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und Maden unterm Türritz hervorkrochen.

      Als ich mit Cipión wieder in die Neckarstraße bog und mein Blick auf den von Anti-Terror-Strahlern erleuchteten Bunker der Staatsanwaltschaft fiel, klingelte mein Handy.

      »Meisner!« Der Name der Staatsanwältin fiel dunkel auf die Waagschale meiner Schuld. »Wieso waren Sie wieder mal vor Ort, bevor die Polizei eingetroffen ist? Das kann doch kein Zufall sein. Langsam glaube ich an widernatürliche Kräfte.«

      »Ich auch. Wenn Sie aus dem Fenster schauen, können Sie mich sehen. Ich winke.«

      »Sie wissen doch, dass mein Fenster nach hinten rausgeht.« Sie schaute auf den Parkplatz mit den vom Dezernat für Wirtschaftsdelikte konfiszierten Autos von Betrügern und Steuerhinterziehern.

      »Dann sind Sie zuständig? Nicht Tübingen?«

      »Und ich möchte umgehend die Fotos sehen, die Sie gemacht haben. Wieso muss ich das von der Polizei erfahren, und wieso hat die es nur von einer Zeugin erfahren?«

      »Sie sind nichts geworden, Frau Meisner. Es sind nur Gespenster drauf.«

      »Gespenster?«

      »Lichteffekte, schwarze Schatten, alles unscharf. Nur auf einem ist die Lage der Leiche zu erahnen. Ich schicke es Ihnen per Mail.«

      Meisner schnaufte besänftigt. »Sie schicken mir alle!«

      Die Ampel ließ mich über die Straße. »Stimmt es, dass der Leiche das Herz fehlt?«

      »Dazu kann ich nichts sagen, Frau Nerz. Wir müssen das rechtsmedizinische Gutachten abwarten.«

      »Wo wird er obduziert? In Tübingen?«

      Das durfte und konnte sie mir sagen. »Ja.«

      »Hätte man nicht den Rechtsmediziner zum Fundort bitten können? Das ist doch alles sehr merkwürdig. Die zugeklebten Augen, der zugeklebte Mund …«

      »Haben Sie mir nicht gerade eben erklärt, Ihre Fotos seien nichts geworden?«

      »Ich habe vorher mit einem Spiegel hineingeschaut.«

      Meisner seufzte. »Aber bitte nichts in der Presse!«

      »Zu Befehl. Ich habe übrigens ein ganz ungutes Gefühl«, sagte ich unbedacht, während ich nach meinem Hausschlüssel suchte.

      »Ich habe immer ein ungutes Gefühl bei einer Leiche«, antwortete die Staatsanwältin.

      Verdammt, wo war der Schlüssel? Eine Katastrophe bahnte sich in mir an. »Das ist irgendwas Großes! Was ganz Hässliches! Ich finde meinen Hausschlüssel nicht.«

      »Wenn man was sucht, muss man den Weg noch mal von Anfang an gehen. Haben Sie ihn überhaupt eingesteckt?«

      Die Gute, immer praktisch. Also zurück auf Anfang. Aber ich konnte mich beim besten Willen nicht erinnern, wie ich vor einer halben Stunde mit Cipión meine Wohnung verlassen hatte. Leere im Kopf. Man muss sich immer an das erinnern, woran man sich nicht erinnern kann, dann ist das Problem für alle Zukunft gelöst. Das Paradoxon der Freud’schen Schulpsychologie. Lisa Nerz ist eine Neurose.

      Wie soll ich jemals den Anfang finden? Meinen Moment geistiger Instabilität, wo ich Teil der Verschwörung wurde? Ich bin immer geistig instabil. Als Todt Gallion mit seinem Porsche und mir gegen den Birnbaum fuhr, hatten wir uns gestritten. Doch in der Sekunde, als er von der Fahrbahn abkam, war ich nicht mehr bei der Sache gewesen. Ich hatte an was anderes gedacht. An was? An die drückenden Schuhe? An den drohenden Geburtstag meiner Mutter? Und da war noch etwas gewesen. Ich erinnere mich plötzlich an mein Gefühl: an einen unendlichen Überdruss, an Sehnsucht nach woanders, eine kraftlose Sehnsucht ohne Ausblick. Gedankenlos und lebensunlustig befand ich mich in dieser Nacht auf einer Landstraße in einer Ehe, die nicht mehr meine war. Als ob ich kurz vergessen hätte, die Leine immer schön straff zu halten. Prompt war mein Schicksal ausgeschlenkert. Todt war tot, ich im Krankenhaus und ganz wer anderes mit ganz anderer Zukunft. Ja, immer wenn etwas passierte, was Lebenswege umkehrte, hatte ich gerade nicht richtig aufgepasst.

      Plötzlich hatte ich den Hausschlüssel in der Hand.

      6

      Noch in der Nacht nahm die Polizei den 23-jährigen Maler­gesellen Juri Katzenjacob in Böblingen unter dringendem Tatverdacht fest. Am folgenden Tag erging richterlicher Haftbefehl. Auf einer Pressekonferenz teilten Staatsanwaltschaft und Polizei mit, dass der Beschuldigte am Freitag auf Burg Kalteneck im unteren Stockwerk die Toilettentüren gestrichen habe. Seine DNS habe sich nicht nur dort, sondern auch in Rosenfelds Büro gefunden. Außerdem habe man in seiner Böblinger Wohnung, die er sich mit einem Kollegen teilte, ein Paar Arbeitsschuhe mit Anhaftungen vom Blut des Opfers sichergestellt. Nach der übrigen Kleidung, die massive Blutspuren aufweisen müsse, werde intensiv gesucht. Der Beschuldigte habe zur Tat keine Angaben gemacht. Auf seinem Computer habe man reichlich Bildmaterial von Tiertötungen sowie Filme und Fotos mit wüst zugerichteten Leichen von allen Kriegsschauplätzen dieser Erde gefunden.

      Die lokale Presse fand schnell heraus, dass der nette Junge von nebenan mit neun oder zehn angefangen hatte, Kaninchen die Beine auszureißen und sie aufzuschneiden. Seine Kindheit hatte er in Sigmaringen verbracht. Seine Eltern waren vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Auf glatter Strecke bei Sommers, einem Ort im Schwäbischen Allgäu, von der Straße abgekommen und gegen eine Mauer geprallt. Man sah Archivfotos eines zermatschten Autos, die Straße, eine Senke und das Schild »Totensteige«.

      »Haben die braven Leute den Teufel an ihrer Brust genährt?«, fragte ein Boulevardmagazin. Das Foto zeigte einen Burschen mit in sich gekehrtem Blick und vorsichtigem Lächeln in der weißen Arbeitskleidung der Maler. Er hatte seine Lehre in dem Böblinger Betrieb gemacht, der ihn anschließend übernommen hatte. Ein netter, höflicher Mensch, sagten die Kollegen unter Kopfschütteln. Fleißig und gewissenhaft.

      Was hatte ihn wohl nach Böblingen verschlagen?

      Staatsanwaltschaft und Ermittler verfolgten eine restriktive Informationspolitik, und schon kurz darauf war für die Medien die Frage interessanter, wie man in Doktorarbeiten richtig zitiert und einen Minister stürzt, der uns mit seinem Charme heillos zu verwirren drohte. Ein Aufatmen ging durch die Republik, als er weg war, wir sanken zurück in die gewohnte Glanzlosigkeit und diskutierten im Fernsehen über die Frage, ob die Revolution in der arabischen Welt den Untergang der westlichen Welt bedeutete. Wie gefährlich ist die Demokratie dort, wo Diktaturen das Weltgefüge zementiert haben?

      Fern aller Weltfragen steuerte Baden-Württemberg in diesen Tagen auf einen Regierungswechsel zu, was nachhaltige Aufregung in Funk und Zeitungen erzeugte.

      Ich dachte schon gar nicht mehr an den Fall Rosenfeld, da klingelte mein Handy. Es war Kitty zu Salm-Kyrburg. Sie fragte, wann denn nun der Artikel über die Geisterjagd im Ludwigsburger Schloss im Stuttgarter Anzeiger erscheine. »Wir haben derzeit andre Themen«, beschied ich ihr. »Außerdem soll es eh ein größerer Artikel über Parapsychologie werden. Woher haben Sie überhaupt meine Telefonnummer?«

      »Aus Facebook.«

      »Hm, ja.« Da hatte ich meinen Privatsphärenschutz wohl etwas nachlässig behandelt. Andererseits war das ja auch der Sinn der Klatsch- und Tratschplattform. Gefunden werden können. »Wie gesagt … ich muss noch recherchieren.«

      »Sie … Sie glauben nicht an diese Sachen. Sie sind Skeptiker.«

      »Und ich lasse mich auch nicht missionieren.«

      Kitty lachte mir ins Ohr. »Das läge mir fern.« Sie machte eine Pause. Wartete auf eine Antwort. Sie gehörte zu denen, die dem Verstärker von Handys jede Menge Raum gaben, sich zu einem Rauschen hochzutunen.

      »Ist noch was?«, fragte ich.

      »Ja, also …« Pause.

      Ich machte auch Pause.

      »Sind Sie noch dran?«, fragte sie.

      »Ja.«

      Kitty kicherte. Es war ein seltsam abwehrendes

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