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Klemmen versuchen Ärztin und Hebamme, die fehlenden Teile der Eihäute aus dem Gebärmutterhals zu holen. Bleiben Teile des Mutterkuchens oder der Eihäute zurück, so kann es zu Blutungen kommen. Als anzunehmen ist, dass keine Reste in der Gebärmutter verblieben sind, kontrollieren Ärztin und Hebamme gemeinsam den Damm der jungen Mutter. Da es aus der Vagina leicht blutet, platzieren sie dort einen sterilen Tupfer mit einem Lokalanästhetikum. Der Damm ist unversehrt geblieben. Die Mutter, die nach der unangenehmen Prozedur um die Eihaut fröstelt, wird mit einem weiteren warmen Tuch zugedeckt.

      Erst jetzt findet Augusta Theler Zeit und Ruhe, um den Eltern zu gratulieren. Dann lässt sie die drei allein. Die Plazenta mit der Nabelschnur und den Eihäuten hat sie in eine weisse, beschichtete Unterlage gepackt und bringt alles in eines der Arbeitszimmer, wo sie das Päckchen auf eine Ablage legt. Dann tritt die Ärztin dazu, und die blutige Plazenta wird von Auge auf ihre Vollständigkeit geprüft. Sie versorgte das Baby im Mutterleib mit Nährstoffen. Die Plazenta ist von schwammiger Konsistenz, hat einen Durchmesser von etwa 20 Zentimetern und ist ungefähr ein Sechstel so schwer wie das Kind. Sie wird nach dieser Untersuchung in einem Gefrierschrank gelagert und später mit anderen Spitalabfällen verbrannt.

      Der Mutterkuchen gehört zum Kind, darum werden die Eltern gefragt, ob sie ihn mit nach Hause nehmen möchten. Hin und wieder machen Eltern von dieser Möglichkeit Gebrauch, um die Plazenta später im Garten zu vergraben und an diesem Ort einen Baum zu pflanzen. Im Internet kursieren Berichte über den Verzehr der Plazenta als Wundermittel. Augusta Theler hat jedoch noch nie Eltern kennengelernt, die ihr von derartigen Absichten erzählt hätten. Bekannt ist auch, dass man in bestimmten Apotheken homöopathische Plazenta-Globuli für Mutter und Kind herstellen lassen kann. Diese sollen die Immunabwehr stärken und diverse gesundheitliche Beschwerden lindern.

      «Ich muss etwas trinken.» Nur kurz ist der Hebamme nach dieser Geburt anzumerken, dass sie gefordert war. Kaum hat sie sich im Stationszimmer an den Tisch gesetzt, wird sie schon wieder in Gebärsaal 1 gerufen. Die Patientin hat das Gefühl, dass sie vermehrt blutet. Augusta Theler geht nachschauen. Sie erneuert den Tupfer und wird den Verlauf der Blutung verfolgen. Dann nimmt sie dem Vater, der immer noch mit dem Baby im Arm auf dem Sofa sitzt, das Kind ab. Die Hebamme übergibt das Neugeborene der Mutter, die es an die Brust setzt. Trinken will der Kleine noch nicht, er weint leise und schläft dann ein. Während dieser Zeit räumt Augusta Theler das Gebärzimmer auf, trocknet die Überschwemmung neben der Wanne, hebt Tücher vom Boden auf, die in der Eile dort gelandet sind, wirft gebrauchte Gummihandschuhe in den Abfall. Bevor sie das Zimmer wieder verlässt, erfährt sie den Namen des Babys. Der Kleine wird Noah heissen.

      Es ist nach 22 Uhr, als die Hebamme ins Zimmer der Frau mit dem Kaiserschnitt zurückkehrt. Die junge Mutter hat das Handy am Ohr, spricht Albanisch, verabschiedet sich nun aber eilig. Der Mann sitzt im Zimmer auf einem Stuhl und scheint vor Müdigkeit immer tiefer zu rutschen. Die junge Frau wird mit dem Baby für die Nacht auf die Wochenbettabteilung verlegt. Mit Unterstützung des Mannes und einer zweiten Hebamme packt Augusta Theler alle persönlichen Sachen zusammen, räumt die Blumen, die der Besuch gebracht hat, auf ein fahrbares Tischchen. Zu zweit stossen die Hebammen das Bett, in dem die junge Mutter liegt, durch den Gang auf die Wochenbettstation, wo ein Platz in einem Zweierzimmer reserviert ist. Das Krankenbett wird in der Nähe der Tür kopfseitig an die Zimmerwand geschoben; der Platz am Fenster ist bereits durch eine andere junge Mutter mit ihrem Baby besetzt. Im Zimmer brennen nur noch die Leselichter. Im Spital ist es still geworden. Augusta Theler misst ein letztes Mal heute den Blutdruck und die Körpertemperatur der Frau, tastet auf der Bauchdecke nach ihrer Gebärmutter, kontrolliert den Verband. Sie blutet nach wie vor nur ganz wenig. Die Hebamme verabschiedet sich und wünscht eine gute Nacht.

      Zurück im Stationszimmer, beginnt für Augusta Thehler die Schreibarbeit. Überwachungsblatt, Geburtsverlauf, Formulare für Mutter und Kind. Ein ganzes Bündel Dokumente gehört zu jeder Geburt. Einige Papiere müssen von Hand ausgefüllt und kopiert werden, andere werden am Computer ergänzt. Die Hebamme beugt sich tief über den Schreibtisch und führt den Kugelschreiber flink übers Papier. Das Kopiergerät piepst, während kurz vor 23 Uhr die Kolleginnen der Nachtschicht eintreffen. Es folgt dieselbe Übergabesitzung wie vor acht Stunden, als Augusta Thelers Spätschicht begann. Die Hebammen der Nachtschicht werden über die Geburt von Noah informiert und erfahren, dass im Verlauf des Abends eine weitere schwangere Frau ins Spital eingetreten ist. Die Geburt des Kinds ist überfällig. Die Patientin hat die 40 Wochen Schwangerschaft – ab dem ersten Tag der letzten Menstruation gerechnet – um gut eine Woche überschritten. Man befürchtet, dass das Baby nicht mehr gut versorgt ist. Darum versucht man, die Geburt mit einem Medikament einzuleiten, das vaginal als Zäpfchen verabreicht wird. Es soll die Gebärmutterkontraktionen künstlich anregen.

      Augusta Theler widmet sich nach dieser Sitzung weiter den Papieren, die komplett ausgefüllt sein müssen, bevor sie ihre Schicht beendet. Dabei geht es nicht nur um die Dokumentation medizinischer Einzelheiten, sondern auch um die korrekte Abrechnung der Leistungen. Jeder einzelne Posten, von den Medikamenten bis zum benötigten Material, muss detailliert aufgeführt werden. Eine ihrer Kolleginnen verschwindet in der Zwischenzeit in Gebärsaal 1, wo vor gut zwei Stunden der kleine Noah zur Welt gekommen ist. Plötzlich ertönt im Stationszimmer der Alarm, worauf Augusta Theler blitzartig von ihrer Schreibarbeit aufsteht und zusammen mit zwei weiteren Hebammen und der Assistenzärztin aus dem Raum eilt. Die Kollegin in Gebärzimmer 1 braucht Hilfe, denn bei der Patientin hat sich die Blutung deutlich verstärkt. Es ist anzunehmen, dass in der Gebärmutter doch noch Stücke der Eihäute verblieben sind, die zur vermehrten Blutung führen. Kurz vor Mitternacht entscheidet sich die Assistenzärztin nach Rücksprache mit den Hebammen, eine Curettage durchführen zu lassen. Unter Narkose soll durch die Vagina ein Instrument eingeführt werden, mit dem die Gebärmutter ausgekratzt beziehungsweise ausgeschabt wird. Die Ärztin lässt den Operationssaal für den bevorstehenden Eingriff vorbereiten. Die Patientin, die ihr Kind so schnell und problemlos geboren hatte, muss nun doch noch mitten in der Nacht operiert werden. Sie lässt alles mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Als sie im Bett durch den Spitalgang gefahren wird, scheint sie zu dösen. Ihr Mann hatte sich schon eine halbe Stunde vorher im Spital verabschiedet. Er ist nach Hause ins Simmental gefahren, um sich um die zwei älteren Kinder zu kümmern. Die Hebammen werden ihn telefonisch über den Verlauf der Operation informieren.

      Mitternacht ist vorbei, als Augusta Theler die fertig ausgefüllten Formulare in ein Sichtmäppchen steckt. Ihre Schicht ist zu Ende, und so tritt sie aus dem Stationszimmer auf den Spitalgang, um sich umziehen zu gehen. Danach kehrt sie kurz ins Stationszimmer zurück und verabschiedet sich von den Kolleginnen der Nachtschicht. Es regnet, als sie vor dem Spital durch die Dunkelheit in Richtung Parkplatz geht, das Auto aufschliesst und einsteigt. Dicke Tropfen prallen auf die Windschutzscheibe.

      «Ich erlebe bei jeder Geburt magische, intensive Momente», sagt Augusta Theler. «Jede Geburt hat etwas Bezauberndes und ist etwas Einmaliges. Die Zeit bleibt einen Augenblick stehen.» Sie empfindet es als riesiges Privileg, in diesen Momenten ganz nah dabei zu sein und ein Teil der Geschichte jedes Paars und jedes Kinds zu werden; auch wenn diese sich später nicht mehr an die Hebamme erinnern. «Dieses Ereignis bleibt prägend für die ganze Familie.»

      Die Hebamme sagt, sie empfinde höchsten Respekt vor jeder Geburt und habe eine grosse Achtung vor jeder Gebärenden. Sie selbst hat keine eigenen Kinder und besitzt damit auch keine persönliche Geburtsgeschichte, die sie in ihrem Beruf beflügeln oder belasten könnte.

      «Ich finde es schön, einen verantwortungsvollen Beruf zu haben», sagt sie. «Aber freilich kann Verantwortung auch belastend sein, wenn es um Leben und Tod geht. Als Hebamme kann ich die Verantwortung nicht einfach abschieben, sondern muss mich in die Situation schicken.» Im Spital ist sie in eine Gruppe von Spezialisten eingebunden und fühlt sich dadurch nie allein. Sie findet, diese Teamarbeit entspreche ihr. «Ich bin ein Rudeltier und kann mir nicht vorstellen, anders zu arbeiten.»

      Obschon das Team sie unterstützt, ist die Hebamme bei jeder Geburt mit ihrer ganzen Präsenz gefordert. «Man braucht viel Einfühlungsvermögen, um auf jede Frau individuell eingehen zu können. Und es braucht eine gewisse Spontaneität und Flexibilität, um in unerwarteten

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