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sein“ in dir klingen. Nimm eine Körperhaltung dazu ein und erforsche dein Erleben dabei.

14 Eintauchen ins Unermessliche

      Gewahrsein ist offen und unbedingt. In der Praxis der Meditation erinnern wir uns immer wieder an diese grundlegende Offenheit und verkörpern diese mit unserem Dasein.

      Die Qualität von Offensein beinhaltet Weite, Unbedingtheit, Freiheit und Durchlässigkeit. Offensein ist eine Ausdehnung ohne Grenzen, ein unbegrenzter Raum. Das ist durchaus ungewöhnlich, denn ein Raum ist meistens begrenzt. Ein unbegrenzter Raum dagegen ist unermesslich und für unseren Verstand nicht zu fassen. Unser Verstand braucht das Begrenzte, um etwas begreifen zu können.

      Es gibt jedoch Momente, in denen wir das Unermessliche erahnen. Vielleicht schauen wir in den weiten Sternenhimmel oder blicken in einer besonderen Stimmung auf das Meer hinaus. Auch hier können wir das Unermessliche nicht sehen oder begreifen, aber wir werden trotzdem von der Qualität des Unermesslichen ergriffen und staunen. Staunen ist vielleicht die beste Möglichkeit, das Unermessliche zu berühren. In diesen Momenten ahnen wir etwas von dem Großen und Unbegreiflichen, was „Leben“ oder was „Gott“ ist.

      Vielleicht aber berühren in diesen Momenten nicht wir das Unermessliche, sondern es ergreift uns. Eine tiefe, überraschende Begegnung mit der Unermesslichkeit des Lebens. Eine Erfahrung, die in unsere Welt einbricht, ohne dass wir sie mit unserem Verstand fassen können. In so einem Moment sind wir Offensein und Lauschen, und wir sind ergriffen von dem Unermesslichen, was Leben ist.

      Das Offensein der Meditation ist die Verkörperung des Unermesslichen. Dabei ist diese Art von Offensein ganz anders als die, die wir normalerweise kennen. Wenn wir normalerweise von Offenheit sprechen, meinen wir meist das Gegenteil von Enge oder Verschlossenheit. Das Offensein des Gewahrseins ist dagegen unbedingt und unbegrenzt. Es ist sowohl offen für die Weite als auch für die Enge, sowohl für das Angenehme als auch für das Unangenehme, für das ganze jetzige Leben in all seinen Facetten und Widersprüchlichkeiten.

      Ist die Weite des Himmels durch eine schwarze Gewitterwolke begrenzt? Ist das Meer durch den Horizont begrenzt? Ist unser Dasein durch seelische oder körperliche Beeinträchtigungen begrenzt? Oder durch Gedanken, Vorstellungen und Vorlieben? Für das bedingungslose Offensein muss nichts davon weg oder anders werden. Es umfasst alles.

      Nur in dieser Unbedingtheit ist das Offensein des Gewahrseins frei, alles zu umfassen und selbst dem Unermesslichen Raum zu geben. So wird das Offensein für uns zu einem Tor, um in das Unermessliche einzutauchen und zu erkennen, dass auch wir ein Teil des Unermesslichen sind.

       • Vergegenwärtige dir das Unermessliche des Himmels und nimm eine Körperhaltung für diese Erfahrung ein. Wie ist dein Erleben dabei?

       • Erinnere dich daran, dass Offensein alles einschließt, das Angenehme wie das Unangenehme, das Erwünschte wie das Unerwünschte. Nichts muss weg und nichts muss anders sein, als es jetzt ist. Wie ist deine Meditation, wenn sie alles umfasst, was ist?

15 Sich mit Hindernissen anfreunden

      Sich von Moment zu Moment der Gegenwart zuwenden, das ist die Praxis der Meditation. Was könnte natürlicher sein, als sich dem zu öffnen, was gerade da ist? Trotz dieses einfachen Geschehens tauchen immer wieder Hindernisse auf. Zu den klassischen Hindernissen in der Meditation zählen Schläfrigkeit, Ruhelosigkeit, Langeweile, Zweifel und auch Stolz.

      Schläfrigkeit führt dazu, dass unsere Aufmerksamkeit für das gegenwärtige Erleben erlahmt und wir in Tagträume abrutschen. Ruhelosigkeit kann sehr quälend sein und hindert uns an der nötigen Sammlung und Stabilität unserer Achtsamkeit. Langeweile lässt unser Interesse und damit auch unsere Aufmerksamkeit stumpf werden. Zweifel führt dazu, dass wir bei unangenehmen Zuständen unserem inneren Widerstand folgen und unsere Meditation frühzeitig abbrechen. Der Stolz wiederum taucht typischerweise immer dann auf, wenn wir gerade eine „gute“ Phase ohne Widerstände in der Meditation erleben, und führt dazu, dass wir innerlich abheben und die schlichte Gegenwart aus dem Blick verlieren. Natürlich gibt es neben den klassischen Hindernissen auch noch andere Faktoren, die wir als schwierig oder hemmend erfahren können: äußere Unruhe oder Lärm, körperliche Schmerzen, starke Widerstände und anderes.

      Doch auch wenn diese oder andere Faktoren unsere Meditation erschweren, bedeutet dies nicht, dass sie bekämpft werden müssten. Das eigentliche Hindernis für unser Offensein und unser Gegenwärtigsein besteht nicht in der Schläfrigkeit oder was wir auch sonst immer als Problem empfinden, sondern darin, dass wir uns gegen die Schläfrigkeit wehren.

      Letztlich lässt sich alles, was wir als Hindernis für unsere Meditation erfahren, auf einen Widerstand und damit auf eingrenzende Vorstellungen in uns zurückführen. Jede Art von Vorstellung darüber, wie Meditation sein soll und welches Erleben dabei entstehen soll, wirkt als innere Grenze und bewirkt einen Widerstand gegen den Facettenreichtum der Seele.

      Diese oft subtilen Vorstellungen und Widerstände zu erkennen und ihre leidhafte Wirkung auf uns zu untersuchen, ist ein wesentlicher Teil der Praxis. Nur so können wir mit der Zeit innere Grenzen und Widerstände klarer erkennen und gleichzeitig das Gewahrsein entdecken, das bedingungslos ist.

      Aus diesem Grund ist die beste Haltung gegenüber scheinbaren Hindernissen in der Meditation, nicht zu versuchen, sie möglichst schnell auszuräumen, sondern sich gerade mit den schwierigen Momenten anzufreunden, ihnen wertfrei zu begegnen und dort mit größerer Aufmerksamkeit zu verweilen. Es sind genau diese Momente, in denen wir Selbstgrenzen entdecken können und in denen ein großes Potential für innere Freiheit steckt.

       • Was empfindest du als typische Hindernisse in deiner Praxis? Wie kämpfst du dagegen an? Welche Art von Vorstellung führt dazu, dass du dies als störend empfindest? Wie wäre deine Meditation ohne diese Vorstellung?

       • Oft sind auch die sogenannten Hindernisse (z. B. Schmerz) bereits ein Ergebnis von inneren Widerständen. Untersuche, wenn „schwierige“ Dinge in der Meditation auftauchen, ob es Widerstände gibt, die zu dem störenden Erleben führen.

       • Wenn unangenehme oder störende Zustände in der Meditation auftauchen, erinnere dich an die unbedingte Annahme des Gewahrseins und sag dir innerlich: „Das darf sein.“

16 Und immer wieder das Denken

      Fragen wir Meditierende, was sie am meisten davon abhält, in der Gegenwart zu sein, dann würden sie wohl sagen: das Denken. Denken scheint das Haupthindernis zu sein für ein Leben in der Gegenwart. Tatsächlich drehen sich viele Meditationsanleitungen darum, wie wir aus dem Denken aussteigen können. Dabei entsteht schnell der Eindruck, dass Denken ein Problem sei und wir uns vom Denken befreien müssten.

      Aber unsere Gedanken sind nicht das Problem. Wenn wir nicht denken könnten, dann hätten wir tatsächlich ein Problem. Gedanken sind genauso natürliche Bewegungen unseres Geistes wie Atmen, Spüren oder Hören. Achtsamkeit bedeutet nicht, die natürlichen Bewegungen in unserem Geist zu unterdrücken. Auch innere Stille ist kein Zustand, in dem jede Regung in uns schweigt. Der Versuch, nicht zu denken, ist genauso unnatürlich, wie zu versuchen, nicht zu spüren oder nicht zu hören.

      Die Gedankenbewegung wird oft mit den Wellen auf dem Meer verglichen. Niemand würde auf die Idee kommen, die Wellen des Meeres glatt streichen zu wollen. Das Auf und Ab der Wellen ist natürlich und nimmt der Weite und Tiefe des Meeres nichts. Auch würde niemand versuchen, die Wolken am Himmel zu vertreiben. Wolken sind natürliche Phänomene am Himmel, sie können nicht die grenzenlose Ausdehnung des Himmels einengen.

      Auch das Denken nimmt dem Gewahrsein nichts. Lediglich das Verlorensein in Gedanken verstellt uns den Blick auf die Weite und Offenheit des Gewahrseins. Wenn es also überhaupt ein Problem für die Achtsamkeit gibt, dann sind es nicht die Gedanken, sondern das Verlorensein in unseren Gedanken. Wir sind uns dabei nicht mehr des Denkens bewusst, sondern wir lassen uns durch Gedanken in innere Geschichten hineinführen, die dann unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

      Meditation

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