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Stimme.

      Ich sprang ans Geländer. Dort ging es einige Meter hinunter. Der See plätscherte an der Treppe mit den Booten. Ich lauschte. Irgendwo beschleunigte ein Auto.

      »Der See war plötzlich ganz hell«, flüsterte die junge Staatsanwältin hinter mir. »Und auf der Insel zwischen den Bäumen, da war was, eine Gestalt, riesenhaft. Ich habe es ganz deutlich gesehen.«

      Krautter hatte nur den Knall gehört, den er als Fehlzündung vom Parkplatz her zu interpretieren suchte, was allerdings nicht überzeugt klang, weil seine Stimme wackelte. Meisner behauptete, es hätte ausgesehen wie ein Kugelblitz. »Er stand rechts neben der Insel.«

      Roswita widersprach mit gellender Stimme: »Nein, es war da drüben, wo die Boote liegen. Es ist senkrecht in den Himmel gestiegen. Rosenfelds Geist.«

      »Hast du auch was gesehen, Richard?«, fragte Meisner.

      Und zu meinem Erstaunen zitterte sogar Richards Stimme. »Es hat geknallt, dann war irgendwo ein Licht. Vielleicht ein Scheinwerfer auf der anderen Seeseite.«

      Aber wieso war auf der Brüstung ein Glas zersprungen? Es war Richards Glas, das mit der Apfelsaftschorle.

      »Jetzt brauch ich einen Schnaps!«, rief Meisner.

      9

      Sie nahm dem Catering-Buben mit den glasigen Augen eine Runde Schnäpse, Bier und Wein ab und schickte ihn heim. Dann saßen wir im toten Partysaal an einem Tisch und versuchten, auf einen Nenner zu bringen, was wir eben gesehen hatten. Ein Lehrstück für die junge Staatsanwältin. Es war nicht möglich, auch nur zwei in der Runde auf ein und dieselbe Wahrnehmung festzulegen. Was war zuerst gewesen? Der Knall oder das Licht? War Richards Apfelschorleglas auf der Brüstung zersprungen oder heruntergefallen? Am Schluss zerbröselte uns alles, und dankbar vertrauten wir uns Richards Plausibilitätssinn an. Vermutlich hatte ein Auto auf dem Spazierweg um den See zu wenden versucht, dabei war sein Scheinwerfer zwischen den Bäumen hindurch über den See geblitzt. Womöglich war er rückwärts gegen einen Stein oder eine Sitzbank gekracht. Was nachts knallt, klingt wie ein Kanonenschlag, wenn man sich im Halbschlaf oder in einer spiritistischen Sitzung befindet. Als es knallte, hatte Krautter sich umgedreht und dabei eines der Gläser gestreift, das auf der Brüstung stand.

      Ich erzählte schließlich von Nina Kulagina, der Meisterin der Salzstreuer, von der Rache des Schachcomputers, dem träumenden PC und dem italienischen Dorf, in dem die elektrischen Geräte in Flammen aufgingen, obgleich sie keinen Strom hatten, und vom Rosenheim-Spuk.

      Als wir endlich das Schloss über die Freitreppe verließen, fragte sich Meisner laut, wie man so einen nannte, der Salzstreuer bewegte. »Medium?« Dann wäre er Mittler zwischen Geisterwelt und gegenständlicher Welt. »Ein Übersinniger«, schlug ­Roswita Kallweit vor. »Psi-Agent«, meinte Richard, der seine auf Pumps taumelnde Kollegin fürsorglich am Ellbogen hielt. »Para­psychopath«, schlug ich vor. »Nein, ich hab’s, man nennt ihn ­Channeler«, trötete Meisner in die schwäbisch stille Nacht zwischen Schloss und Schlosshotel. Sie habe da mal was gelesen – ob zu privaten Zwecken eigener Bewusstseinserweiterung oder nicht, ließ sie offen. Channeln sei das Empfangen oder Senden von Nachrichten über einen geistigen Kanal, den es zu finden gelte, um der dichten, materiellen, niedrig schwingenden Erde in die feinstoffliche Sphäre geistiger Wahrheiten zu entkommen. »Da gibt es Ratgeber dafür! Huch!«

      Richards Hand sicherte sie. »Ich fahre dich am besten nach Hause.«

      Der Leitende Oberstaatsanwalt Krautter war noch nüchtern und vernünftig genug, sich daran zu erinnern, dass Meisners Heim eher an seinem als an Richards Weg lag, nämlich ganz andere Richtung aus Ludwigsburg hinaus, gen Markgröningen.

      Erst in Richards Limousine fühlte ich mich wieder sicher in der Welt. Sie wird zuverlässig geordnet von Ampeln, Pfeilen auf Fahrbahnen, Schildermasten und Halte- und Parkverboten. Mehr braucht kein Mensch, um zu wissen, wo er verweilen darf und wo nicht, wohin seine Reise geht und dass ein U-Turn an dieser Stelle verboten, weiter vorn aber erlaubt ist.

      Auf meinem Handy war, wie ich feststellte, ein Anruf eingegangen, und zwar schon gegen 21 Uhr. Es war eine Nummer mit einer Vorwahl, die ich nicht zuordnen konnte.

      Wir passierten auf breiter Stadtschneise das Blühende Barock, das hinter feudalistischen Mauern und Pforten mit seiner riesigen Schlossanlage und dem Küfer Paul schlummerte, der die kleine Ecke zwischen Kirche, Fasskeller und Glockenstuhl bespukte.

      »Die Vorwahl 07571, wo gehört die hin?«, fragte ich Richard.

      »Sigmaringen.«

      »Ich kenne niemanden in Sigmaringen!«, behauptete ich. »Nein, ich kenne da doch wen: Kitty zu Salm-Kyrburg.«

      »Die Retterin Hohenzollerns.« Richard sprangen die Hirnschubladen wieder von alleine auf. »Amalie Zephyrine von Salm-Kyrburg, geboren 1790 in Paris, verstorben 1841 in Sigmaringen. Sie hat die Souveränität des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen gegenüber Baden und Württemberg behauptet, übrigens auch die von Hohenzollern-Hechingen.« Richard war in Balingen im Schatten der Burg Hohenzollern aufgewachsen.

      »Meine Geister-Kitty betreibt einen Schönheitssalon in Sigmaringen. Und sie kennt Juri Katzenjacob.«

      »Hm.«

      Es war zu spät für einen Rückruf, oder vielmehr zu früh.

      »Aber erschrocken warst du schon auch?«, erkundigte ich mich, als die Häuser links und rechts der fürstlichen Stadt­autobahn, die Ludwigsburg zweiteilte, zurückblieben und wir ins Dunkel der Schnellstraße rollten.

      »Ja!«, antwortete Richard freimütig. »Das war ganz großes Kino. Und weißt du, was mich am meisten erschreckt hat? Dass es irgendwie passte. Ich dachte nämlich gerade: Jetzt läuft alles auf Neuschwanstein raus. Auf König Ludwig und seinen mysteriösen Tod im Starnberger See. Und wenn jetzt Neuschwanstein rauskommt, dachte ich, dann ist das der Beweis, dass es nicht Rosenfelds Geist sein kann. Und bums, kam der Abbruch!«

      »Ein arg verrückter Zufall!«

      »Glaubst du, dass uns wirklich Rosenfelds Geist erschienen ist?«, erkundigte er sich.

      »Nee! Quatsch! Das waren wir selber mit dem, was uns so im Kopf herumspukt. Was hätte Rosenfelds Geist im Seeschloss Monrepos verloren?«

      »Eben. Und zufällig weiß ich, dass unser Vizegeneral Krautter Ende vergangenen Jahres Neuschwanstein besucht hat.«

      Ah ja! Und genau das zu sagen, wenn unsere Séance vorbei war, hatte er sich vorgenommen, als es knallte und blitzte. Und zwar damit vor allem seine Vorzimmerdame Roswita Kallweit nicht in der ganzen Staatsanwaltschaft herumerzählte, sogar der immer so kühle und rationale Oberstaatsanwalt Weber sei hinterher von der Existenz der Geisterwelt überzeugt gewesen. Doch genau dieser Erklärungsbeweis war von einem zufällig in diesem ­Augenblick am Seeufer wendenden Auto vernichtet worden, bevor er entstanden war. Das war selbst schon wieder spukig.

      »Aber das mit Edward Gurney …«

      »Edmund!«

      »Zum Teufel, das hast du erfunden! Ich glaube durchaus an dein Gedächtnis, aber ich weiiiigere mich zu glauben, dass es Randfiguren der britischen Geschichte mit einschließt.«

      Richard warf mir einen zufriedenen Blick zu. »Freut mich, dich noch verblüffen zu können. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, die Edmund-Gurney-Stiftung ist mir in einem anderen Zusammenhang schon einmal untergekommen.« Wenn er so sprach, wollte er den Zusammenhang nicht nennen. Er lenkte auch sofort ab. »Übrigens ist dieser Gurney unter reichlich mysteriösen Umständen gestorben.«

      »Richard, ich bin müde! Was für Umstände?«

      Ich werde nie verstehen, wieso manche Menschen meinen, es sei alles gesagt, wenn über den Tod eines anderen Menschen gesagt wird, er sei nach langer oder kurzer schwerer Krankheit (welcher?) oder aber unter mysteriösen Umständen (welchen?) gestorben. Das hat nichts mit Neugierde zu tun, jedenfalls nichts mit meiner persönlichen. Es ist vielmehr ein soziales Recht zu wissen, woran und wie Mitmenschen

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