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seien und welche nicht (Erll 2008, 16). Erste Filmanalysen, die diese neue Fragestellung nutzbar machen, liegen vor. So wurden zum Beispiel die Filme „Das Leben der Anderen“ (D 2006) von Lu Seegers (2008) und „Luther“ (USA/D/GB 2003) von Carola Fey (2008) daraufhin befragt, welche Akteure und Medien an ihrer Entstehung beteiligt sind, wie und warum sie in die gesellschaftliche Diskussion geraten und wie der Diskurs außerfilmisch (also vor, während und nach der Kinolaufzeit) in begleitenden Medien als ein dynamischer, auf lange Dauer gestellter Prozess verläuft (Plurimedialität).

      Erzählweisen und Erzählstrukturen

      An audiovisuellen Erzählungen sind nicht nur die Sozial- und Kulturwissenschaften, sondern naturgemäß auch Film-, Literatur- und Erzählwissenschaft (Narratologie) stark interessiert. Als der Film um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aufkam, wurde er von der Literaturwissenschaft anfangs nicht ernst genommen, er galt als Volksvergnügen ohne größere kulturelle Bedeutung. Zudem war ja der Roman und nicht der Film das Hauptbetätigungsfeld der Literaturwissenschaft und Erzähltheorie. Es war deshalb auch die sich herausbildende Filmwissenschaft selbst, die dem Film seit den 1920er Jahren einen Kunststatus zusprach und ihn von den literarischen Formen des Erzählens radikal abgrenzte. Dabei verwies sie auf die Tatsache, dass das Medium ‚Film‘ völlig andere Zeichen benutzt, um sichtbare Welten darzustellen, als das Medium ‚Literatur‘, nämlich bildliche statt sprachliche Zeichen. Das Visuelle und das Literarische galten als unvereinbar; showing stand gegen telling, unmittelbares Darstellen im Film gegen mittelbares Erzählen im Text (dazu Bietz 2013, 81ff.). Während der literarische Text gewissermaßen aus ‚toten‘ Buchstaben besteht und wie eine ‚Partitur‘ gelesen wird, d.h. beim Lesen von den Lesern „zur Aufführung gebracht wird“ (Seel 2013, 120), ist der Film selbst eine Aufführung, die die Zuschauer in einen raumzeitlich strukturierten audiovisuellen Geschehensablaufs hineinzieht und diesen miterleben lässt. Die mediale Kluft zwischen Film und Roman schien unüberbrückbar. Erst seit ein paar Jahren versuchen einige Literaturwissenschaftler, Filmwissenschaftler [8]und Erzähltheoretiker wieder Brücken zwischen Film und Literatur zu schlagen, indem sie darlegen, dass beide Darstellungsformen eines gemeinsam haben: das Erzählen.

      Diese zuletzt von Christoph Bietz in seinem Buch über „Die Geschichten der Nachrichten“ (2013) vorgeschlagene transmediale Ausweitung des Erzählbegriffs von den Literatur auf das bewegte Bild und das vermittelnde Wort von Erzählstimmen im Film, führt damit auch den filmischen Erzähler wieder mit denen zusammen, die einer audiovisuellen Erzählung zusehen und zuhören, dem Publikum. Beide treffen sich im Erzählraum des Kinos oder vor dem Bildschirm im Fernsehzimmer. Der eine erzählt in Bild und Ton eine Geschichte, die zuvor vielleicht ein historischer Roman war, und die anderen verwandeln diese Bild-Ton-Geschichte wieder in mittelbare sprachliche Erzählungen, wenn sie zu Hause oder bei der Arbeit über das Filmereignis berichten.

      Die Erzähltheorie interessiert sich aber nicht nur für die unterschiedlichen Modi des Erzählens (visuell vs. literarisch bzw. szenisch vs. dokumentarisch), sondern auch für das Verhältnis von Erzählung und dem ihr zugrunde liegenden Ereignis. Es geht dabei um die Frage, ob und wie Geschichtsfilme die vergangene tatsächliche Welt abbilden bzw. darstellen können. Auch hier hat zuletzt Bietz erneut klargelegt, dass es keinem audiovisuellen Medium und keinem Erzähler gelingen kann, die äußere Welt unmittelbar, objektiv, geschweige denn vollständig abzubilden. Bietz zeigt das bei der Analyse aktueller Fernsehnachrichten unter erzähltheoretischen Gesichtspunkten. Das von ihm erprobte Analyseinstrumentarium wird in diesem Buch teilweise zur Systematisierung und Analyse von Geschichtsfilmen benutzt.

      Film und Geschichtswissenschaft

      Das Medium ‚Film‘ ist von der Historiografie jahrzehntelang nicht als ‚geschichtswichtig‘ angesehen worden. Erst in den 1970er Jahren gab es in Frankreich und England Interesse von Seiten der Historiker (Marwick 1974; Ferro 1975). In den 1980er Jahren hat dann Irmgard Wilharm eine geschichtsdidaktisch orientierte Auseinandersetzung mit dem Medium ‚Film‘ in die Geschichtswissenschaft eingeführt. Sie hat Geschichtsfilme nicht nur in ihrem Bezug zur tatsächlichen Welt befragt, sondern die erzählte filmische Welt auch quellenkritisch analysiert. Im Zentrum ihrer Analysen standen mentalitätsgeschichtliche Überlegungen: die Filmbilder und die durch sie vermittelten Aussagen wurden als Quellen für Bewusstseinslagen zeitgenössischer Lebenswelten interpretiert (Wilharm 2006). Auch Anton Kaes begann in den 1980er Jahren mit der Untersuchung von Geschichtsfilmen der deutschen Nachkriegsgeschichte, beschränkte sich aber, wie andere auch, hauptsächlich auf werkimmanente Interpretationen (Kaes 1987). Ein stärkeres Historikerinteresse an Geschichtsfilmen blieb aber aus, selbst [9]dann noch, als das Fernsehen in den 1990er Jahren zum Leitmedium der populären Geschichtsdarstellung wurde. Erst nach der Jahrtausendwende begann eine breitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Geschichte in populären Medien, allerdings noch nicht grundsätzlich und systematisch, sondern bezogen auf Teilaspekte.

      Untersucht wurde hauptsächlich die Darstellung der NS-Zeit im deutschen Nachkriegsfilm (so z.B. Bösch 2009; Vatter 2008), aber auch dem Mittelalter, der Antike und der Archäologie wurden Studien gewidmet (Meier/Slanička 2007a; Lochman/Späth/Stähli 2008; Gehrke/Sénécheau 2010). Der zweite Untersuchungsschwerpunkt bezog sich auf die Rolle von ZeitzeugenZeitzeugen in Geschichtsdokumentationen seit den 1980er Jahren (Keilbach 2003, 2005, 2008; Sabrow/Frei 2012). Dabei ging es einerseits um die Fragen der Glaubwürdigkeit und des Erkenntnisgewinns von Zeitzeugenaussagen, also um Zeitzeugen als Quelle, andererseits um die Zeitzeugen als Katalysatoren einer zunehmenden Personalisierung und Emotionalisierung von Geschichte im kollektiven, massenmedial gestützten Erinnerungsdiskurs der Gegenwart. Drittens nahmen sich die Historiker das Themenfeld der populären Darstellung von Geschichte in unterschiedlichen populären Medien (Zeitschrift, Comic, Film, Fernsehen, Internet) und Einrichtungen der Erinnerungskultur (Denkmäler, Museen, Ausstellungen etc.) vor. Barbara Korte und Sylvia Paletschek leisteten 2009 mit der Herausgabe des Sammelbandes „History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres“ einen wichtigen Beitrag zum Untersuchungsfeld der populären Geschichtskultur. Zeitgleich widmete sich auch die Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ in einem monothematischen Heft (3/2009) der populären Geschichtsschreibung. Wie diese populären Geschichtsmedien im Einzelnen genutzt werden und welche Wirkung sie entfalten, das ist allerdings noch ziemlich unklar. Viertens beschäftigt sich die Geschichtswissenschaft zunehmend auch mit den Fragen der historischen AuthentizitätAuthentizität, authentisch, Authentifizierung und ‚Objektivität‘ in audiovisuellen Geschichtsdarstellungen. Dabei ist man sich weitgehend darüber einig, dass es sich bei erzählter Geschichte, unabhängig davon, welches Erzählmedium genutzt wird, um Rekonstruktionen von historischen Welten handelt, die die tatsächliche historische Welt weder abbilden noch darstellen, sondern sie allenfalls repräsentieren. Je stärker die filmische Rekonstruktion dabei auf die Einarbeitung von historischen Quellen setzt (Archivbilder und -filme, Originaltöne, schriftliche Dokumente, ZeitzeugenZeitzeugen etc.), desto stärker erzeugt sie den Eindruck von AuthentizitätAuthentizität, authentisch, Authentifizierung und desto größer wird damit auch ihre dokumentarische Glaubwürdigkeit. Je weniger sie es tut und stattdessen auf Spielszenen baut, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen szenischer und dokumentarischer bzw. zwischen fiktionaler und faktualer Geschichtsdarstellung (Fischer/Wirtz 2008).

      [10]Die Flüchtigkeit der Filmbilder hat viele Historiker bis in die 2000er Jahre hinein davon abgehalten, adäquate Mittel und Methoden für die wissenschaftliche Analyse von Geschichtsfilmen mit explizit geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen zu entwickeln. Erst seitdem sich Geschichtsfilme problemlos von jedermann leicht aufzeichnen und speichern lassen, haben die Bemühungen zugenommen, audiovisuelle Geschichte generell und systematisch mit standardisierten Methoden zu analysieren. Dabei konnten die Historiker auf die große Erfahrung der Medienwissenschaft bei der Filmanalyse zurückgreifen, die seit langem genreübergreifend idealtypische Handlungsmuster in Drehbuch und Film sowie die typischen Rollenzuweisungen, Konfliktmuster und standardisierte Lösungen untersucht. Auf der Grundlage medienwissenschaftlicher Forschungen hat Annerose Menninger in ihrem Buch „HistorienfilmeHistorienfilme als Geschichtsvermittler“ (2010) erstmals ein ausgefeiltes und erfolgreich an zwei Kolumbus-Filmen erprobtes Analysemodell zur Verfügung gestellt. Sie untersucht dabei nicht nur Quellen und

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