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folgen konnte. »Ich spüre den Tod«, sagte sie, »das klingt seltsam, aber es ist so.« Zur Bande gehörten noch zwei Jungs mit Schirmmützen, Laptops, Mikros, Diktafon, Infrarotgeräten und Kameras. Für das Spektakel hatte die Schlossverwaltung nur die Schlosskirche und den Fasskeller öffnen wollen. Nebenan im Restaurant feierte eine Hochzeitsgesellschaft die in der Schlosskirche überstandene Trauung. Liebe lag in der Luft. Gerade war hier ein Segen gesprochen worden und zwar ein katholischer, also ein gültiger. Wird sich da ein Gespenst zeigen wollen?, fragte ich mich, während die Geisterjäger von der Bodenseeseite der Schwäbischen Alb Laptops verstöpselten und Messgeräte aufbauten.

      Die Kirche war barock: hoch, aber kurz, nur ein paar dunkle Kirchenbänke lang. Gemalter Marmor, Halbsäulen, Engel und Geschnörkel wucherten, als könnte hier doch noch eine Kathedrale wachsen. Vielfältige Schatten sprangen mit jedem Schritt, den der Kameramann mit seinem Scheinwerfer machte.

      Der Schlossführer plauderte von Spuk und Giftmord. Karl Alexander, der Vater von Carl Eugen, sei am Schlagfluss gestorben oder vergiftet worden. Er hauche die Besucher manchmal an. Wir hockten in den Bänken und atmeten kaum. Kitty und Janette saßen mit geschlossenen Augen in der Mitte. Es gibt Regeln, hatten wir erfahren. Stille ist eine. Warten, bis der Geist einen anfasst, bis es poltert, bis das Gaußmeter einen magnetischen Ausschlag zeigt, der kalte Hauch kommt. Dann ist er da.

      Plötzlich ging das Licht der Kamera aus. Es knallte. Eine Reporterin kicherte noch. Dann Stille. Das ewige Licht am Altar war eines von zweien. Auch Kittys Magnetometer blinkte rot. Dann der Luftzug. Auf einmal stand das Portal der Kirche sperrangelweit offen.

      Da fing auch ich an zu glauben. Es war dann aber doch bloß ein Wächter, der wissen wollte, wann wir fertig waren.

      »Ist noch jemand hier?«, fragte Kitty nach neuerlichem Einstillen ins Barocke.

      Janette zuckte, sagte: »Ja«, und drückte ein traurig-triumphierendes Lächeln in die Mundwinkel. Schande über den, der die Geisterwelt belächelt! Aber niemand lächelte in diesem Moment. Janette hob die Hand und deutete nach links in den Zwickel zwischen Apsis und Querhaus gegenüber der Orgel. Die Jungs peilten mit Kameras und Infrarotthermometern.

      »Da!«, rief die Frau von der Ludwigsburger Kreiszeitung. »Da ist was!«

      Ein Husch, ein Licht. Die Kameras der Haunt Hunters flashten. Sie fotografierten überhaupt unentwegt.

      »Hast du hier gelebt?«, fragte Kitty.

      »Ja«, sagte Janette.

      Es war der Küfer, der letzte des Schlosses, der sich uns über Janette mitteilte, der Fassbauer, vermutlich betrunken.

      Da war’s grad arg gschickt, dass der Fasskeller sich nebenan im Nordostflügel befand. Um dorthin zu gelangen, mussten wir nur zur Schlosskirche hinaus und rechts ins Grün. »­Obacht!«, sagte der Schlossführer. Die Ludwigsburger Kreiszeitung strauchelte und fiel auf das unerwartet abschüssige Rasenstück. Dann ging es hinab in den Tannin-Brodem riesiger alter Fässer, die sich unter dem Tonnengewölbe drängten. Ein Brunnen mit einem Bacchus lachte. Jemand zupfte mich an der Jacke, aber da war niemand. Hu!

      Da hörte Kitty es kratzen hinterm Brunnen und zielte mit dem Gaußmeter. Janette bekam plötzlich keine Luft mehr. Kitty zog sie aus der Brunnennische. Die Jungs tasteten mit Infrarotthermometern den Boden ab. Rote Punkte zuckten. Um den Brunnen herum war es noch mal drei Grad kälter.

      Auch wenn wir uns kurz vor Mitternacht im Schlosshof nicht sicher fühlen durften, waren wir von der Journaille doch erleichtert, wieder draußen zu sein. Man hörte Autos rasen. ­Einige lachten schon wieder. Rasch klickten die Jungs der Haunt Hunter’s Agency ihre Bildbeute durch und spulten die Tonaufnahmen vor und zurück. Und da verging uns das Lachen. Mit triumphierendem Ernst spielte man uns die Stelle vor, als Kitty im Weinkeller ein Knistern gehört und Janette Atemnot bekommen hatte. Dumpf, aber deutlich hörten wir ein: »Ich bin Paul.«

      Außerdem war uns eine Lichtkugel gefolgt. Es war nicht zu leugnen. Auf einem halben Dutzend Bildern kugelte Licht im Dunkel.

      »Und dort … oh, da haben wir ihn ja!« Kittys Gesicht glänzte. »Da sehen wir ihn, unsern Paul!«

      Ja wirklich. Oben links vom Altarraum, wo nur Säulengebälk hätte sein dürfen, war ein Gesicht. Auge, Nase, Mund, natürlich unscharf, aber nicht zu leugnen, nicht wegzudiskutieren.

      »Gab es hier jemals einen Küfer namens Paul?«, fragte ich.

      »Da müsste man in die Personalbücher schauen«, antwortete der Schlossführer.

      Das hat bis heute, soviel ich weiß, niemand getan.

      2

      Um meinen Artikel auf eine seriöse Grundlage zu stellen, ­googelte ich und stieß auf das Institut für Grenzwissenschaften und Parapsychologie in Holzgerlingen. Das war ja gar nicht weit weg über die Dörfer.

      Das Jahr hatte schon spukig begonnen. Beim Silvesterbesäufnis bei Bethe und Christoph waren wir ins Schauergeschichteln gekommen. Sally hatte von einem Bierseidel erzählt, der aus dem Regal sprang, als ihr Vater starb, was sie aber erst später erfuhr. Und Bethe erzählte, dass vor einem halben Jahr ihr kleiner Jan-Marcel beim Wickeln nach dem Opa gerufen habe. Aber der Opa kommt doch morgen wieder. Doch der Opa starb in dieser Nacht. Und ein paar Tage später habe Jan-Marcel beim Baden plötzlich in die Badezimmerecke hochgeschaut, gelächelt und »Opa« gesagt, »da ist der Opa!«. Bethe hatte natürlich nichts gesehen. Am Abend drauf guckte er wieder und war enttäuscht. Der Opa war nicht mehr da. Unheimlich das! Auch mit Silvesterböllern nicht wegzuknallen.

      Das sollten die mir im Institut alles erklären. Ich rief dort an, um über die Sekretärin, die sich motzig meldete, einen Termin mit Institutsleiter Professor Dr. Gabriel Rosenfeld auszumachen. Montag, elf Uhr.

      Wenn ich nur nie mit diesem Spukzeugs in Berührung gekommen wäre! Gern würde ich heute mein System auf den Speicherpunkt davor zurücksetzen. Auf Schwabenreporterin Lisa Nerz, aggressive Konventionsbrecherin ohne Identität, aber mit der Gewissheit, dass der Tod der letzte Punkt menschlicher Brutalität ist.

      Übers Wochenende schneite es. Der Vormittagsstau auf der Auto­bahn nahm bei Böblingen unerwartete Ausmaße an. Dann fand ich in Holzgerlingen trotz Navi die Wasserburg Kalteneck nicht. Ich war zu spät, als ich endlich über den Holzsteg eilte und »Schwabenreporterin Lisa Nerz, ich habe einen Termin mit Professor Rosenfeld« in die Gegensprechanlage rief.

      Der Eingangstür gegenüber stürzte eine steile Treppe in einen Gewölbekeller hinunter, aus dem Gruftmoder heraufstieg. Eine Kette bewahrte mich vor dem Absturz. In der Halle roch es nach frischer Farbe, feuchtem Stein und toten Blumen. Eine neue helle Treppe hatte man ins erste Stockwerk gewinkelt.

      »Der Professor ist aber nicht da«, empfing mich eine sehr junge Frau hinter einem Schreibtisch mit raschem Blick zur einzigen Tür, die geschlossen war.

      »Ich habe um elf einen Termin.«

      »Sie hatten!« Das blonde Sonnenscheinchen an der Tastatur lächelte tückisch. Ihre Figur steckte in einem schwarzen Etuikleid mit aufgeschlitzten Ärmeln, und unterm Tisch scharrten rote Pumps mit mindestens zwölf Zentimeter langen Stielen.

      »Übrigens, ich heiße Lisa«, sagte ich.

      Sie stellte sich mir nicht vor. Schreibkräfte haben nie Namen. Sie war an mir auch gar nicht interessiert. Dass ich kein Mann mit Doktortitel war, senkte ihren Östrogenspiegel, und als Frau stellte ich für das Figürchen im kleinen Schwarzen keine Konkurrenz dar in meinen verschlissenen Jeans mit Bikerjacke, meinem stattlichen Kampfgewicht und den Kriegsnarben im Gesicht. So was Hässliches wie ich gehörte weggepflegt, kaschiert und ignoriert. Die Finger klapperten schon wieder, die Augen klimperten den Bildschirm an.

      »Und wie heißen Sie, mein Sonnenscheinchen?«

      Sie riss die Augen auf. »Desirée … äh … Motzer.«

      »Schöner Name!« Ich rückte an den Tisch. Das Geschöpf wurde dünn und ­schmal. »Gibt es hier sonst noch jemanden? Ich war nämlich auf Geisterjagd

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