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den beyden ersten Brücken hat man die unbeschreiblich schöne Aussicht, welche Lucern für Reisende so merckwürdig macht. Man übersieht ein herrliches nicht gar zu grosses Bassin, welches den See hier bildet, u. welches so von Bergen eingeschlossen ist, dass man den Ausgang nicht bemerckt. Von hier aus sieht man die majestätischen Alpen in ihrer ganzen Grösse, von dem angebauten untern Theil derselben an, bis zu ihren Schneebedeckten Gipfeln: denn nur eine kurze Strecke mit fruchtbaren Aeckern u. Wäldern bedeckt, trennt sie vom See …»

       Der spätere Philosoph Arthur Schopenhauer, 1804

      «Luzern ist ganz reizend. Es beginnt mit einem Saum von Hotels unten am Wasser und krabbelt dichtgedrängt und ohne Ordnung, aber malerisch über drei steil ansteigende Hügel, so dass sich dem Auge ein aufgetürmter Wirrwarr von roten Dächern, wunderlich altmodischen Giebeln, Dachfenstern und zahnstocherähnlichen Spitztürmen bietet … Wir besuchten die beiden langen überdeckten Holzbrücken, die die leuchtend grüne Reuss knapp unterhalb der Stelle überspannen, an der sie sich mit lautem Hurra aus dem See stürzt.»

       Mark Twain, amerikanischer Schriftsteller, 1880

      Fehlte es indessen mit Blick auf die Stadt, ihre Wirtschaft und Kunstdenkmäler nicht an kritischen Stimmen, so waren sich doch alle einig im Lob auf ihre grandiose Lage. Immer wieder ist die Rede vom prächtigen Amphitheater der Natur, das erst recht beeindruckt haben muss, wenn man aus den verwinkelten Gassen der Stadt mit ihren damals noch rund dreissig Türmen – die kirchlichen nicht mitgezählt – und an die zwanzig oft engen und dunkeln Toren heraustrat.

       Über die luzernische Wesensart

      Jenen, die von Norden her, von bienenfleissigen und wohlhabenden protestantischen Städten wie Basel oder Zürich, anreisten, mögen in Luzern vor allem vier Dinge aufgefallen sein: dass sie nun rustikalere und katholisch geprägte Lande betraten, in denen schon südliche Einflüsse zu spüren waren und wo man es offensichtlich etwas gemütlicher angehen liess als im betriebsameren Norden. Italianità und Rustikalität sind in Luzern in der Tat eine einzigartige Verbindung eingegangen. Deshalb ist ja auch das Luzerner Rathaus (Nr. 4) an der Reuss, bei dem auf drei klassischen Renaissancegeschossen das weit ausladende Dach eines Luzerner Bauernhauses ruht, ein so einzigartiges Werk – geradezu der Stein gewordene Ausdruck des Menschenschlags, der hier wohnt: halb Italien, halb Entlebuch …

      In unzähligen Berichten über die Jahrhunderte erscheint die Luzerner Bevölkerung immer wieder als Menschenschlag, der nicht lebt, um zu produzieren, sondern produziert, um zu leben. Luzernerinnen und Luzerner scheint es – vornehm ausgedrückt – eher zur Vita contemplativa als zur Vita activa gedrängt zu haben. Innerweltliche Askese und Puritanismus, Disziplin und Arbeitsdrill hingegen waren ihnen eher fremd. Näher lag da eine robuste Sinnenfreude, die sich bisweilen in wahrhaft gigantischen Festen äusserte. Der Grundton mancher Berichte geht dahin, in Luzern sei ein wenig ehrgeiziges, biederes und gutgeartetes Völkchen ansässig, das einem eher lässigen Lebensstil zuneige. So hiess es in einem Bericht des französischen Gesandten um 1700, die Menschen in Luzern seien «nicht sehr reich, aber sie leben dennoch bequem trotz der ansehnlichen Summen, die sie alljährlich ausgeben müssen, um im Elsass und in Italien Wein zu kaufen».

       Luzern ist beliebt für Polterabende …, ob diese weiblichen Schlümpfe der «kernhaften Schönheit» des Johann Georg Müller ebenfalls entsprechen?

      An der Oberschicht bemerkte er, «dass die Herren von Luzern in ihrer Mehrheit ohne jeden Ehrgeiz sind und sich begnügen mit dem, was ihnen nötig scheint, um ruhig fortzukommen». Es fiel ihm also auf, dass die Luzerner Patrizier die beträchtlichen Einkünfte aus den Solddiensten nicht in lukrative Handelsgeschäfte ummünzten; lieber investierten sie in Land- und Grundbesitz. Auch der Schaffhauser Pfarrherr Johann Georg Müller sah in Luzern 1789 wenig industrielle Betriebsamkeit. «Es kam mir vor», schreibt er, «als wenn die Einwohner nicht bloss produzieren, sondern auch sich hinsetzen und das Produzierte geniessen …» Von Armut aber habe er wenig gespürt: «Die Leuthe alle sahen so ziemlich aus wie Leuthe, die gegessen haben.» Selbst Einheimischen fiel der Hang ihrer Landsleute zur Behaglichkeit auf. So ist bei den beiden der Aufklärung zuneigenden Pfarrherren Franz Josef Stalder und Bernhard Ludwig Göldlin von einer «angeborenen fröhlichen Trägheit» die Rede und von einem «Hang zur Faulheit oder zum Müssiggang…, der uns Lucernern von Jugend auf anhangt und uns mehr oder weniger in unser hohes Alter begleitet».

      Besonders angenehm zeigte sich luzernische Wesensart bei den Frauen; Die Luzernerinnen werden durchweg als gesund und wohlgestalt, artig und anmutig beschrieben. Der bereits erwähnte Johann Georg Müller preist ihre «kernhafte Schönheit» und nennt sie «… gesund von Aussehn, weiss und roth von Farbe, volleibig, mit einem freyen und heitern Blick, und ungekünstelten Annehmlichkeiten…». Er meint, es sei ein «ungemeines Vergnügen, wenn man aus gewissen schleichenden Gegenden kömmt, zu sehen wie vest sie auf ihren zwey Beinen stehn; wie gerade sie wandeln, wie leicht sie sich bewegen …»

       Konstanten der Kunst

      Nach dem bisher Gesagten erstaunt es nicht, wenn zu den Merkmalen der Luzerner Kunst wie der Innerschweizer Kunst überhaupt eine – wie es einmal hiess – «Neigung zum Einfachen und Lapidaren», eine «betont realistische Gestaltungsweise» und eine «lebhafte Bilderfreude» gehören. Die Lust am Visionären und Fantastischen hingegen war ihre Sache weniger. Der Drang zur Visualisierung zeigt sich in den einzigartigen Gemäldezyklen auf den Luzerner Holzbrücken, aber zum Beispiel auch in Diebold Schillings ungemein erzählfreudiger Bilderchronik von 1513 oder in der langen Tradition der Osterspiele auf dem Weinmarkt, die jeweils die ganze Stadt in ihren Bann zogen. Diese Liebe zur Tradition bildet einen weiteren Grundzug des hiesigen Kunstschaffens. Zwar stand Luzern als Durchgangsland auch fremden Einflüssen offen, die im 16. Jahrhundert vor allem aus Italien und Süddeutschland und vom 17. bis 19. Jahrhundert aus Österreich, Frankreich und England kamen. Einige Male stand Luzern sogar an der Spitze neuer Entwicklungen. Der 1633 begonnene Neubau der Hofkirche (Nr. 50) war für sakrale Renaissancebauten nördlich der Alpen bahnbrechend, und die kaum 35 Jahre später begonnene Jesuitenkirche (Nr. 12) war der erste grosse Barockbau in der Schweiz. Aber daneben dominierte eine Stilkonstanz, die gotischen Formen zum Teil bis ins 17., barocken bis ins 19. Jahrhundert die Treue hielt.

       Das Haus zur Sonne am Weinmarkt mit dem Fresko der Hochzeit zu Kana erinnert an die Tradition der Oster- und Fasnachtsspiele auf diesem Platz.

      Die Epochen, die die Luzerner Kunst am meisten prägten, sind Renaissance und Barock; sie gehören ja auch der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts an, als Luzerns Einfluss in der Eidgenossenschaft besonders gross war. Vielleicht müsste man auch die Gotik vom 13. bis 15. Jahrhundert noch mitzählen; aber von ihr sind wenig Spuren geblieben. Immerhin hat sich in der zwischen 1270 und 1280 erbauten Franziskanerkirche (Nr. 15) ein bedeutender gotischer Kirchenbau erhalten, und an den Türmen der Hofkirche (1506–1516) kann man zumindest sehen, dass die Luzerner Gotik eigenständige, robuste Züge trug. Gotische Spuren zeigen sich auch am äusseren Befestigungsring sowie an diesem und jenem Bürgerhaus, unter anderem am Rothenburgerhaus neben der Hofkirche, das als ältestes ganz erhaltenes städtisches Holzhaus in der Schweiz gilt.

       Ein Hauch südländischer Atmosphäre liegt über den toskanischen Säulengängen der Gräberhallen bei der Hofkirche (Nr. 50).

      Von den intensiven Beziehungen zu Italien zeugen die Bauten der Renaissance, von denen sich in Luzern auf engem Raum einige der schönsten Beispiele in der Schweiz konzentrieren. Dazu zählen das Rathaus (1602–1604, Nr. 4) mit herrlichen Renaissancegemächern, sowie der Rittersche Palast (um 1560, Nr. 13), dessen arkadenumsäumter, dreistöckiger Innenhof das Vorbild für das Am-Rhyn-Haus

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