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Geschichte in Film und Fernsehen. Thomas Fischer
Читать онлайн.Название Geschichte in Film und Fernsehen
Год выпуска 0
isbn 9783846346617
Автор произведения Thomas Fischer
Жанр Документальная литература
Серия Public History - Geschichte in der Praxis
Издательство Bookwire
DIE HIMMELSLEITER (D 2011), ANFANGSSZENE
Bild und Ton blenden auf, der Film beginnt: auf der visuellen Ebene wird bildfüllend eine Kirchenglocke sichtbar. Sie trägt die Inschrift „St. Peter bin ich genannt / schütze das deutsche Land / geboren aus deutschem Leid / ruf ich zur Einigkeit“. Die Kamera schwenkt langsam nach links, verliert die Inschrift aus dem Blick und erfasst aus der Perspektive des Glockenstuhls die Silhouette einer zerbombten Stadt. Ein breiter Fluss ist tief unten erkennbar, in dem über die gesamte Breite hinweg eine zerstörte Eisenbahnbrücke liegt. Während des Schwenks beginnt auf der auditiven Ebene ein Soundgemisch aus Windgeräuschen und einem hohem Geigenton, das nach wenigen Momenten in ein gesungenes Kirchenlied durchblendet. Auf der visuellen Ebene wird das Rätsel nach der Quelle des Gesangs durch eine Bildblende von der fernen Trümmerlandschaft in das nahe Kircheninnere geklärt. Die Trickkamera fährt durch den Glockenturm nach unten und erfasst nach einer weiteren Bildblende die Kirchengemeinde aus Richtung des Altars. Die ersten Reihen der Gemeindemitglieder werden vom rechten Seitenschiff hin zum Mittelschiff abgefahren. Alle Personen tragen Feiertagskleidung der 1940er Jahre. Die Kamera verlangsamt ihre Querfahrt und hebt aus der Gruppe zwei Frauen heraus. Auf der auditiven Ebene wird diese visuelle Fokussierung dadurch unterstützt, dass die Gesangsstimmen der Frauen aus dem Gesamtchor herausgehoben werden. Dann wechselt der Schauplatz. Auf der visuellen Ebene wird nun aus einer obersichtigen Perspektive die städtische Trümmerlandschaft in einer ‚Totalen‘ gezeigt. Auf der auditiven Ebene erklingt die Titelmusik. Der Titel des Films wird auf die Trümmerlandschaft geblendet: „Die Himmelsleiter. Sehnsucht nach Morgen“. Es folgt eine weitere Texteinblendung: „Nach einer wahren Begebenheit“. Auf der auditiven Sprachebene beginnt unmittelbar nach dem Titel eine Frauenstimme im rheinländisch eingefärbten Dialekt Voice-OverVoice-Over zu erzählen:
„Es war Sommer 1947 und der Krieg war seit zwei Jahren aus. Es war nicht so gelaufen, wie es gedacht war. Wir hatten zweihundertzweiundsechzig schwere Luftangriffe hinter uns, darunter den Tausendbomberangriff und die grausame Peter-und-Paul-Nacht. Mit den Trümmern konnten wir leben, aber wirklich schlimm war der Hunger. Unser Leben bestand aus Stehlen, Schmuggeln, Schachern und Hamstern, kurz ‚Fringsen‘. Denn unser Kölner Erzbischof, Kardinal Frings, hatte ja gepredigt, in der Not sei fast alles erlaubt, um seine Kinder durchzubringen. Aber sogar die Kinder selber mussten ran, zum ‚Rabatzen‘, sind mit Kupfer oder sonst was von Wert über die ‚Himmelsleiter‘ nach Belgien, um Kaffee einzutauschen. ‚Himmelsleiter‘, so haben sie den verminten Weg durch die Eifel genannt, weil er für viele direkt in den Himmel führte.“
Während des Voice-OverVoice-Over wird auf der visuellen Ebene ein von einem Trümmerberg heruntersteigender Junge sichtbar. Er hat ein geschminktes Karnevalsgesicht und versucht, sich eine ‚Kippe‘ anzuzünden. Beim Voice-Over-Wort „Fringsen“ erfolgt ein Umschnitt auf das Titelblatt der „Rheinischen Tageszeitung“, das ein Großfoto von Köln in Trümmern zeigt und so den Film als historische Erzählung beglaubigt. Die kleine dokumentarische Schnittfolge endet mit der Etablierung einer Szene: eine Menschenschlange steht an einem Milchgeschäft an. Die Frau, die bereits aus der Kirchengemeinde visuell und auditiv herausgehoben wurde, stellt sich mit einem kleinen Jungen dazu. Ein Dialog zwischen beiden beginnt, der sich mit dem Voice-Over mischt. Die Erzählstimme aus dem Off ist als Stimme der Frau in der Schlange zu identifizieren, offensichtlich die Protagonistin des Films. Es ist also ihre Geschichte, die aus ihrem Rückblick erzählt wird. Auf der auditiven Ebene geht das Voice-Over nun in szenische Dialoge über, entsprechend werden auf der visuellen Ebene szenische Handlungen sichtbar: das raumzeitliche Filmgeschehen nimmt seinen Lauf. Die Handlung hat längst begonnen, da gibt es noch einmal eine Texteinblendung: „Köln im Sommer 1947“. Dieser außerfilmische Hinweis stellt noch einmal heraus, dass die Erzählung sich auf Ereignisse beziehen will, die sich 1947 in Köln und Umgebung tatsächlich zugetragen haben sollen.
[22]Der Spielfilm „Die Himmelsleiter“ (D 2015) ist darum bemüht, bereits mit den ersten Bildern die Lebensbedingungen der Kölner Bevölkerung des Jahres 1947 wieder sichtbar zu machen und ‚tote‘ Geschichte in eine lebendige filmische Gegenwart zu verwandeln. Die eingeblendeten Texte und die Voice-OverVoice-Over-Erzählung zeigen schon im Vorspann an, dass der Film ein Geschichtsfilm sein und vergangene Ereignisse im Hier und Jetzt glaubwürdig darstellen will. Zu diesem [23]Zweck konstruiert er eine sicht- und hörbare historische Lebenswelt, in der Schauspieler tatsächliche, mögliche oder fiktive historische Personen darstellen und Ereignisse nachspielen, die sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen haben können.
Der sichtbare Raum
Die Trümmerwelt der Jahre 1947/48, in der der Film durchgängig spielt, symbolisiert nicht nur die innere Verfassung der filmischen Akteure, sondern steht sichtbar und ganz konkret auch für die vielen zerstörten Städte der Nachkriegszeit. Die Glaubwürdigkeit des Films, die in den Textinserts des Filmanfangs behauptet wird, hängt deshalb in starkem Maße auch davon ab, dass dieser zerstörte Lebensraum authentischAuthentizität, authentisch, Authentifizierung gestaltet wird. Daran hat sich das Filmteam tatsächlich gehalten, allerdings nicht in Köln, sondern im entfernten Prag, wo man die passendere Location und auch die Fachkräfte für den Aufbau einer historischen Szenerie fand: Skulpteure, Stuckateure, Oberflächengestalter, Maler, Schreiner, Schlosser und so weiter. Jerome Latour (2015), der Szenenbildner des Films, erklärt: „Die Arbeit an dieser Produktion unterteilt sich in drei wesentliche Blöcke. Zum einen haben wir diese unglaublich große Industriebrache gefunden – eine ehemalige Zuckerfabrik, die wir als Ausgangspunkt für zwei zerstörte Kölner Stadtteile genommen haben. Nach aufwendigen Erdbewegungs- und Sicherungsarbeiten an den Ruinen haben wir angefangen, unsere eigenen Pflastersteinstraßen zu verlegen. Häuserfassaden und Gebäudefragmente bis zum zweiten Stockwerk wurden in die bestehenden Ruinen eingefügt, drei bespielbare Sets wurden im Inneren errichtet, Bäume wurde gepflanzt, um auch die unterschiedlichen Jahreszeiten leichter erzählen zu können. Zum anderen haben wir ein komplettes Studioset gebaut, um das Innere einer ruinierten Wohnung besser und kontrollierter drehen zu können. Und der große dritte Block bestand darin, existierende Originalmotive zu finden, die wir entsprechend auf Zeitreise schicken konnten. Das heißt, eine geeignete Grundstruktur vorzufinden, die wir mit historischen Ausstattungsgegenständen glaubwürdig auf 1947/48 herrichten konnten.“ In diesen, nach Ansicht vieler Kritiker überzeugend gestalteten filmischen Schauplätzen, entwickelt sich die Handlung.
Die sichtbaren Personen
Die in historischen Spielfilmen sichtbaren Personen können historische Personen repräsentieren, zum Beispiel Bruno Ganz (Hitler) in „Der Untergang“ (D 2004) oder Christian Friedel (Elser) in „Elser“ (D 2015). In diesen Fällen sind die Ansprüche an AuthentizitätAuthentizität, authentisch, Authentifizierung hoch, weil es sich um Personen der ZeitgeschichtePersonen der Zeitgeschichte handelt, über die viel bekannt ist. Die Regisseure von „Der Untergang“ und „Elser“ haben deshalb auch immer wieder öffentlich bekundet, dass sie sich bei ihren Figuren [24]streng an die historischen Tatsachen gehalten hätten. Diesen Bekundungen ist allerdings nicht recht zu trauen, da die erzählte Vergangenheit, insbesondere dann, wenn sie inszeniert ist, die tatsächliche Vergangenheit niemals abbilden kann (→ Kap. 2.5). Deswegen setzen die meisten historischen Spielfilme auch auf fiktive Personen, die als Prototypen bestimmter historischer Konflikte oder gesellschaftlicher Gruppen auftreten. So etwa in dem Spielfilm „Unsere Mütter, unsere Väter“ (ZDF 2013), in dem alle Protagonisten zwar fiktiv sind, aber die Generation der 20-jährigen repräsentieren, die 1941 am Krieg gegen die Sowjetunion teilnahmen. Ihre Glaubwürdigkeit gewinnen die Protagonisten daraus, dass sie so agieren, wie viele Namenlose es damals tatsächlich taten. Entsprechend sind auch die Protagonisten in „Die Himmelsleiter“ konstruiert.
DIE HIMMELSLEITER (D 2011), PROTAGONISTEN
Anna Roth (Christiane Paul), eine tapfere dreifache Mutter und junge Großmutter, hofft auch zwei Jahre nach Kriegsende noch immer auf die Rückkehr ihres Mannes (Ernst Stötzner) aus einem Konzentrationslager, in das er während der NS-Herrschaft unter Mithilfe des ehemaligen NSDAP-Ortsgruppenführers Armin Zettler (Axel Prahl) verschleppt wurde. Zettler macht nach dem Krieg wieder Karriere, muss sich aber wegen