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in der Schlacht bei Kappel am Albis die Reformierten besiegen und in der Eidgenossenschaft eine Art Hegemonie errichten, fällt Luzern als ihrem Vorort fast automatisch eine Führungsstellung in der Eidgenossenschaft zu. Diese wird dadurch gekräftigt, dass die beiden Hauptstützen der Gegenreformation – Papsttum und Jesuitenorden – nun in Luzern präsent sind: Ersteres seit 1579 durch die Nuntiatur, die Jesuiten seit 1574 mit ihrem Kollegium, das in der Folge zur Kaderschmiede der katholischen Eidgenossenschaft wird. Aber diese Führungsstellung Luzerns und der katholischen Orte steht auf schwachen Füssen. Die Zukunft gehört reformierten Städten wie Zürich, Bern und Basel, die demografisch stärker und wirtschaftlich dynamischer sind. Als sie die Katholiken 1712 im Zweiten Villmergerkrieg besiegen, ist es mit deren und Luzerns führender Stellung in der Eidgenossenschaft für immer vorbei.

       Der Schultheissensaal des Rathauses (Nr. 4), neu gestaltet 1785, mit den Porträts der Schultheissen und dem mächtigen Ofen von Andreas Dolder.

      Im Innern zeigt sich seit Ende des 16. Jahrhunderts der europäische Zug zum Absolutismus in einer Aristokratisierung von Regierung und Gesellschaft, indem sich immer mehr Macht bei immer weniger Familien konzentriert. Schon im Spätmittelalter gibt es einen inneren Kern von Regierenden, der sich aber infolge der Ausfälle durch Seuchen und Kriege immer wieder erneuert. Als das Regieren indessen mehr und mehr zum Beruf wird, können sich diesen Zeit raubenden Einsatz nur noch Wohlhabende leisten und solche, die durch Solddienste zu einträglichen Pensionen gekommen sind. Alle zwei Jahre sind im Kanton 15 Vogteistellen zu besetzen, dazu häufig Landvogtstellen im Aargau, Thurgau, Tessin usw. Kleinräte halten viermal in der Woche ihre Sitzungen ab; dazu kommen ungezählte Tagungen diverser Kommissionen. Als Kriege und Seuchen im 16. und 17. Jahrhundert seltener werden, nimmt die Bevölkerung und damit auch der Konkurrenzdruck namentlich von der Landschaft her kräftig zu. Als Folge davon steigt aber auch die Tendenz zur Besitzstandwahrung und Abkapselung. Aufnahmen ins Bürgerrecht werden immer seltener; vom 16. zum 17. Jahrhundert gehen sie von 1805 auf 331 zurück. Es entsteht eine Schicht minderberechtigter so genannter Hintersässen, deren Anzahl bereits 1700 rund doppelt so gross ist wie jene der Bürger. Aber auch von diesen hat der grösste Teil keinen Zutritt zu den Ämtern mehr, da das regierende Patriziat die Ratsstellen in Selbstergänzung unter sich vergibt und sich alle wichtigen Ämter vorbehält. Im 18. Jahrhundert haben nur noch zwanzig Familien Zutritt zum Kleinen Rat und nur sechs – die Am Rhyn, Balthasar, Dürler, Fleckenstein, Pfyffer und Sonnenberg – stellen von 1601 bis 1798 über die Hälfte aller Schultheissen (Regierungspräsidenten). Luzern hat damit das konzentrierteste Patriziat aller Schweizer Städte.

      Eine ähnliche Abschottung tritt auch in Handwerk und Gewerbe ein, wo die Zünfte alle Konkurrenz abzuwehren und die Arbeit auf ihre Kleinbetriebe aufzuteilen suchen. In der modernen Heimindustrie der Leinen- und Baumwollverarbeitung finden sich kaum Luzerner Unternehmer. Auch wenn einzelne Patrizier und Geistliche sich im 18. Jahrhundert den modernen Ideen der Aufklärung zuwenden, ist Luzern nicht mehr in der Lage, die politische und wirtschaftliche Erstarrung aus eigener Kraft aufzubrechen.

       Überblick

Nach 1519:Luzern widersetzt sich zusammen mit den ändern Orten der Zentralschweiz der Reformation.
1531:Nach dem Sieg über die Reformierten in der Schlacht bei Kappel dominieren die sieben katholischen Orte die gespaltene Eidgenossenschaft.
Ab ca. 1570:Ausbildung des aristokratischen Regierungssystems mit absolutistisch-zentralistischen Zügen.
1574:Gründung des Jesuitenkollegiums (Nr. 13), das ab 1600 zur philosophisch-theologischen Hochschule erweitert wird.
1579:Errichtung der päpstlichen Nuntiatur
1583:Kapuzinerniederlassung auf dem Wesemlin
1586:Die sieben katholischen Orte schliessen den goldenen Bund, der ein Jahr später eine Allianz mit Spanien eingeht.
1602–06:Bau des neuen Rathauses am Kornmarkt.
1633–39:Wiederaufbau der Hofkirche im Stil der Spätrenaissance nach dem Brand von 1633.
1653:Bauernkrieg und Burgerhandel: Gescheiterte Aufstände der Nichtprivilegierten auf dem Land und in der Stadt.
1666–77:Bau der Jesuitenkirche als erster barocker Kirchenbau der Schweiz.
1712:Sieg der reformierten Orte im 2. Villmergerkrieg. Ende der Luzerner Vormachtstellung in der Eidgenossenschaft.

       Jahrhundert der Revolutionen (1798–1914)

      Luzern verändert sich in dieser Zeitspanne stärker als in den vier Jahrhunderten seit 1415 zusammengenommen. Im Grunde spielen sich mindestens fünf Revolutionen ab: Zwei politische, bei denen es einerseits um die Umformung der Patrizierherrschaft in eine Demokratie, und andererseits um die Neudefinition der Stellung Luzerns und der anderen Kantone im eidgenössischen Bund geht; sodann die industrielle Revolution, die gleichzeitig eine Verkehrsrevolution ist, zu der die revolutionäre Umwandlung des Stadtbildes von der ummauerten und in sich gekehrten zu einer nach aussen geöffneten Stadt kommt. Gemeinsam ist diesen Umbrüchen, dass sie nicht schlagartig, sondern schubweise vor sich gehen und Zeit brauchen. Typisch sind die starken retardierenden Kräfte; typisch ist aber auch, dass die Industrialisierung die Stadt umgeht; in Luzern selbst entstehen fast keine Fabriken, oder besser, wie einmal gesagt wurde: Seine Fabrik ist das Hotel, seine Industrie die Fremdenindustrie.

      Die politischen Revolutionen beginnen am 31. Januar 1798, als das Patriziat vor dem Hintergrund der in die Schweiz einmarschierenden französischen Truppen von sich aus seine Privilegien abgibt und dem verblüfften Volk erklärt, die künftigen Fundamente des Staats seien Gleichheit, Menschenrechte, Demokratie und freie Wirtschaft. Nun setzen in Luzern für ein Menschenalter (1798–1875) Kämpfe zwischen vorwärts treibenden und retardierenden Kräften ein, die aus einheimischer Sicht als heftig und gewaltsam, vom Ausland her gesehen aber wohl als geradezu idyllisch erscheinen. Luzern erlebt in dieser Zeit zehn neue Verfassungen; 1875, als mit dem «allgemeinen» Wahlrecht – das natürlich nicht wirklich allgemein ist, denn die Frauen erhalten das Stimmrecht erst 1970! –, mit Verfassungsinitiative und Gesetzesreferendum die demokratische Form gefunden ist, beruhigt sich die Lage; von da an bis 2007 gibt es keine neue Verfassung mehr. Typisch luzernisch in diesen Auseinandersetzungen ist die Tatsache, dass sich die alte Spaltung zwischen Stadt und Land bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts in der parteipolitischen Spaltung zwischen liberal und konservativ fortsetzt.

      Eigenartigerweise bildet die ländliche, kirchentreue und konservative Bevölkerung den eigentlichen Motor der Demokratisierung, weil sie glaubt, nur so die Herrschaft der liberal dominierten Stadt beseitigen zu können, die diese ihrerseits durch allerhand Tricks zu retten sucht.

      Unseligerweise kommen diese Konservativen in Luzern 1841 ausgerechnet in dem Augenblick an die Macht, als die Neugestaltung des eidgenössischen Bundes allmählich spruchreif wird. Die liberalen, stärker industrialisierten Kantone des Mittellandes von Genf bis St. Gallen streben einen stärkeren Bund und eine Überwindung der kantonalen Sonderrechte an, die der wirtschaftlichen Entwicklung im Weg stehen; man kann sie gleichsam als Schweizer Nationalisten bezeichnen. Die katholischen Alpen- und Voralpenkantone mit Luzern an der Spitze hingegen beharren auf der Souveränität der einzelnen Republiken, da sie als Minderheit in einem einheitlicheren Bundesstaat um ihre Selbständigkeit fürchten. 1845 bilden sieben von ihnen zum Schutz ihrer Interessen den Sonderbund mit Luzern an der Spitze dieser verlorenen Schar. Als liberale Kantone Klöster aufzuheben beginnen und Luzern darauf 1844 die Jesuiten zurückberuft, die bei den Liberalen als reaktionäres Schreckgespenst gelten, wird der latente Bürgerkrieg um die Bundesreform zum offenen Krieg. Nach ersten Scharmützeln, bei denen 1844 und 1845 liberale Freischaren die konservative Luzerner

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