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wurde vor allem auch zum zentralen Markt am Scharnier zwischen dem «Getreideland» im schweizerischen Mittelland und dem «Weideland» in den Alpen und Voralpen. Je mehr dort nämlich ab dem Spätmittelalter die Viehzucht vorherrschte, umso stärker waren die Bauern auf den Getreide- und Salzeinkauf auf dem Luzerner Markt angewiesen, wo sie umgekehrt ihre Produkte, vor allem Butter, Käse und Vieh aller Arten – Rinder, Pferde, Schafe und Schweine – anboten.

      So wurde Luzern zu einem Durchgangsort. Mit dem wachsenden Verkehr kamen Fremde – Kaufleute, Pilger und Handwerksgesellen – in die Stadt, und mit ihnen oft auch neue Ideen. Doch von Luzern aus ging man auch in die Fremde; als ab 1400 im Ausland die Nachfrage nach Schweizer Söldnern stieg, griffen mehr und mehr Luzerner nach dieser neuen Erwerbsmöglichkeit. Rund 50 000 von ihnen sollen zwischen 1400 und 1800 in Mailand, Rom, Neapel und am spanischen und französischen Königshof Dienst geleistet haben. Allerdings stammte nur ein kleiner Teil – vor allem die Offiziere – aus der Stadt; die meisten Soldaten stellte die von der Stadt beherrschte «Landschaft», also das Untertanengebiet. Aber gerade die Offiziere brachten von ihrem oft langen Dienst im Ausland einen neuen Geschmack, etwa in der Mode, im Baustil oder im Kulinarischen, zurück nach Hause. Als nach 1800 mit dem Tourismus fremde Einflüsse erneut zunahmen, trafen sie Luzern daher nicht unvorbereitet: Man wechselte einfach vom Dienst in der Fremde zum Dienst an den Fremden.

      Die Einflüsse aus dem Süden aber dominierten. Zwar schuf sich die Stadt zwischen 1380 und 1415 mit der «Landschaft» ein Untertanengebiet, das weit nach Norden reichte, was aber nicht besagte, dass sie sich nun etwa nach Norden ausrichtete; vielmehr hatte sich die «Landschaft» ihrerseits ganz auf die Stadt an ihrem südlichen Rand einzustellen. Für die Stadt war sie das Hinterland, das diese zu versorgen und nötigenfalls mit Steuergeldern und Soldaten zu beliefern hatte. Jahrzehnte zuvor aber – 1332 nämlich – war Luzern schon mit den drei Waldstätten im Süden und Südosten, mit den Bauernorten Uri, Schwyz sowie Unterwalden, jenes Bündnis eingegangen, das durch alle Höhen und Tiefen im Grunde genommen bis heute gehalten hat; noch immer umrahmt Luzern mit diesen drei Ständen den See, der darum Vierwaldstättersee heisst, und noch heute bilden diese vier Kantone – zusammen mit Zug – die Zentralschweiz, eine der am klarsten profilierten schweizerischen Regionen. Die Gotthardpassroute verkürzte den Weg nach Süden beträchtlich; fortan waren die rund 280 Kilometer von Luzern bis Mailand in sechs bis sieben Tagen zu bewältigen. Von dieser Nähe zu Italien berichtet auch eine alte Sage, der zufolge einst ein Falke eine Wildente von Mailand bis nach Luzern verfolgte. Aus dem Süden – aus Italien, dem Tessin und Graubünden – stammten auch manche jener Bauleute, die aus Luzern im 16. Jahrhundert mit ihren Renaissance-Palazzi so etwas wie ein Florenz des Nordens machten. Im Grunde genommen blickt Luzern von Natur aus nach Süden und steht mit dem Rücken zum Mittelland, von wo im 16. Jahrhundert die neuen kirchlichen und im 19. Jahrhundert die neuen politischen Ideen herkamen. Dies ist in Luzern deutlich zu erkennen.

      Nach Norden reicht der Blick nicht weit – er geht kaum über die Anhöhen des Gütsch, der Musegg und des Dietischibergs hinaus; und auf die Musegg stellten die Luzerner um 1400 erst noch die trutzige Mauer mit ihren zehn Türmen. Nach Süden aber reicht der Blick über den See bis zu den in der Ferne blau und weiss schimmernden Bergen; und die Hof- und Kapellbrücke, die hier als hölzerne Stadtmauern errichtet wurden, wurden bald mehr Aussichtsterrassen als Schutzwall.

      Eine südliche Macht war auch die katholische Kirche, zu der die Bande noch enger wurden, als Luzern in der Reformation dem alten Glauben treu blieb. 1574 errichteten die Jesuiten in der Kleinstadt ihr Kollegium und übten dann 200 Jahre – und nochmals für kurze Zeit im 19. Jahrhundert – einen starken Einfluss auf das geistige und politische Leben aus. Ein geradezu triumphales Zeugnis ihres Wirkens stellt ihre um 1670 am linken Reussufer erbaute imposante Kirche (Nr. 12) dar. Seit 1579 residierte auch der päpstliche Nuntius in der Stadt, die nun bis Anfang des 18. Jahrhunderts nicht nur unbestrittener Vorort der katholischen Schweiz, sondern zeitweise der ganzen Eidgenossenschaft war.

      Als ab etwa 1800 der Tourismus aufkam, erhielt Luzern ein derart neues Gesicht, dass man schon von «einer touristischen Neugründung des 19. Jahrhunderts» gesprochen hat. Nun wandelte sich die Stadt am Fluss zur Stadt am See, mit ihren Hotels – diesen «Schlössern des Grossbürgertums» – und ihren Quais, die nicht nur Aussichtsterrassen auf See und Berge, sondern auch Bühne für den Auftritt der vornehmen Gäste bildeten. Dieser Entwicklung, die Luzern bis heute prägt, lag als wesentliche Ursache die durch Dichter wie Albrecht von Haller und Jean-Jacques Rousseau angefachte neue Naturbegeisterung zu Grunde, die auch Goethe nicht fremd war, der 1775 die Rigi bestieg. Hinzu kam die Verkehrsrevolution, die es mehr Leuten ermöglichte, in kürzerer Zeit grössere Distanzen zu bewältigen. In Luzern begann sie 1837, als das erste Dampfschiff den Vierwaldstättersee befuhr.

       Luzern im Spiegel früherer Gäste

      Es war die prachtvolle Lage, dieses wunderbare Zusammenspiel von See und Bergen, das Luzern nach 1750 allmählich zu einem Wallfahrtsort für Reisende machte. An der Stadt selber fanden die meisten damals wenig Bemerkenswertes. «Lucern ist ein kleines schlechtgebautes menschenleeres Städtchen», schrieb 1804 der zu dem Zeitpunkt allerdings erst 17-jährige Arthur Schopenhauer, und ein Besucher aus Sachsen bemerkte 1778 kühl: «Von Gebäuden giebt es hier wenig zu sehen.» Der eine oder die andere lobte zwar das Rathaus oder die Jesuitenkirche; im Wesentlichen aber waren es nur vier oder fünf Attraktionen, die in der Stadt Interesse fanden. Dazu zählten die Hofkirche, und zwar vor allem ihre Orgel, von der einer voll Bewunderung schrieb, in ihre grössten Pfeifen hätten problemlos drei oder vier Mann kriechen können, sowie General Pfyffers (1716 – 1802) Relief der Zentralschweiz, das dieser in 20-jährigem Durchforschen dieser Landschaft erstellt hatte (heute im Gletschergarten, Nr. 54).

       Das Luzerner Rathaus (Nr. 4), erbaut 1602 – 1604; «Stein gewordener Ausdruck des hiesigen Menschenschlags – halb Italien, halb Entlebuch».

      Nach 1821 kam als neue Sensation das Löwendenkmal dazu (Nr. 52). Höchstes Erstaunen riefen aber die drei Holzbrücken hervor, zu denen damals auch noch die 385 Meter lange Hofbrücke gehörte. Aufsehen erregten sie vor allem wegen ihrer aussergewöhnlichen Länge, aber auch als viel frequentierte Flanierstätten, die mit ihren insgesamt 462 Bildtafeln in den Giebelfeldern auch eine – wie ein Besucher schrieb – «ungeheure Bildergalerie» darstellten.

      Manchen Gästen entging aber nicht, dass Luzern wirtschaftlich zurückgeblieben war. Der französische Geograf François Robert meinte 1791: «Luzern liegt angenehm …, und doch ist mir nie eine Stadt trauriger vorgekommen. Ihr aristokratisches Regiment und ihre fast abergläubische Religion hemmen Fleiss, Leben, selbst Bevölkerung. Die meisten Läden sind verschlossen, der Handel todt.» Auch der deutsche Dichter Friedrich Leopold Graf zu Stolberg stellte fest, Luzern fehle es, «wie überhaupt den katholischen Kantonen, an Industrie», und dies, obwohl seiner Lage nach doch «Lucern die erste Handelsstadt in der Schweiz sein» müsste.

       Aus Reiseberichten

      «Die Gegend um Zürich ist angenehm, die um Lucern gross und majestätisch, ich möchte sagen schauerhaft. Der ungeheure Pilatus ist in einiger Ferne von der Stadt, und man rechnet sechs Stunden von Lucern bis auf seine Spitze; aber es ist eine so ungeheure, überwältigende Masse, dass er dicht an der Stadt zu stehen scheint. An manchen Orten, wo man ihn etwa hinter den Häusern einer Gasse hervorragen sieht, erscheint er so nahe und so perpendikular, dass man glauben möchte, er werde einmal über die Häuser herabstürzen.»

       Karl Gottlieb Küttner, Reiseschriftsteller, 1778

      «Hier sieht man mannigfaltige Aussichten von der grössten Schönheit. Keine Stadt in der Schweiz hat, meiner Empfindung nach, eine so schöne Lage wie Lucern. Liebliche Hügel, mit vermischter Waldung von Laubholz und von Tannen, kränzen diese Stadt und die nahen Ufer des Sees der vier Waldstädte; hinter den Hügeln erheben sich Alpen, hinter diesen starren in weiter Ferne Hohe Gebürge

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