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unserer Zeit unterworfen.«

      »Aber sie erscheinen immer nur nachts.«

      »Nein. Wir wissen auch von Tagesspuks. Allerdings ist es nachts ruhiger, weniger Schwingungen. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Nachts schlafen die meisten Menschen. Da sind weniger Gedanken in der Luft, gewissermaßen. Und wir hören die Toten besser.«

      »Aha!« Ich erzählte ihr von unserem Tischrücken.

      Pause.

      »Was sagen Sie dazu?«, schubste ich sie an.

      »Nun … ich war nicht dabei. Daher lässt sich schwer sagen, ob Rosenfelds Geist tatsächlich präsent war oder ob es nur … verstehen Sie … So wie Sie es mir erzählt haben, war es eher ein Gesellschaftsspiel. Ein Partygag. Natürlich kann sich dabei auch etwas ereignen.«

      »Und was halten Sie von dem Hinweis auf Neuschwanstein?«

      »Wie gesagt …« Ihre Stimme versackte in Stille.

      »Verstehe. Wären Sie und Ihre Truppe bereit, eine PU in Neuschwanstein zu machen?«

      Jetzt lachte Kitty laut. »Was glauben Sie, wie oft wir schon versucht haben, nach Neuschwanstein reinzukommen? Ich meine, außerhalb der Besuchszeiten, nachts. Null Chance!«

      Ich überlegte, ob ein Oberstaatsanwalt beim Stuttgarter Landgericht einen Richter bewegen konnte, einen Beschluss zu unterschreiben, der eine spiritistische Sitzung bei Nacht im Schloss Neuschwanstein anordnete. »Dann machen wir es eben bei laufendem Betrieb.«

      »Waren Sie schon mal dort?«

      »Nein. Ich interessiere mich nicht für Adelshäuser.«

      Die Nachfahrin der Retterin von Hohenzollern-Sigmaringen schluckte. Vielleicht war es aber auch nur eine ihrer regulären Pausen. »Ohne Führung kommen Sie da nicht hinein. Und Sie dürfen nicht fotografieren oder filmen. Wir könnten keinerlei Messungen vornehmen und keine Daten sammeln.«

      »Auf den elektronischen Beleg würde ich in diesem Fall verzichten. Wenn Rosenfeld dafür sein schreckliches Geheimnis preisgibt.«

      Das Lustige war, dass ich Kitty gar nicht vom Sinn eines solchen Unternehmens überzeugen musste. Schwieriger würde das bei Richard werden. Und er musste mit. Denn wenn ein Physiker und Psychologe wie Rosenfeld ein Medium suchte, das ihm geistig gewachsen war, dann nicht mich, sondern einen Mann wie Richard mit starkem Verstand und kritischem Sinn, ein Skeptiker, der, wenn er erst einmal überzeugt war, nicht ablassen würde, bis das Rätsel gelöst war. Narben besaß auch er, nur weniger deutlich sichtbare. Sie lagen verborgen unter seiner textilen Schale von Eleganz und Lebensplan.

      Dabei glaubte ich nicht daran. Ehrlich. Aber nach all den Jahren, die ich zuerst für das Emanzenblatt Amazone, dann für den Stuttgarter Anzeiger und jetzt für die Sonntagsbeilagen der Südwestpresse durchs süddeutsche Kuriositätenkabinett geturnt war, hatte ich begonnen, daran zu glauben, dass ich Journalistin war. Und für eine gute Show und eine krasse Story konnte ich meine persönlichen Überzeugungen auch einmal hintanstellen.

      Vielleicht war das der Moment, wo ich Teil der Verschwörung wurde. Als ich nämlich einschwenkte und so tat, als hielte ich es für möglich, dass Rosenfelds Geist uns in Neuschwanstein das Geheimnis seines Todes eröffnen würde, obgleich ich eigentlich nur Richards neuronale Datenbanken anzapfen wollte. Denn insgeheim war ich überzeugt, dass er beim Stehtischrücken einen größeren Beitrag zur Verrätselung der Causa Rosenfeld geleistet hatte, als ihm selbst bewusst war. Statt des rationalen Wegs, ihn so lange zu löchern und zu piesacken, bis er mir verriet, was er bereits wusste, was er ahnte und was er befürchtete, schlug ich den irrationalen ein.

      Den Rest des Nachmittags verbrachte ich im weltweiten Netz. Ich fragte meine Freunde in Facebook, was ihnen zu einer Leiche einfalle, die sich auf einer Wasserburg in einem verschlossenen Zimmer befand. Geheimtüren nicht bekannt, der Weg durch die Fenster nachweislich unmöglich, weil das Eis des Wassergrabens andernfalls hätte beschädigt sein müssen, der Weg durch die Tür ebenfalls verwehrt, weil die Füße des Toten sie versperrten.

      Und ich fand heraus, dass es sich bei dem Flugzeugabsturz, von dessen spukhaften Begleiterscheinungen die junge Staatsanwältin erzählt hatte, um den von 1991 im Westen Thailands handeln musste. Am 26. Mai hatte sich bei einer Boeing von Lauda-Air nahe Bangkok wegen eines Systemfehlers beim Steigflug die Schubumkehr eingeschaltet. Die Maschine stürzte ab, alle 213 Insassen kamen ums Leben. Unter den Passagieren hatten sich hauptsächlich Österreicher, aber auch Deutsche befunden, denn das Flugzeug war auf dem Weg von Bangkok nach Wien gewesen. Ich stutzte. Hatte die junge Staatsanwältin uns nicht erzählt, die Maschine sei auf dem Flug nach Bangkok abgestürzt? Ein Erinnerungsfehler, der zur Schubumkehr für die ganze Geschichte wurde. Denn damit hatte die Tochter der verunglückten Familie nicht drei Nächte vor dem Unglück irgendwas geträumt, sondern – je nach Länge des Urlaubs – ein oder mehrere Wochen vorher.

      Ich dachte an Karin Beckers Erkenntnis, dass sich bei all diesen Geschichten über seltsame Ereignisse die realen Daten in vielfältigen Widerspruch zueinander begaben und die Kraft des Narrativen die Regie übernahm.

      Doch warum tradierte man in der Familie der jungen Staatsanwältin die Legende vom vorher geträumten Unglück? Am meisten aufgeregt hatte sie sich, als Richard in Zweifel zog, dass die Mutter wirklich die Frage gestellt hatte, ob die Schwägerin keine Angst habe, der Traum der Tochter könne sich bewahrheiten. Und ich wusste auf einmal, was er gemeint hatte: Schuldgefühle! Hinterbliebene neigen zu Schuldgefühlen, wenn ein Angehöriger stirbt. Die Mutter der jungen Staatsanwältin hatte sich auf originelle Weise schuldfrei gestellt. Sie hatte es gesagt, hatte den Bruder mit Hilfe der Schwägerin zu warnen versucht. Ja, hätte man nur auf sie gehört!

      »Wie hieß eigentlich diese junge Staatsanwältin?«, fragte ich Richard, als er am Abend bei mir eintrudelte.

      »Nadja Locher«, antwortete er. »Warum?«

      »Das mit dem Flugzeugabsturz war doch ziemlich anders, als sie es in Erinnerung hat.«

      Er nickte nur, langte mir um die Hüften und zog mich an sich. So nah besehen, zerfiel die milchkaffeebraune Iris seiner Augen in goldbraune radiale Streifen mit grünen und rotbraunen Einsprengseln. Man konnte erkennen, dass die Asymmetrie seines Blicks daher rührte, dass sein linkes Augenlid hing, was er auf eine Ohrfeige seines Vaters und eine partiale Lähmung zurückführte.

      »Lisa«, sagte er und tippte mir gegen die Stirn. »Ich kann deine Gedanken lesen. Du willst, dass ich Einblick in die Dokumentation der Kalteneck-Experimente verlange.«

      »So ungefähr.« Eigentlich wollte ich jetzt, dass wir nach Neuschwanstein fuhren.

      »Aber man wird sie mir nicht gewähren, Lisa. Das weißt du. Ich bin durch nichts autorisiert.«

      »Schick die Steuerfahndung hin.«

      »Dazu gibt es keinen Anlass. Die Buchführung des Instituts ist glasklar und wegen ein paar vielleicht zu viel abgerechneter Klopapierrollen beantragt man keinen Durchsuchungsbeschluss.« Er hatte es sich also auch schon überlegt.

      »Und die Stiftung?«, schlug ich vor. »Stiftungen haben einen Briefkasten in Liechtenstein und sind Steuerhinterziehungs­modelle.« Ich knibbelte den obersten Knopf seiner Weste auf.

      »Diese nicht. Sie hat ihren Briefkasten in der Elbchaussee in Hamburg-Blankenese.«

      »Und wer beaufsichtigt sie?«

      »In Hamburg ist es die Justizbehörde. Ich habe mir die Unterlagen bereits schicken lassen.«

      Brav. Ich knöpfte mich bis zum Gürtel hinunter.

      »Der Satzung zufolge«, sagte er, »leistet die Edmund-Gurney-Stiftung Anschubfinanzierung für Projekte im Bereich der parapsychologischen Forschung, die ohne private Unterstützung nicht möglich wären, insoweit diese eine gewisse Aussicht eröffnen, die Existenz paranormaler Phänomene zu belegen oder zu beweisen.«

      Juristische Satzschrauben gingen ihm immer locker von der Zunge.

      »Sie schreibt europaweit Forschungsstipendien aus. Im vergangenen

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