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ihr, nachdem er mehrere Abfuhren bekommen hat, immer größere Steine in ihren ohnehin mühsamen Weg des Neuanfangs. Auch alle anderen Akteure des Films, hauptsächlich die Kinder von Anna Roth und Armin Zettler, richten ihre ganze Kraft darauf, durch Geschäfte und Kungeleien aller Art den Übergang vom Zusammenbruch der NS-Herrschaft zum Beginn einer neuen gesellschaftlichen Ordnung möglichst erfolgreich zu nutzen. Das führt zu vielen persönlichen Konflikten und Krisen, zu unerwarteten Ereignissen und überraschenden Wendungen, die die Handlung des Films temporeich vorantreiben. Alle Akteure bewegen sich auf schwankendem Boden, sind eher Getriebene als Treibende, weil es keinen gesellschaftlich und politisch sicheren Rahmen mehr gibt, in dem sie sich planend bewegen könnten. Erst als im Sommer 1948 in Westdeutschland die Währungsreform stattfindet und die D-Mark zum Maßstab für Erfolg und Misserfolg wird, endet das Beziehungschaos, und der Kampf jeder gegen jeden läuft nach klaren ökonomischen Regeln: Das Durcheinander der westdeutschen Umbruchsjahre mündet in der gespurten Dynamik der Wirtschaftswunderwelt.

      Die fiktiven Protagonisten dieses Films repräsentieren bestimmte Typen der bundesdeutschen Nachkriegszeit, sie agieren hin und wieder klischeehaft und stereotyp, dennoch wirken sie glaubwürdig, weil sie Menschen darstellen, die in der Erinnerung der meisten Zuschauer so oder ähnlich präsent sind.

      [25]Die filmische Handlung

      Wie bei sehr vielen szenischen Filmen steht auch in „Die Himmelsleiter“ am Beginn der Handlung ein bedeutsames Ereignis, das die filmischen Akteure in eine kritische, existenziell bedrohliche Lage bringt. Hier ist es der verlorene Krieg, der alle bisherigen Lebenspläne Makulatur werden lässt und die Überlebenden dazu zwingt, sich eine neue Zukunft aufzubauen und verloren gegangene Positionen wiederzugewinnen. Der Film folgt damit einem vielfach angewandten und (nicht nur im Film) erprobten Erzählmuster: Eine gravierende Zustandsveränderung der Lebenswelt von Protagonisten (= Ereignisanfang) bewirkt diverse Handlungen, die zur (Wieder-)Herstellung einer stabilen Lebenswelt oder, seltener, zum Untergang der Protagonisten führen (= Ereignisende). Das Publikum wird einer solchen stereotypen Erzählweise deshalb wahrscheinlich widerspruchslos folgen. Aber es sind nicht allein die stereotypen Erzählklischees, wiedererkennbaren Erzählbausteine und schablonenhaften Charaktere, die eine Erzählung massentauglich machen, es ist auch die Eigenlogik des Mediums ‚Film‘ selbst, die sehr oft dazu führt, dass die filmisch erzählte Welt den Erzählstereotypen folgt, die sich in den Alltagserzählungen unserer tatsächlichen Welt bewährt haben. Denn wie die tatsächliche Welt ist eben auch das Medium ‚Film‘ raumzeitlich strukturiert, und dieser Umstand begünstigt das Erzählen von chronologisch ablaufenden katastrophalen Ereignissen oder zwischenmenschlichen Konflikten und sperrt sich gegen die Darstellung ‚zeitloser‘ Strukturen. Die erzählte Welt des szenischen Films ist genauso wie die tatsächliche vergangene Welt auf ihrer optisch-akustischen Oberfläche eine Welt von Ereignissen. Die in den Tiefen dieser Welt wirksamen politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen sind als Filmbilder direkt kaum darstellbar und werden nur indirekt sichtbar in den Motiven, Verhaltensweisen, Konfliktlösungsstrategien und sozialen Beziehungen der Akteure. Der historische Spielfilm hat jedenfalls das Potenzial, solche Tiefenschichten der Ereignisse zu zeigen, er nutzt es nur nicht immer (→ Kap. 2.2.1 und 2.2.2).

      Tatsächliche Geschichte und szenisch erzählte Geschichte

      Der szenische Geschichtsfilm hebt die zeitliche Distanz zwischen Ereignis und Erzählung auf, lässt Ereignis und Erzählung zusammenfallen: Die Vergangenheit ereignet sich als filmische Gegenwart. Eine historische Lebenswelt erscheint auf der Leinwand, in der auch Dinge sichtbar werden, die mit Quellen nicht zu belegen sind (wie z.B. Mimik und Gestik der handelnden Personen, ihre Positionierung und Bewegung im Raum etc.) und die in jeder geschichtswissenschaftlichen Darstellung eine Blackbox sind. Durch die Visualisierung des Unbekannten wird die erzählte Welt bestenfalls zu einer von vielen möglichen Welten, die plausibel, aber nicht belegbar sind (zur „Theorie der möglichen Welten“ siehe [26]Bietz 2013, 182ff.). Die meisten szenischen Geschichtsfilme legen es aber auch gar nicht darauf an, Geschichte durchgängig faktengetreu zu erzählen. Sie nutzen im Gegenteil die Gelegenheit, in ihre erzählte historische Welt auch Personen und Ereignisse einzubauen, die in der tatsächlichen Welt keine Entsprechung haben. Es entstehen so fiktive Ereignisse mit fiktiven (oder auch historischen) Personen, Schauplätzen und Handlungsabläufen, wie beispielsweise im Film „Die Himmelsleiter“. Wenn sich die Erzählung dabei an die Gesetze der Logik und Kausalität hält, die Personen plausibel agieren und die Ereignisabläufe konzise erzählt werden, können auch fiktive Personen und Ereignisse glaubwürdig sein und als historisch mögliche Ereignisse auf Akzeptanz beim Publikum stoßen. Zumal dann, wenn der Erzähler, wie im Film „Die Himmelsleiter“, immer wieder verbal, durch Texteinblendungen oder dokumentarische Bilder und Töne darauf hinweist, dass seiner Erzählung tatsächliche Begebenheiten zugrunde liegen. Allerdings erweisen sich manche erzählerischen Legitimationsstrategien, der erzählten Geschichte historische Glaubwürdigkeit zuzusprechen, als erzählerische Tricks. So spricht beispielsweise am Beginn des Films „Die Himmelsleiter“ die Protagonistin aus dem Off zum Publikum und behauptet, dass ‚ihre‘ Erzählung von der im Film sichtbaren Stadt ‚Köln‘ und den dort lebenden Menschen das tatsächliche Köln des Jahres 1947 zeige. Doch dies bleibt bei näherem Hinsehen eine leere Behauptung, denn die Protagonistin ist selbst gar keine historisch belegte Person aus dem tatsächlichen Köln des Jahres 1947, sondern eine rein fiktive Person, die nur im erzählten Köln zu Hause ist. Dessen ungeachtet erweisen sich aber auch die fiktive Protagonistin Anna Roth und ihr fiktiver Antagonist, der umtriebige NS-Wendehals Armin Zettler, als glaubwürdige Akteure, weil ihre Lebenswelten und ihre Problemlagen durchaus typisch sind für die Wiederaufbaugesellschaft der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Personen und Ereignisse des Films „Die Himmelsleiter“ befinden sich noch im Erinnerungshorizont der Zuschauer. Sie haben die Zeit selbst erlebt oder von Familienmitgliedern darüber einiges gehört. Das Thema ‚Nachkriegszeit‘ ist also noch Teil der kollektiven Erinnerung und des gesellschaftlichen Diskurses. Wir nennen solche zeitgeschichtlichen Spielfilme im weiteren Verlauf des Buches ‚szenische Erinnerungsfilme‘ und grenzen sie ab von den ‚szenischen HistorienfilmenSzenischer Historienfilme‘, in denen die erzählte Zeit außerhalb des Erinnerungshorizonts des Publikums liegt (zum Beispiel das Mittelalter oder die Antike). Näheres zu dieser Unterscheidung findet sich in den folgenden Kapiteln.

      Darstellen versus Erzählen – Szenische gegen dokumentarische Geschichtsfilme?

      Neben der szenischen Darstellung von Geschichte steht der dokumentarische Geschichtsfilm.

      [27]Infobox

       Szenische Darstellung und verbales Erzählen

      Die Unterscheidung von szenischer Darstellung (Mimesis) und verbalem Erzählen (Diegese) ist Teil einer lang anhaltenden erzähltheoretischen Debatte, die in den 1920er Jahren ihren Anfang nahm und teilweise bis heute andauert (näheres bei Bietz 2013, 38ff.). Dabei ging es zunächst um den Unterschied zwischen visueller Weltdarstellung im Film und literarischer Weltdarstellung im Roman, also um die Verwendung unterschiedlicher Zeichensysteme: Der Film verwendet Bild-Zeichen, die Lebenswelten sichtbar machen, die sprachliche Erzählung benutzt dagegen Wort-Zeichen, die Lebenswelten repräsentieren. Setzt man die Bild-Zeichen zu bewegten Bildern zusammen, entstehen ‚lebendige‘ Szenen, die z.B. konkrete Menschen an konkreten Schauplätzen zeigen. Die raumzeitlichen Bild-Zeichen des Films stehen also in einem engen optischen Bezug zur raumzeitlich verfassten tatsächlichen Welt. Ein im Film-Bild sichtbares Hochhaus zum Beispiel hat im Prinzip dasselbe Aussehen wie ein Hochhaus, das außerhalb der filmischen Welt, etwa in einer Stadt, zu sehen ist. Demgegenüber ist ein in einer Erzählung auftauchendes Hochhaus kein konkretes Bild-Zeichen, sondern ein abstraktes Wort-Zeichen. Das H-o-c-h-h-a-u-s in der Erzählung hat keinerlei optische Ähnlichkeit mit dem Hochhaus in einer Straßenschlucht. Das Wort H-o-c-h-h-a-u-s macht dieses nicht sichtbar, sondern nur lesbar, es bildet dies nicht ab, sondern es benennt es. Der Leser macht dann dieses Schrift-Zeichen wieder ‚sichtbar‘, indem er ihm ein passendes Bild-Zeichen zuordnet.

      Es waren vor allem die Filmwissenschaftler, die aus zeichentheoretischen Gründen die filmische Visualisierung

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