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      Pause.

      »Dabei kommt Telefonieren der Sache doch schon relativ nah, nicht wahr. Nur dass man am Telefon nicht schweigen sollte. Da kommt der Geist nicht, da geht er, vielmehr, er legt auf.«

      Wieder dieses humorlose Gekicher.

      »Stellen Sie die Kuh über den Eimer, Kitty. Hat Ihr Medium, wie hieß sie noch gleich, ach ja, Janette … hat sich Rosenfelds Geist bei Janette gemeldet oder was?«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Wie bitte?«

      »Ich habe alles über die schreckliche Tat in der Zeitung gelesen. Wir …«

      Ich unterbrach sie: »Kannten Sie Rosenfeld?«

      »Wie man es nimmt. Ich war einmal bei ihm im Institut. Ich hatte ihm Bildmaterial von uns geschickt von einer PU …«

      »Was?«

      »Einer Parapsychologischen Untersuchung. Im Sigmaringer Schloss. Da standen wir noch am Anfang. Ich hatte mir von ihm Tipps und Unterstützung erhofft. Aber er hat es nicht einmal für nötig befunden zu antworten. Das Material zurückgeschickt hat er uns auch nicht. Da bin ich nach Holzgerlingen gefahren. Er hat mir dann ziemlich arrogant erklärt, dass wir Scharlatane wären und dem Ansehen der Parapsychologie schaden würden. Im besten Fall wären wir nur dumm und naiv, im schlimmsten Betrüger. In jedem Fall müsste man uns das Handwerk legen. Dabei nehmen wir kein Geld für unsere PUs. Wir arbeiten ehrenamtlich.«

      »Dankbare Spenden werden aber sicher gerne angenommen.«

      »Manche wollen eben unbedingt etwas geben. Rosenfeld hat schließlich auch kassiert. Die eine Stunde beim Professor, wo ich mich habe abkanzeln lassen, hat mich 25 Euro gekostet.«

      »Ja, wir sind alle Nepper. Ich koste hundert Euro pro Stunde.«

      Kitty schluckte. Der Verstärker rauschte hoch. Bei manchen Leuten sind Scherze ein echter Konversationsstopper.

      »Wofür denn?«, fragte sie nach reiflicher Überlegung.

      »Ihnen mache ich es gratis. Was wollten Sie mir denn nun erzählen über Ihr Medium und Rosenfeld?«

      »Ja, also … Janette hatte ein Erlebnis. Ich vertraue ihr da. Janette hat etwas gespürt, sagt sie, das mit Rosenfelds Tod zu tun hat. Sie hat eine große Gefahr gespürt. Wir haben überlegt, ob wir nicht im Institut mal eine PU machen sollten.«

      Ich musste lachen.

      »Sie haben doch den Artikel über Rosenfelds Tod geschrieben«, fuhr Kitty fort. »LiN, das ist doch Ihr Kürzel, nicht wahr, und da dachte ich, Sie könnten …«

      »Aber der Fall ist geklärt. Der Tatverdächtige sitzt ein. Ach ­übrigens, er soll aus Sigmaringen stammen. Kennen Sie ihn?«

      Pause. »Die Eltern hatten die Bäckerei, bis zu dem tragischen Unfall. Sie hatten ihn adoptiert, als er so fünf oder sechs war.« Sie druckste.

      »Was ist passiert?«

      »Ich weiß nicht. Na ja, er hat sich in mich verknallt. Da war er sechzehn, siebzehn. Ich bin ja nun ein gutes Stück älter. Er hat mich auf der Straße gestellt und wollte es wissen. Ich habe ihm erklärt, dass ich einen Freund habe und so. Darauf drehe ich mich um und gehe weg. In meinem Rücken fühle ich seine Augen. Man fühlt das ja. Ich gucke mich um. Da fällt ein Blumenkasten runter, auf meine Schulter. Hätte ich mich nicht umgeschaut, hätte er meinen Kopf getroffen, und ich wäre tot gewesen.«

      »Wenn man’s nur immer so genau wüsste.«

      »Ich bin mir absolut sicher. Es hat auch nicht geklärt werden können, wieso der Blumenkasten so plötzlich heruntergestürzt ist.«

      Ich hustete das Unheimliche zurück zu ihr. »Warum ist er nach Böblingen in die Lehre gegangen?«

      »Kann ich nicht sagen. Schwierigkeiten mit den Eltern, nehme ich an. Es waren liebe, aber etwas starre Leute.«

      »War bekannt, dass er tote Tiere fleddert?«

      »Also mir persönlich nicht. Und ich kann mir das auch nicht vorstellen. Die Polizei wird sicher gute Gründe haben, warum sie ihn verhaftet, aber …«

      »Hat sie.«

      »Das ist auch nicht mein Thema. Aber wo Rosenfeld sich jetzt bei Janette gemeldet hat.«

      »Und was will er?«

      »Also, das klingt jetzt vielleicht etwas seltsam, aber er … also er kann nicht zur Ruhe kommen. Er hat ein großes und schreckliches Geheimnis.«

      Ich kramte nach meiner Zigarettenschachtel und zündete mir eine an.

      »Ich weiß«, nahm Kitty den Gesprächspfad wieder auf, »Sie halten mich vermutlich für verrückt. Wer sich wie ich seit Jahren in der Welt der Geister bewegt, merkt manchmal gar nicht, wie befremdlich das auf Menschen wirkt, die keine spirituellen Erfahrungen haben.«

      »Na!« Es ärgerte mich ganz grundsätzlich, dass eine gut zehn Jahre jüngere Frau mir Erfahrungen absprach, egal welcher Art.

      »Am leichtesten finden wir Lebenden Kontakt zum Geist eines Verstorbenen am Ort seines Todes.«

      »Und Sie erwarten jetzt von mir, dass ich die Leute vom Institut überzeuge, dass Ihre Agentur dort eine PU machen kann?«

      Pause.

      »Okay«, sagte ich. »Ich werd’s versuchen. Der Spaß ist es mir wert. Allerdings geht dort derzeit niemand ans Telefon.«

      7

      Im Fernsehen sah ich einen Bericht darüber, wie Japan seine Kinder auf Erdbeben vorbereitet. Nach den ersten Stößen, die senkrecht verlaufen, haben sie dreißig Sekunden Zeit, unter Tischen und Decken Schutz zu suchen, bevor die waagrechten Stöße beginnen, die Häuser zum Schwanken und Fensterscheiben zum Bersten bringen. Und schon bebte in Japan die Erde und erzeugte nicht nur verheerende horizontale Stöße, sondern auch einen Tsunami, der reichlich zwanzigtausend Menschen mitnahm und vier Meiler im Atomkraftwerk Fukushima zerschlug. Am Abend war klar, dass die Kernschmelze begonnen hatte. Die zufällig für den Samstag seit langem geplante Menschenkette gegen Atomkraft zwischen Stuttgart und Neckarwestheim wurde ungeahnt enggliedrig. Und jählings begriff unsere Kanzlerin, dass ein Ereignis, dem man eine Eintrittswahrscheinlichkeit von einmal in fünfhundert oder einer Million Jahren bescheinigt hatte, auch sofort passieren konnte. Zumindest erklärte sie, dies begriffen zu haben.

      »Als Physikerin hätte sie es eigentlich besser wissen müssen«, bruddelte Richard. »Und wenn ihr jetzt behauptet, ihr hättet immer schon gewusst, dass so was passieren würde, ist das natürlich genauso realitätsfern.«

      »Wer wir?«

      »Ihr Atomkraftgegner.« Oberstaatsanwalt Dr. Richard Weber schaltete in den zweiten Gang und warf mir einen kurzen Blick zu. »Vor dem, was jetzt passiert ist, habt ihr immer Angst gehabt. Was nur zeigt, dass das menschliche Gehirn nicht für Wahrscheinlichkeitsrechnungen gemacht ist. Wie sonst können Leute bei einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 14 Millionen glauben, sie könnten im Lotto gewinnen.«

      Das ließ er mich auf der Fahrt nach Ludwigsburg wissen, wo Kollegin Meisner im bereits hochsommerlich warmen April im Seeschloss Monrepos ihren fünfzigsten Geburtstag feierte. Am Ufer spielten die Mücken, Wasser gluckste unter den Ruder- und Paddelbooten. Im Saal lärmte eine Band, was nicht nur die Raucher auf die Terrasse trieb. Richards Neigung, aus jedem Geplauder eine schwäbische Grübelei zu machen, hatte seinen – unseren – Bistrotisch zum Zentrum einer Diskussion über die Wahrscheinlichkeiten gemacht, dass jemand in einer Disserta­tion Fehler entdeckte oder sich in einem deutschen Atomkraftwerk eine Kernschmelze ereignete.

      »Ich habe Angst vorm Fliegen«, gab eine junge Staatsanwältin in leuchtend roter Busenverpackung zu. »Dabei habe ich kürzlich gelesen, dass das Risiko für einen Absturz bei 1 zu 150 000 steht und man 67 Jahre lang ununterbrochen fliegen müsste, um …«

      »Das

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