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Erzählebenen genauer in den Blick nimmt: „Auf narrativer Ebene wird die Filmhandlung mit ihrer Erzählstrategie (Erzähler, chronologische Handlung oder Rahmenhandlung), ihrer Geschichte, Problematik und Aussage sowie den Akteuren (Held oder Antiheld, statische oder sich entwickelnde Charaktere) untersucht. Auf visueller Ebene werden Sequenzen und SchnittSchnitte sowie Blickpunkt, Einstellungen und Perspektiven, Wechsel und Fahrten der Kamera betrachtet. Ihr Einsatz hat entscheidende Bedeutung für das Filmerlebnis, die Filmspannung wie auch die Zeichnung handelnder Personen. […] Auf auditiver Ebene werden Sprachmittel (Monologe, Dialoge, Erzähler, Voice-OverVoice-Over), Geräusche (die erst eine natürliche Atmosphäre erzeugen) und Filmmusik (die die visuelle Ebene unterstützt) als dramaturgische Elemente ausgeleuchtet“ (Menninger 2010, 15).

      ‚Audiovisuelle Geschichte‘ ist ein Element des Visualisierungsschubs, der im 19. Jahrhundert mit der massenmedialen Nutzung von Fotografie, Illustration, Grafik in den Printmedien begann und sich mittels Film, Video, Computergrafik etc. immer weiter in der Gegenwart ausgebreitet hat. Als Folge dieses visual turn leben wir heute in einer Bilderwelt, die sehr viele gesellschaftlichen Erzähl- und Erinnerungsformen prägt. Die Geschichtswissenschaft beschäftigt sich seit einiger Zeit unter dem Label ‚Visual History‘ mit Bildern als historischer Quelle. Sie hat dazu neue Fragestellungen und Untersuchungsmethoden entwickelt.1 Dabei geht es allerdings in erster Linie um das Einzelbild, insbesondere um die Fotografie. Eine ‚Audio Visual History‘ als Forschungszweig der Geschichtswissenschaft steht noch in den Anfängen.

      [11]Weiterführende Literatur

      Erll/Wodianka Erll/Wodianka 2008a: Astrid Erll/Stephanie Wodianka (Hg.), Film und kulturelle Erinnerung: Plurimediale Konstellationen. Berlin, New York 2008.

      Hickethier 2010: Knut Hickethier, Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart, Weimar 20102.

      Paul 2006: Gerhard Paul, Visual History: Ein Studienbuch. Göttingen 2006.

      Menninger 2010: Annerose Menninger, Historienfilme als Geschichtsvermittler: Kolumbus und Amerika im populären Spielfilm. Stuttgart 2010.

      Straub 1998a: Jürgen Straub (Hg.), Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte. Frankfurt a.M. 1998.

      

      [13]2 Audiovisuelles Erzählen

      Die Welt steckt voller Erzählungen. Wir lesen und hören, wir verbreiten und erhalten Tag für Tag Erzählungen, die von gegenwärtigen und vergangenen Ereignissen handeln. Als gesellschaftliche Wesen brauchen wir nicht nur Erzählungen, sondern definieren wir uns auch über sie. Erzählen ist ein Lebenselixier, eine ständige Kräftigung und Verjüngung von familiären, sozialen oder nationalen Gemeinschaften. Erzählungen führen zwei Perspektiven zusammen, die des Erzählers und die des Zuhörers. Dieses Zusammenspiel ist unabdingbar für das Erzählen: Jede Erzählung entsteht, nimmt sprachliche Gestalt an, entwickelt Spannung und Tempo einzig und allein in Hinblick auf einen tatsächlichen oder imaginären Zuhörer. Und umgekehrt: jeder Mensch hört auf die Stimmen in seiner Umgebung, seien sie natürlichen Ursprungs (Familie) oder technischen Ursprungs (Massenmedien) in der steten Erwartung, es könne sich eine Erzählung entwickeln. Wenn etwas erzählt wird, geht es meistens um die Gegenwart, um das Hier und Heute. Neuigkeiten werden gehandelt, die all das enthalten, was uns Menschen persönlich gerade interessiert und aufregt und was wir gerne an andere weitererzählen. Dazu gehört neben dem alltäglichen Tratsch und Klatsch auch das, was an Besonderem in der Welt passiert, das, was die Nachrichten erzählen. Das ist nicht nur heute so, sondern gilt auch für die Vergangenheit. Bevor wir aber die audiovisuellen Geschichtserzählungen untersuchen, wollen wir uns in diesem Kapitel mit den audiovisuellen Nachrichtenerzählungen der Gegenwart befassen. Das hat zwei Gründe: Zum einen enthalten die Nachrichtenerzählungen bereits all jene grundlegenden Aspekte und Probleme, die auch bei den Geschichtserzählungen wieder auftauchen werden. Zum anderen liefern die Nachrichtenerzählungen den Grundstock für die meisten Geschichtserzählungen: Viele Ereignisse, von denen die Nachrichten heute erzählen, werden Jahre oder Jahrzehnte später in Geschichtserzählungen erneut zum Thema werden.

      Audiovisuelle Erzählungen gibt es erst seit knapp 100 Jahren. Sie setzen technische Medien voraus, die Bilder und Töne synchron aufzeichnen, speichern, verarbeiten und verbreiten können. Das begann Ende der 1920er Jahre mit dem Tonfilm, der im Kino als audiovisuelle Erzählung ‚lebendig‘ wurde. Heute sind es meist die digitalen Camcorder, die im Profi- und Amateurbereich zum Einsatz kommen und die Ereignisse nicht nur audiovisuell aufzeichnen, sondern auch direkt wiedergeben können. Bei den alten wie auch den neuen AV-Medien [14]befinden sich Bild und Ton auf unterschiedlichen, voneinander getrennten Ebenen (Spuren). Die visuelle Ebene speichert alle Bildquellen der sichtbaren Welt, zum Beispiel Landschaften oder Personen, aber auch Fotos, Texte, Grafiken. Die auditive Ebene speichert alle Tonquellen der hörbaren Welt, zum Beispiel Geräusche, Stimmen, Musik. Handelt es sich um Aufnahmen von professionellen Fernsehteams, dann werden diese durch Bild- und Tonprotokolle dokumentiert (Tag, Uhrzeit und Ort der Aufnahme; bei Interviews auch Namen der interviewten Person). Damit wird die Tatsächlichkeit des gefilmten audiovisuellen Ereignisses belegt. Genannt wird auch der Name des Kameramanns, weil er für die (technische) Bildqualität, die Einstellungen, die Perspektiven verantwortlich zeichnet und den Bildern seine ‚Handschrift‘ gibt. Da die filmischen Nachrichtenerzählungen der Gegenwart der Stoff für zukünftige Geschichtserzählungen sind, behalten auch die Bild- und Tonprotokolle ihre Bedeutung. Sie dienen dazu, das in Geschichtsdokumentationen verwendete Archivmaterial als authentisch zu deklarieren (→ Kap. 2.3.2).

      Ereignis und Erzählung

      Im Leben eines jeden Menschen spielen selbst erlebte oder medial vermittelte Ereignisse eine wichtige Rolle. Die als ,bedeutend‘ empfundenen Ereignisse werden vom Einzelnen verarbeitet, in dem dieser sie in seine sprachlich erworbenen Denk- und Erzählmuster einfügt. Diese Muster entsprechen in hohem Maße denen, die im jeweiligen sozialen und kulturellen Umfeld Verwendung finden. Solche Erzählmuster (Klischees, Stereotypen) erleichtern den Austausch von Erzählungen zwischen den Mitgliedern von Erzählgemeinschaften (Familie, Freundeskreise etc.). Und sie vereinfachen das Speichern von wissenswerten Dingen im Gedächtnis. Wenn wir Wirklichkeit wahrnehmen, deuten und schließlich erinnern, so die Kulturwissenschaftlerin Astrid Erll, „greifen wir auf kulturspezifische Schemata zurück, d.h. auf innerhalb von Kollektiven (Familien und anderen Gruppen, Gesellschaften usw.) standardisierte mentale Wissensstrukturen, die bestimmte Aspekte der Realität in abstrakter und generalisierender Form repräsentieren“ (Erll 2008, 12f.). Die wichtigen erlebten oder medial vermittelten Ereignisse werden im Verlauf des Lebens durch Erinnerung zu Merkposten der jeweiligen Lebensgeschichte.

      Auch das kollektive Gedächtnis speichert Ereignisse ab, die von sozialen Gruppen wahrgenommen und für wichtig erachtet werden. Wahrgenommen werden sie vor allem in den Massenmedien, und zwar meist als Nachrichtenerzählungen, die tagtäglich die wichtigsten Ereignisse des Weltgeschehens vermitteln. Um diese aktuellen Geschehnisse des öffentlichen Lebens aufzuzeichnen und audiovisuell bereitzustellen, sind weltweit tausende Reporter und Kameraleute im Auftrag von Nachrichtenredaktionen und -sendern zu den Schauplätzen des [15]Geschehens unterwegs, um von dort zu berichten. Heutzutage treffen die Nachrichtenprofis dort natürlich auch auf zahlreiche Foto- und Videoamateure, die die Geschehnisse mit ihren Camcordern oder Handys festhalten. So entstehen ‚vor Ort‘ audiovisuelle Erzählungen mit sehr unterschiedlichen Perspektiven und für ganz unterschiedliche Personengruppen, die je nach Nachrichtenwert entweder wieder gelöscht werden, als unterhaltsame buzz feed im Internet kursieren oder als breaking news die Nachrichtensendungen beherrschen.

      BREAKING NEWS – ANSCHLAG AUF DAS WORLD TRADE CENTER (USA 2001)

      Am 11. September 2001 sind die Brüder Jules und Gedeon Naudet mit ihrem Kamerateam in New York unterwegs. Sie drehen eine Alltagsreportage über eine Feuerwache. Bis zum 11. September war nichts Aufregendes passiert und auch an diesem Tag erwartet niemand etwas Besonderes. Die Männer von der Feuerwache

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