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ein unbedingtes, freies Gewahrsein.

       • Wie sind dein Erleben und deine Aufmerksamkeit, wenn du gehst, um irgendwo hinzukommen, oder wenn du gehst, um zu gehen?

       • Wie erfährst du ein Glas, wenn du trinkst, und wie, wenn du es absichtslos mit sensitiver, lauschender Wahrnehmung erkundest?

       • Erinnere dich zu Beginn der Meditation an die unbedingte Absichtslosigkeit des Gewahrseins.

      9 Unmittelbar sein

      Gegenwärtigsein bedeutet, unmittelbar mit den Dingen in Kontakt zu sein. Unmittelbar atmen, unmittelbar die Empfindungen im Körper spüren und unmittelbar die Geräusche im Raum hören. Was verstehen wir konkret unter Unmittelbarkeit? Das Wesen der Unmittelbarkeit besteht darin, dass es zwischen Subjekt und Objekt keinen Abstand, keine Filter und letztlich auch keine Trennung gibt. Es ist nichts dazwischen.

      In der Alltagswahrnehmung dagegen gibt es eine Menge Filter und Assoziationsketten in unserem Geist, die verhindern, dass eine direkte Berührung mit dem augenblicklichen Geschehen zustande kommt. Wenn wir zum Beispiel eine Vogelstimme hören, taucht in unserem Geist sofort eine Assoziation von einem Vogel auf. Oder wenn wir in ein vertrautes Gesicht sehen, werden bei der Betrachtung des Gesichtes sogleich bekannte Gefühle und Gedanken hinzugefügt. Je vertrauter uns ein Gegenstand oder eine Person ist, desto mehr automatische Verknüpfungen gibt es in unserem Geist und desto schwieriger ist es, wieder ganz neu und unverstellt wahrzunehmen.

      Unmittelbarkeit ist aber ein unverstellter, unvoreingenommener Blick auf die Dinge. Es bedeutet, die vertrauten Bilder und Erinnerungen in unserem Kopf für einen Augenblick ganz beiseite zustellen und uns ganz frisch, mit neuen Augen, einzulassen und in Kontakt zu gehen. Kontakt wiederum bedeutet ein bewusstes „in Verbindung sein“.

      Oft wird Achtsamkeit in der Meditation als ein Vorgang verstanden, bei dem es darum geht, die Dinge mit Abstand zu betrachten. Doch dieses Vorgehen verstärkt die Trennung von Subjekt und Objekt in unserem Geist, die das Ego unbewusst erzeugt. Da gibt es innen und außen, ich und die anderen. Alles bleibt für sich.

      Einssein ist unmittelbarer Kontakt. Gegenwärtigsein in der Meditation ist die Praxis, immer unmittelbarer mit der gegenwärtigen Erfahrung in Fühlung zu kommen. Wie fühlt sich dieser eine Atemzug konkret an? Wie klingt es, wenn wir dem Gesang eines Vogels lauschen, als hätten wir noch nie zuvor einen Vogel singen hören? Wie erfahren wir eine Verspannung in der Schulter, wenn wir in diese ohne Abwehr und ohne Vorstellung von Zeit eintauchen?

      Unmittelbarkeit lässt uns die Welt neu erfahren. Wenn wir die Filter in unserem Geist ablegen und unvoreingenommen in die gegenwärtige Erfahrung eintauchen, entdecken wir, dass es keine Erfahrung gibt, die nicht sinnlich und erfüllend ist. Sogar Schmerz verändert in der Unmittelbarkeit seinen Charakter und verliert seine Bedrohlichkeit. Wir entdecken, dass alles erfüllend sein kann und dass wir zutiefst mit allem verbunden sind.

       • Betrachte einen bekannten Gegenstand (z. B. einen Stuhl) und beobachte, welche bekannten Verknüpfungen dabei auftauchen.

       • Lege bewusst alle Vorstellungen und Erinnerungen beiseite. Erkunde diesen Gegenstand nochmals ganz unvoreingenommen. Wie ist die Erfahrung jetzt?

       • Experimentiere in der Meditation: Wie ist es, Objekte mit innerem Abstand zu beobachten? Wenn du dagegen innerlich in einen unmittelbaren, unverstellten Kontakt mit der gegenwärtigen Erfahrung gehst, wie erfährst du dann Gegenwärtigsein?

      10 Dem Leben vertrauen

      Meditation heißt, dem Pfad der Gegenwart zu folgen. Wir lassen uns dabei nicht von einer spirituellen Lehre leiten oder einem/r Meditationslehrer/in, auch nicht von unseren Vorstellungen und Ansprüchen, sondern vom konkreten Leben, das sich uns von Moment zu Moment offenbart. Wir folgen Schritt für Schritt der Gegenwart. Der Weg entsteht im gegenwärtigen Augenblick vor unseren Augen.

      Der innere Pfad, der uns leitet, bildet sich erst im Gehen. Er steht noch nicht fest und niemand kann den Weg vorhersagen. Nicht einmal wir selbst. Woher auch könnten wir wissen, welche Empfindung, welches Geräusch oder welcher Gedanke als Nächstes in uns auftauchen will?

      Wenn wir im Nebel gehen und keine zwei Schritte weit sehen können, wie bewegen wir uns fort? Wir können immer nur den nächsten Schritt wagen, uns auf diesen einen nächsten Schritt einlassen, dem einen nächsten Schritt vertrauen. Wenn wir nicht wissen, welche Erfahrung in der Meditation als Nächstes in uns auftaucht und alle Vorstellungen beiseite lassen, können wir auch hier nur der nächsten Erfahrung, die in der Gegenwart auftaucht, vertrauen. Immer dem einen nächsten Schritt vertrauen, ihn zulassen, ihm folgen und uns führen lassen von der tatsächlichen Erfahrung, die jetzt entsteht und jetzt und jetzt …

      Wir vertrauen darauf, dass durch das Zulassen des nächsten Schrittes … und wieder des nächsten … ein Weg entsteht, der uns leitet und uns immer weiter führt. So vertrauen wir uns einer inneren Führung an, die aus der Gegenwart entsteht und einen tiefen Kontakt mit uns selbst entstehen lässt. Schritt für Schritt kommen wir zu uns selbst und darüber hinaus zu unserer innersten spirituellen Wahrheit. Es ist, als ob wir dem Leben die Hand reichen und sagen: „Ich bin blind und kenne den Weg nicht. Bitte führe mich!“

      Die innere Führung kann sich nur entfalten, wenn wir uns anvertrauen. Wie kann uns jemand führen, wenn wir glauben, dass wir es besser wissen, wohin der Weg geht? Das wird bestenfalls ein Kampf, aber bestimmt kein anmutiger Tanz. Tanzen ist die Kunst, sich hinzugeben und sich führen zu lassen. Wenn wir uns innerlich nicht anvertrauen und uns führen lassen, wird unsere Meditation zu einem inneren Machtkampf: „Jetzt soll es in mir ruhig werden. Jetzt sollen die Gedanken aufhören. Jetzt soll die Verspannung in der Schulter sich auflösen …“

      Sich-führen-Lassen ist jedoch vollkommen anders. Es ist eine Haltung von Offenheit und Hingabe. Eine Hingabe an das Jetzt. Unser Tanzpartner in der Meditation ist das Leben selbst. Dabei meint der Begriff „Leben“ hier nichts Abstraktes, sondern etwas sehr Konkretes: Es geht nämlich um das jetzige Leben, um diesen Augenblick. Das Leben steht wie ein richtiger Tanzpartner ganz konkret vor uns und reicht uns die Hand.

      Können wir diesem Atemzug, diesem Hören und diesem Gefühl, wie immer wir es gerade empfinden, die Hand reichen und uns führen lassen?

       • Stell dir vor, du tanzt mit dem Leben und lässt dich vertrauensvoll führen. Schlüpf körperlich in diese Haltung hinein und erforsche das Erleben dabei.

       • Wie erfährst du es, aus dieser Haltung heraus zu meditieren?

       • Was hindert dich innerlich daran, dem gegenwärtigen Moment zu vertrauen?

11 Die Illusion von Kontrolle

      Nicht selten findet sich die Vorstellung, dass man mit Achtsamkeit das Leben in den Griff bekommen könne: „Wenn ich nur genügend achtsam wäre, dann würden nicht so viele Gedanken in mir auftauchen. Wäre ich nur achtsamer gewesen, dann wäre mir dieser Fehler nicht passiert.“ Achtsamkeit wird hier mit Aufpassen und Kontrolle assoziiert. Das impliziert, dass Achtsamkeit es uns ermöglichen würde, das Leben fest im Griff zu haben und keine Fehler mehr zu machen.

      Diese Idee von Achtsamkeit ist aus dem Ego geboren, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Leben berechenbar zu machen und zu kontrollieren. In einem begrenzten, alltagsbezogenen Sinne hat dies auch seine Berechtigung. Wir müssen lernen, uns im Leben zurechtzufinden und planvoll zu handeln. Unsere Fähigkeit der Achtsamkeit dazu zu nutzen, macht Sinn.

      Diese Form der Achtsamkeit aber auf die Meditation zu übertragen, führt in die falsche Richtung. Achtsamkeit im Sinne von Gegenwärtigsein ist kein Instrument der Kontrolle und der Perfektionierung, sondern ganz im Gegenteil ein wirkungsvolles Instrument, um die Illusion der Kontrolle zu durchschauen. Je achtsamer wir die Dinge in der Unmittelbarkeit betrachten, desto deutlicher sehen wir, dass wir nichts im Griff haben.

      Die Dinge geschehen aus einer ungeheuren Komplexität heraus. Bei genauerer Betrachtung ist es nicht möglich,

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