eine heikle Maler­arbeit zu vergeben habe, müsse sich an ihn wenden. Mochte Nerina sich nur ärgern! Doch ertrug er schlecht Bernardos mangelndes Interesse für Politik. Er zwang ihn gelegentlich, mit ihm eine Versammlung zu be­suchen, schon damit ihm seine Genossen nicht vorhalten konnten, er stelle einen Flauen ein, dann, weil es ihm nicht in den Kopf wollte, jemand könne gleichgültig bleiben in einer Sache, die ihm selbst wichtig war und für die er so hinreißend zu sprechen wußte. Daß Bernardo unberührt blieb, enttäuschte ihn, regte ihn auf. Wäre er offen im gegnerischen Lager gestanden, dann hätte man wenigstens gewußt, woran man mit ihm war, aber er ging auch nicht zur Kirche. Weiß Gott, für was er sich erwärmte!

      Nun war wirklich sonderbar, was Bernardo trieb, statt am Sonntagmorgen zur Messe zu gehen oder Versammlungen zu besuchen: er malte. Er versuchte richtige Bilder zu malen, auf Holz oder Leinwand, mit dünnen Pinselchen und feinen Farben aus Tuben, wie er es in Mailand Künstlern abgeguckt hatte. Die Tätigkeit fesselte ihn. Er vergaß oft darüber alles andere, so daß Bellinda sich deswegen beklagen mußte. Sie schmollte, wenn er es vorzog, mit seinen Malsachen auszuziehen, anstatt bei ihr zu bleiben und den Sonntag zu genießen.

      Er hatte damit begonnen, den Brunnen am Waldrand zu malen, eine Wäscherin daneben. Es gelang nicht übel. So fuhr er fort, malte den alten Turm, den Hof, die umliegenden Matten, Bäume, Berge. Solange er an der Arbeit saß, fühlte er sich beseligt. Er tiftelte, bis jedes Blättchen, jedes Gras so aussah, wie es sich gehörte. War das Bild fertig, befriedigte es ihn nicht. Es stimmte nicht mit der Wirklichkeit überein. Das Dargestellte war auf bedrückende Art leer, hohl, so, als müsse im nächsten Augenblick etwas hineinstürzen, als wäre das Gemalte eine Kulisse, wie sie im Theater auf der Bühne stand, nichts als Rahmen für eine Geschichte, die sich darin abzuspielen hätte. Aus jedem Haus, hinter jedem Baum hervor, vom Himmel herunter konnte es losbrechen. Unzufrieden stellte Bernardo das fertige Bild fort und begann ein neues, mit dem es ihm aber nicht besser erging. Doch zweifelte er nicht daran, mit der Übung geschickter zu werden.

      Nun waren Wahlen im Anzug. Der Kampf um die Kandidaten beherrschte schon seit Wochen das Leben der Männer. Rossi hatte seine große Zeit. Er warb im Lande herum mit seinen besten Reden und viel Lärm für den Mann seiner Partei. Es mußte dieses Mal gelingen, ihm genügend Stimmen zu sichern. Jede einzelne war wichtig, um jede einzelne wurde gekämpft. Um sie zu gewinnen, waren viele Mittel gut. Warum auch nicht? Der Zweck heiligte sie im voraus. Daß bei Bernardo keines dieser Mittel verfing, daß er weder auf feurige Worte noch auf Versprechungen aller Art antwortete, war stark, es traf Rossi wie eine persönliche Beleidigung. Er konnte sich das nicht bieten lassen. So nahm er sich Bernardo vor und sprach ihm ins Gewissen. Man könne doch nicht leben wie ein Tier, ohne sich für das Allgemeine zu interessieren; er müsse, wie jedermann, wissen, für wen er stimmen wolle, und da sei es doch klar, dass es für seinen Freund sei.

      Bernardo war nicht so gleichgültig, wie er schien und tat. In Mailand war viel unter seinen Kameraden debattiert worden, und er hatte mit feinen Ohren zugehört, wie sie sich über den Gang der Ereignisse und wie er zu lenken wäre, heiß redeten. Selbst trug er nichts zu den Gesprächen bei. Wurde er nach seiner Meinung gefragt, wich er aus, er verstehe nichts davon. Doch ordnete er das Gehörte zu guter Übersicht. Er dachte oft, die vielen großen Worte, die da gemacht wurden, um die Welt zu verbessern, versteckten nur schlecht kleinliche Interessen, es gehe weniger um die hohen Ziele, von denen die Rede sei, als darum, sich gegenseitig zu bekriegen und die Kastanien für sich selbst aus dem Feuer zu holen. Bei Versammlungen nun, in die Rossi ihn mitschleppte, wurde ihm das noch deutlicher. Wenn die einen oder andern sich für ­Menschenrechte einsetzten, meinten sie bloß die eigenen oder die der nächsten Anhänger, und diese Rechte ließen sich, so wollte Bernardo scheinen, rasch in Zahlen ausdrücken. Der ganze Betrieb war ihm wider­wärtig und langweilte ihn.

      Er fragte Rossi, wieso es klar sei, daß er für seinen Freund stimmen müsse. Er selbst habe doch mehr als einmal angetönt, der Mann habe Dreck am Stecken … Rossi war verblüfft. Konnte man so naiv sein? Er setzte Bernardo auseinander, daß das private Leben mit dem öffentlichen in keinem Zusammenhang stehe, daß sein Freund in seinem eigenen Hause und in seinem Geschäft tun und lassen könne, was ihm beliebe, daß es einzig darauf ankomme, einen Mann zu wählen, dessen Gesinnung felsenfest sei. Und das nun sei bei seinem Freunde der Fall. Hatte man ihn doch lange genug gestützt und getragen, ihm durch die Finger gesehen, seine Dummheiten gedeckt und was sonst; er war der Partei verpflichtet. Und hatte er einmal seinen Platz in der Behörde, dann …

      «Dann wird er die Dienste abzahlen müssen», fiel Bernardo lachend ein.

      Rossi wurde böse. Es lohnte sich nicht, mit diesem Esel da lange Sperenzchen zu machen. Er stellte es ihm kurzerhand anheim, so zu wählen, wie er es von ihm verlange, oder sich als entlassen zu betrachten.

      Bernardo biß die Lippen aufeinander. Er spürte, wie sie zitterten. Doch wartete er nicht lange und sagte: «Gut, ich lasse mich morgen auszahlen.» Unwillig über die Wendung, die die Sache nahm, flüchtete Rossi sich in Zorn. Er bewarf Bernardo mit Beschuldigungen, seiner Pflicht als Bürger nicht zu genügen, sich zu drücken, zu versagen, und schloß, als dieser schwieg, mit schnöden Verdächtigungen, er halte es eben doch, als Bauernsohn, mit den Reichen, den Gegnern, den Bösewichten. Er gehöre zu ihnen, und man werde es sich merken.

      Was nun? Schon längere Zeit spielte Bernardo mit dem Gedanken, sich selbständig zu machen. Er hatte etwas Erspartes. Bellinda war anspruchslos und fleißig. Sie verschwendete keinen Rappen. Mutter Bice selbst, eine Musterhausfrau, gab es zu. Ihre Erziehung trug eben doch Früchte. Bernardo durfte also den Übergang wagen. Nun kam ihm die Gelegenheit entgegen. Er mietete passende Räume im Städtchen, ließ Empfehlungskarten drucken und warf sich in das Unter­nehmen. Der Anfang war nicht leicht. Die beiden Malermeister, ­Nerina und Rossi, sahen es gleich ungern, daß sich ein Dritter niederließ. Wenn sie sich sonst bekämpften, hier begegneten sie sich, ja, sie schlossen sich zusammen, um gegen Bernardo zu hetzen: ein Fremder, ein Irgendwoher aus den Bergen, ein Junger, ein Niemand, der sich erfrechte, durch Konkurrenz ihre Existenz zu erschweren. Er würde es büßen müssen.

      Sie täuschten sich aber, wenn sie annahmen, Bernardo erhalte keine Aufträge. Viele waren nur froh, weder zu Nerina noch zu Rossi gehen zu müssen. Doch, entschloß sich einer, Bernardo eine Arbeit zuzuhalten, so weigerte er sich, den üblichen Preis dafür zu bezahlen. Bernardo sei frisch etabliert, er müsse entgegenkommen. Verlange er dasselbe wie die alten Firmen, könne man ebensogut zu ihnen gehen. Andere nahmen den Preis an,

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