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dreier Kinder unter sechs Jahren

      Die meisten Eltern schreien ihre Kinder an. Die Hälfte der Zeit merken wir es nicht einmal. Unsere Stimme wird einfach immer lauter. Oder, wir wissen zwar, was wir tun, aber in der Situation scheint es uns vollkommen gerechtfertigt. Hast du denn wirklich gesehen, was das Kind angestellt hat?!

      Aber wir alle wissen, dass unsere Kinder besser auf uns reagieren, wenn wir nicht schreien. Schreien lässt eine schwierige Situation eskalieren, aus einer Windbö wird ein ausgewachsener Sturm. Und wie sollst du von einem Kind erwarten, dass es seine Emotionen reguliert, wenn du das noch nicht einmal selbst kannst?

      Wenn wir stattdessen ruhig bleiben können, beruhigt das auch alle anderen. Wir sind ein Vorbild für emotionalen Ausgleich. Dann sind wir fähig, wirksamer einzugreifen, um das Problem zu lösen. Unser Kind lernt, wie man von der Aufregung wieder in den Ruhezustand kommt. Unsere Beziehung zu unserem Kind wird gefestigt. Es kooperiert öfters. Und wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass es unser eigener Kram ist, der uns zum Schreien bringt. Einige Eltern würden dasselbe Verhalten sehen und könnten dabei empathisch bleiben oder humorvoll damit umgehen (wirklich!). Denn egal, wie schlimm sich unser Kind verhält, dahinter steckt ein Hilfeschrei. Manchmal erfordert sein Verhalten eine entschiedene Grenze, aber nie, dass wir gemein werden. Und sowieso kannst du deinem Kind nicht helfen, während du es anschreist.

      Es ist nicht leicht, mit dem Schreien aufzuhören. Du kannst unbedingt aufhören wollen und ertappst dich dann doch wieder dabei. Wenn du selbst angeschrien wirst, kostet es ungeheuer viel Arbeit nicht zurück zu brüllen. Aber wenn du weißt, dass du mit dem Schreien aufhören willst, kannst du davon ausgehen, dass es auch möglich sein wird – ganz egal, wie sehr diese Gewohnheit bereits eingefahren ist. Das ist keine Hexerei. Genauso wie beim Erlernen des Klaviers fängst du heute damit an, Tonleitern zu üben; du übst täglich und bald kannst du einfache Melodien spielen. Ein Jahr später spielst du eine Sonate. Ich habe Hunderte von Eltern gesehen, die das meisterten.

      Wird es schwer werden mit dem Schreien aufzuhören? Ja, es geschieht nicht durch Zauberei. Du musst dich täglich darum bemühen, und keiner kann es dir abnehmen. Das Schreien zu lassen mag sich wie ein Wunder anhören, aber du kannst es erreichen. Wenn du kontinuierlich daran arbeitest, wirst du eines Tages plötzlich merken, dass du dich gar nicht mehr daran erinnern kannst, wann du das letzte Mal geschrien hast.

      • Verpflichte dich dazu. Die Forschung zeigt: Wenn wir uns in Worten bewusst auf eine bestimmte Handlungsweise »festlegen«, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir sie tatsächlich umsetzen, insbesondere, wenn wir daran täglich arbeiten. Allein der Wunsch nach Veränderung genügt dagegen nicht, selbst das »Bedauern« über etwas, das wir getan haben, ändert selten etwas. Also schreibe deine Absichtserklärung auf ein Blatt Papier (»Ich werde mit meinem Kind respektvoll reden«) und befestige es da, wo du den Satz oft sehen wirst. Male es dir aus, wie schön es zu Hause sein wird, wenn du dort nicht mehr herumschreist. Stell dir vor, wie du auf die Situationen, die dich heute zum Schreien bringen, gelassen reagierst – vielleicht sogar empathisch oder mit einer Prise Humor. Suche dieses innere Bild immer wieder auf. Somit programmierst du dein Unterbewusstsein.

      • Gib deiner Familie das verbindliche Versprechen. Allerdings gibt es einen Haken. Du musst dich einem anderen gegenüber verpflichten. Vor allem deinem Kind gegenüber musst du dich verpflichten, dass du mit dem Anschreien aufhören willst, weil dein Kind der einzige Mensch ist, der da sein wird, um dich zur Ehrlichkeit anzuhalten. Ist das ein wenig beängstigend? Ja. Aber du bist das Vorbild und willst du ein Kind, dass dich nicht anschreit, dann ist das der einzige Weg zu diesem Ziel. Erkläre also deinen Kindern, dass du dir vorgenommen hast, mit dem Schreien aufzuhören. Bastle dir eine Belohnungstabelle für »respektvollen Tonfall«. An jedem Abend entscheidet dann dein Kind (!), ob du dir einen Aufkleber verdient hast. So bleibst du in deiner Verantwortung.

      (Bist du gegen Belohnungstabellen für Kinder? Ich auch, weil sie die falsche Lektion vermitteln, was wir noch in dem Kapitel über Disziplin besprechen werden. Aber da die Eltern alle Macht in der Familie haben, ist diese Tabelle ein Weg, das Kind dazu zu ermächtigen, die Eltern zur Verantwortung zu ziehen. Ich mache mir keine Sorgen, dass die Eltern dabei die falsche Lektion lernen. Lass dich nur nicht dazu hinreißen, zugleich auch deinem Kind eine Belohnungstabelle für respektvollen Tonfall aufzuzwingen. Es hat weniger Selbstkontrolle, wenn es wütend ist, als du und lernt am besten von deiner Vorbildwirkung.)

      • Stopp-lass-los-atme gilt für jedes Mal, wenn du merkst, dass du die Stimme erhebst oder kurz davor bist. Wie geht das?

      • Höre auf zu sprechen, sobald du merkst, dass du die Beherrschung verlierst. Schließe den Mund. Musst du unbedingt Töne von dir geben? Dann summe. Aber schließe den Mund.

      • Lass los. Wirklich. Lass diesen Moment los. Das ist kein Notfall. (Falls doch, bring alle aus der Gefahrenzone und steige dann wieder in den Prozess ein.) Steige einfach aus der Situation aus.

      • Atme zehn Mal tief durch. Schüttle die Hände aus. Das holt dich aus dem »Reptiliengehirn« heraus – aus dem Kampf-Flucht-oder-Erstarren-Modus – und hinein in die bewusste Gegenwart. Jetzt kannst du wählen, wie du handeln willst.

      • Erinnere dich daran: Du bist der / die Erwachsene und dein Kind lernt aus allem, was du gerade jetzt tust. Schau dein Kind an und sage: »Ich arbeite hart daran, ruhig zu bleiben. Ich will nicht herumschreien. Lass mich ruhig werden und dann fangen wir noch einmal von vorne an.«

      • Tu das, was dir hilft, aus der Kampf-oder-Flucht-Reaktion des Körpers herauszukommen – weitere tiefe Atemzüge, sage dir ein Mantra vor, spritze dir kaltes Wasser ins Gesicht, schau auf die Belohnungsliste für respektvollen Tonfall, erinnere dich daran, dass dein Kind wie ein Kind handelt, weil es eben ein Kind ist. Erinnere dich daran, dass kein Notfall besteht.

      • Starte einen neuen Versuch. Du wirst es merken, wenn du nicht mehr im Kampf-Flucht-Modus gefangen bist, denn dann wird dir dein Kind nicht länger wie der Feind vorkommen, sondern wie dein geliebtes Baby, dem du versprochen hast, es zu hegen, zu lieben und in guter Weise ins Leben zu begleiten. Und jetzt beginne die Interaktion von Neuem.

      Ganz schön schwer, oder? Sehr schwer, wenn du von neurochemischen Stoffen überschwemmt wirst, die dich zum Angriff treiben. Aber gleichzeitig auch einfach. Du wartest einfach mit der Interaktion, bis du dich beruhigt hast.

      • Fragst du dich, wie dein Kind lernen wird, ohne dass du laut wirst? Verängstigte Kinder schalten in den Kampf-oder-Flucht-Modus. Dann machen die Lernzentren des Gehirns dicht. Wenn du schreist, kann dein Kind nicht lernen. Es ist immer viel wirksamer, wenn du ruhig und mitfühlend bist. Abgesehen davon, verlierst du sonst bei deinem Kind an Glaubwürdigkeit.

      • Fragst du dich, ob du dein Kind so nicht zu leicht davonkommen lässt? Es ist verletzt und sein »Fehlverhalten« ist ein dringender Hilferuf an dich. Es flippt aus, weil es heftige Gefühle spürt, die es noch nicht verstehen und verbal ausdrücken kann. Natürlich zeigst du Grenzen und lenkst sein Verhalten um. Aber dein Eingreifen darf niemals gemein oder angsterregend sein. Du willst, dass dir dein Kind aus Liebe folgt und dich deshalb nicht enttäuschen will und nicht, weil du ihm Angst einjagst.

      • Fragst du dich, ob du dann nicht unglaubwürdig wirkst? Dein Kind hat gesehen, dass du sehr aufgebracht warst. Es hat auch gesehen, dass du deine eigenen Emotionen verantwortungsvoll reguliert hast. Deine Erfahrung authentisch zu vertreten, bedeutet niemals, dass du sie an jemand anderem ungefiltert auslässt. Wie der Dalai Lama sagt: »Sei freundlich, wann immer es möglich ist. Es ist immer möglich.« Abgesehen davon sind es deine Emotionen, und nur ein Teil entsteht aus der aktuellen Interaktion mit deinem Kind. Der größere Teil stammt aus deiner eigenen Vergangenheit und der Perspektive, aus der du die momentane Situation betrachtest.

      • Und was, wenn du dich trotz größter Bemühungen beim Schreien ertappst? Am Anfang wird dir das passieren – und zwar nicht nur einmal. Es ist aber kein Fehler, sofern du daraus lernst. Nimm jede Zielverfehlung zum Anlass, etwas zu verändern – hinsichtlich deines Tagesablaufs, deiner Einstellung

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