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gar nicht so leicht, sich unter fünfen auf einen Namen zu einigen, dachte ich, weil Richard es dachte.

      »… Q … R.«

      Der Tisch fiel auf seine Füße und rührte sich nicht mehr.

      »R«, stellte Meisner fest. »Wie lautet der zweite Buchstabe?«

      Der Tisch fing brav sofort wieder an. Es flutschte. »… E … F … G …«

      »Rosenfeld?«, fragte ich. »Heißt du Rosenfeld?«

      Der Tisch antwortete mit einem Ruckler für Ja.

      In diesem Moment veränderte sich etwas. Schloss, See, Wind und Nacht entrückten sich uns. Als ob sich eine Glocke über uns gestülpt hätte, damit wir allein sein konnten mit Gabriel Rosenfelds Geist.

      »Kennst du deinen Mörder?«, fragte ich.

      Der Tisch wackelte zweimal. »Nein«, sagte Meisner.

      Schade!, dachte ich. Oder war es Richard, der das dachte? Er hätte es spöttischer denken müssen als ich.

      »Ist Juri Katzenjacob dein Mörder?«, fragte ich, ehe Meisner was anderes fragen konnte.

      Der Tisch kippte zweimal. »Nein«, übersetzte nicht Meisner, sondern Roswita Kallweit. »Er ist es nicht.«

      »Kennst du das Motiv?«, fragte Meisner. »Weißt du, warum du sterben musstest?«

      Der Tisch neigte sich fast zögernd der jungen Staatsanwältin und dem Leitenden Oberstaatsanwalt zu, kippte zurück auf seine Füße und blieb still stehen.

      »Ja?« Meisner klang erstaunt.

      Jetzt wurde es ernst. Keiner im Kreis hätte noch seine Hände heben und sich vom Tisch lösen können. Nicht einmal Richard, der, wie ich deutlich spürte oder auch nur vermutete oder hoffte, standhaft blieb und nicht eine Sekunde lang glaubte, es spräche irgendetwas anderes zu uns als wir selbst, eine Gruppe, die sich nach den Regeln der Chaostheorie selbst organisierte und dabei die Verantwortung für die Bewegung des Tischs von sich weg delegierte, weshalb jeder Einzelne von uns das eigene Zutun nicht mehr spürte. Deshalb fürchtete Richard sich auch nicht. Noch nicht.

      Meisner war die Erste, der einfiel, wie wir die nächste Frage stellen mussten. »Ist das Motiv … äh … Habgier?«

      Gut gefragt, dachte Richard.

      »Nein«, kippelte der Bistrotisch.

      »Eifersucht?«, fragte die junge Staatsanwältin fast schrill.

      »Nein.«

      »Neid?«, fragte ich und dachte an die stellvertretende Institutsleiterin Dr. Derya Barzani, die sich die Aussicht, Institutsleiterin zu werden, erkämpft haben mochte, wenn sie schon Rosenfelds sehnigen Körper an das Sonnenscheinchen hatte abtreten müssen. Wieso, fragte ich mich, hatte Rosenfeld bei seinem Tod Trekkingstiefel angehabt?

      »Nein.«

      »Hass?«, fragte die junge Staatsanwältin.

      Der Tisch kippte zweimal und blieb dann still stehen. »Nein.«

      »Herrschsucht?«, fragte ich.

      Damit konnte Rosenfelds Geist in unseren Händen nichts anfangen. Der Tisch rührte sich nicht. Zu theoretisch, hörte ich Richard denken. Er schmunzelte dabei.

      »Hat es mit deiner Arbeit zu tun?«, fragte Meisner.

      Der Tisch hüpfte geradezu befreit: »Ja.«

      Kurz kreiste Ratlosigkeit. Was tat ein Parapsychologe den ganzen Tag? Geisterfotos angucken, die man ihm schickte, Poltergeister mit Mikrofonen verfolgen, sich Berichte von Spukhäusern anhören, selbsternannte Medien wie das der Haunt Hunters entlarven, auf Kongressen Vorträge halten, Bücher schreiben … Was davon brachte ihn in Gefahr, ermordet zu werden?

      »Hast du einen Fehler gemacht?«, fragte ich.

      Der Tisch wäre beinahe umgefallen, fing sich aber und fiel zurück auf seine Ständerfüße. »Ja«, stellte Meisner fest.

      Dann kippte der Tisch noch mal. »Also nein.«

      »Wir kommen nicht drauf«, sagte Roswita auf ihre katzenniedliche Art. Sie legte sogar den Kopf mit den langen schwarzen Haaren schief. »Sag uns den Grund, lieber Geist.«

      Die Buchstabenzählerei fing wieder an. Der Tisch schaukelte zügig. »… C, D, E …« Er tanzte regelrecht. Er machte Anstalten, uns davonzulaufen. Wir hatten Mühe, unsere Hände dranzuhalten.

      »… I, J, K, L, M, N, O, P, Q …«

      Was kann jetzt noch kommen?, fragte ich mich. Motiv mit R? Rache. Das hatten wir nicht gefragt. Doch schon war es vorbei. »… S, T, U, V.« Stillstand.

      »V!«, rief Roswita.

      Was fängt mit V an?

      »Und weiter?«, forderte Meisner.

      Diesmal blieb er bei E stehen.

      Da hatte einer von uns eine klare Vorstellung, was gesagt werden musste. Oder hatten wir aus Verlegenheit den häufigsten Buchstaben gewählt, der alles offenließ? Der nächste Durchlauf landete bei R. »Ver…, Ver…«, murmelte Krautter.

      »Verschwörung?«, fragte ich.

      »Ja«, kippte der Tisch.

      Das Ergebnis hatte jetzt ich vorgegeben. Interessant. Dabei war ich gar nicht der Typ, der die Truppen hinter sich scharte und auf ein gemeinsames Ziel einschwor. Ich kannte mich nur als Einzelgängerin. Ich war der Querschläger in jeder Runde. Meine Frage nach der Herrschsucht als Grundmotiv allen mörderischen Handelns hatte das Kollektiv ignoriert. Nicht verstanden.

      »Verschwörung? Was für eine Verschwörung denn?«, fragte Meisner verärgert.

      Hatte ich das Wort Kalteneck-Verschwörung an diesem Abend gebraucht? Nein. Den Titel hat die Angelegenheit erst später von der Presse bekommen. Damals dachte noch niemand an eine Verschwörung. Man hatte Juri Katzenjacob verhaftet, den Malergesellen mit emotionalen Defiziten und perversem Interesse für blutige Leichen. Oder wusste einer in der Runde mehr? Andererseits dachten wir immer gleich an Verschwörung, wenn etwas aus dem Ruder lief.

      Der Tisch kippelte herum und blieb plötzlich stehen. Niemand hatte mitbuchstabiert. Doch, einer: Richard. »N«, sagte er.

      Ich war erleichtert. Also war ich es nicht, die hier insgeheim lenkte.

      Der nächste Buchstabe war wieder ein E, das alle Optionen offenließ. Der dritte lautete U.

      »Neu«, sagte Krautter.

      Der Tisch nahm seine Sprünge wieder auf. Ich hörte kaum hin.

      »S!«, rief die Runde.

      Dann kam ein C, schließlich das H.

      Ein kalter Windstoß riss an Roswitas langem schwarzem Haar, die junge Staatsanwältin fröstelte plötzlich in ihrem roten Busenwunder, und ich hörte jemanden – und es war keiner von uns – wispern: Neuschwanstein.

      Der Tisch schien nun außer Rand und Band. Er hüpfte uns fast unter den Händen fort. Meisner lachte. Aber das beeindruckte ihn nicht. Er war in Fahrt und nicht zu bremsen, und bis zum W war es weit. Warum wunderte es mich nicht? Und die andern kamen immer noch nicht drauf.

      »Neuschwwwww…«

      Ein Kippler.

      »A!«

      Da geschah es. Im Augenwinkel sah ich einen Lichtblitz. Es knallte. Enten flatterten auf und schnatterten. Ich spürte, wie Richard neben mir zusammenzuckte. Ein Glas auf der Brüstung zerplatzte, Krautter, der der Brüstung am nächsten stand, sprang beiseite, Scherben klirrten.

      Ich hörte uns atmen. Es war da, das Grauen. Wie das Kind fühlte ich mich, das mit einer Freundin einst in Todesangst im Gebüsch bei der alten Fabrik gehockt hatte, von der es hieß, dort lebe ein Landstreicher, der Kinder stehle und ermorde.

      »Habt

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