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(unabhängiges Es) ist er ganz unbemerkt in die sinnentleerte Enge getrieben worden. In der zweiten Reflexion wurde Descartes vorgestellt und versucht zu identifizieren, wie das moderne Problem in seinem »cogito ergo sum« seinen Anfang nahm. In der letzten Reflexion wurde erläutert wie es beim »Theoriedenken« zu den verschiedenen Varianten des Objektivismus kommt, und dass Denken, auch wissenschaftliches Denken, nicht neutral oder objektiv ist. Im Gegenteil, das Denken braucht immer da, wo es nach der Analyse wieder den Zusammenhang der unterschiedenen Phänomene sucht (Synthese), ein organisierendes Prinzip, das als Voraussetzung für die Existenz der Wirklichkeit begriffen werden muss. Dieses Prinzip wurde mit der Gottesrolle identifiziert. Die verschiedenen wissenschaftlichen Reduktionen oder »Ismen« bestehen, weil in der Wissenschaft verschiedene Prinzipien um die Gottesrolle streiten. Die Wahl des spezifischen Prinzips, das die Synthese dominiert, ist willkürlich. Wer ein Prinzip des biotischen Seins-Aspekts verabsolutiert (oft Evolutionisten), wird sehr schnell von jemandem herausgefordert, der z. B. ein Prinzip des sensorischen/​psychischen Seins-Aspekts verabsolutiert. Dann kommt es zur klassischen Debatte mind vs. brain (Gehirn vs. Verstand). Das ist der moderne Götterstreit. In der letzten Reflexion wurde gezeigt, wie der moderne Götterstreit in seiner Struktur identisch ist mit dem antiken Götterstreit. Allerdings sind die Propheten der Bibel davon überzeugt, dass dieser Götterstreit überwunden werden kann. Aus ihrer Perspektive entsteht der Götterstreit immer nur da, wo man Dinge aus der geschaffenen Wirklichkeit mit der Gottesrolle identifiziert. Da, wo aber der wirkliche Schöpfer mit der Gottesrolle identifiziert wird, entsteht ein sinnvoller Zusammenhang des Lebens, ohne dass der Mensch in einen ausweglosen Götterstreit (Dualismus) verwickelt wird, bei dem er am Ende in einer sinnentleerten Welt dasteht. Der antike Mensch würde nicht mehr in der Zwickmühle von Sonne und Berg stehen, und der moderne Mensch würde nicht mehr in der Zwickmühle von Objektivismus und Subjektivismus stehen, wenn er den wahren Schöpfer als Ausgangspunkt seines Lebensverständnisses nehmen würde.

      Fazit: Mit JHWH in der Gottesrolle würden Sonne und Berg sowie evolutionäre Prinzipien und die Gesetze der Konditionierung etc. immer noch bestehen, aber eben nicht mehr in der Gottesrolle (kein Evolutionismus, kein Psychologismus).

      Schon seit Jahrtausenden haben Menschen im Gott der Bibel und dem, was die Propheten über ihn offenbart haben, ihren Frieden gefunden und die Welt als sinnvoll erlebt. In den nächsten drei Reflexionen möchte ich versuchen, in Grundzügen zu klären, wie die Propheten der Bibel in ihrem Reden und Denken von einem Gott zeugen, der radikal anders ist als die bekannten Götter.

      Er stellt das Leben in einen solch sinnvollen Zusammenhang, dass die individuelle Freiheit (das Subjektive) und der gesetzmäßige, allgemeingültige Kontext, in dem wir leben (das Objektive) nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern sich in einem sinnvollen Gefüge verstehen lassen.

      4.2 In der Biblischen Gottesrolle: JHWH

      In der Bibel offenbart sich Gott als erstes im Schöpfungsakt (Genesis 1 und 2). Gott offenbart sich als der, der die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, mit seinem Wort schafft (auch »Wortschöpfung« genannt). Es gibt keine Hierarchie in der Schöpfung in dem Sinne: Gott schafft das Meer, das Meer erzeugt dann die Meereslebewesen, und aus den Meereslebewesen entstehen die Menschen. Wer Genesis 1 liest, wird feststellen, dass das Meer durch das Wort Gottes geschaffen ist, die Meereslebewesen ebenso durch das Wort Gottes geschaffen sind und ebenso die Menschen. Jedes Leben wird also unmittelbar von Gott abgeleitet. Die Einheit der Schöpfung wird darum nicht so sehr von biologischen oder psychologischen Gesetzmäßigkeiten dominiert, sondern vom Wort Gottes, das die biologischen und psychologischen Gesetzmäßigkeiten hervorbringt. Es kommt alles von JHWH und findet auch bei ihm seine Einheit (siehe Abb. 13).

      In den ersten fünf Schöpfungstagen bleibt JHWH ein Mysterium. Wer er ist, was er will und woher er kommt, sind Fragen, die nicht beantwortet werden. Muss er als eine Art Idee oder Weltgeist oder absoluter Wille verstanden werden, so wie es in vielen Kulturkreisen der Fall ist? Da, wo in der Geschichte Gott als eine zeitlose und materielose Idee verstanden wurde, haben die Menschen als Konsequenz zu objektivistischen Vorstellungen geneigt, bei denen der Mensch durch das Schicksal vorherbestimmt ist. Gott war eine Art 3. Person (unabhängiges Es), die die Wirklichkeit und ihre Zukunft bestimmte. Aber auch in den »primitiveren« Vorstellungen von Gott, in denen Gott eine persönliche Natur hat, wird Gott oft objektivistisch verstanden. Hier ist nämlich die gesamte Schöpfung darauf ausgelegt, dass sie das Leben der Götter einfacher macht. Dabei werden die Menschen z. B. als Sklaven geschaffen und fremdgesteuert. Der Gott der Bibel schildert sich aber ganz anders. Seine erste Selbstoffenbarung geschieht, etwas verzögert, am sechsten Tag in der Schöpfung des Menschen:

      Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich! Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde und über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde kriechen! (1. Mose 1,26)

      Zum ersten Mal spricht Gott von sich selbst und offenbart dabei seine Persönlichkeit: »Lasst uns Menschen machen […] uns ähnlich«. Gott möchte durch die Menschenschöpfung etwas schaffen, das sein eigenes Wesen offenbart (Genesis 1,26a). Die Frage nach der Identität und Persönlichkeit Gottes wird also in der Schöpfung des Menschen beantwortet.

      Fazit: Wer Gott ist, sehen wir zu einem großen Teil daran, wie der Mensch ist.

      Weder die Schöpfung des Menschen noch die Schöpfung an sich wird als eine Notwendigkeit beschrieben, die einen bestimmten Nutzen verfolgt. Im Kontrast dazu wird in den außerbiblischen antiken Schöpfungsberichten (z. B. Enuma Elish und Gilgamesh Epos) vor allem die Menschenschöpfung als eine Art Lösung für ein bestehendes Problem betrachtet. In der Enuma Elisch brauchen die Götter ein Servicepersonal und schaffen darum die Menschen. Hingegen wird die Schöpfung in der Bibel als ganz »nutzlos« dargestellt. Nutzlos in dem Sinne, dass der Mensch nicht als Problemlösung geschaffen wird. Er wird nicht als Formel für die Lösung einer bestehenden Aufgabe ins Leben gerufen. Vielmehr ist der Mensch ein Produkt unbedingten göttlichen Spiels. Man könnte fast sagen, dass in der Bibel die Schöpfung ein Kunstprodukt ist und Gott sich vielmehr als Künstler und weniger als Ökonom offenbart. Der geschaffene Mensch muss dann auch kein Problem lösen, sondern existiert »nutzlos«, einfach nur weil er gewollt ist. Hierin liegt die Grundlage für das biblische Verständnis von Liebe. Was nun den Menschen als Spiegelbild Gottes im Kern ausmacht, lesen wir in den Versen 26 bis 30. Der Bericht definiert den Menschen über die folgenden fünf Aspekte:

      1. als Herrscher (Vers 26b): Der Mensch wird als König geschaffen und spiegelt damit Gott als König und Herrscher. Landläufig versteht man Gott immer als Herrscher über das Geschaffene. Aber in den Augen Gottes ist der Mensch König und Herrscher über das geschaffene Leben: ein revolutionärer Gedanke, damals wie heute. Als König trägt man die letzte Verantwortung. D.h. das eigene Handeln ist durch niemanden bedingt als durch einen selbst. Für den modernen Kontext würde das bedeuten, dass aus der biblischen Schöpfungsperspektive der Mensch nicht fremdbestimmt werden muss, sondern selbst für sein Denken und Handeln verantwortlich ist. Das ist ein kräftiges Wort gegen den Objektivismus und zeigt zugleich die subjektivistische Dimension, die dem Menschen innewohnt. Und dass JHWH es damit ernst meint, sehen wir in Vers 28b, wo er dem Menschen gegenüber ausdrücklich wiederholt, dass er Herrscher und König über die Lebewesen sein soll, die Gott geschaffen hat.

      2. mit freiem Willen (Vers 28b): Die Tatsache, dass Gott den Menschen nicht zum Königsein programmiert, sondern ihn auffordern muss, die Königsrolle einzunehmen, zeigt, dass die Bibel den Menschen als frei versteht. Der Mensch kann offensichtlich auch »Nein« zu seiner Rolle sagen. Der Mensch als Spiegelbild Gottes offenbart, dass JHWH nicht als apersonale Idee, Kraft oder abstraktes allgemeingültiges Prinzip zu verstehen ist, sondern als ein persönlicher Gott, der eine eigene Freiheit hat, »Ja« und »Nein« zu sagen. Dies wird sich in der Bibel noch sehr oft zeigen. Die Tatsache, dass der Mensch frei ist, betont nicht nur, dass der Objektivismus keinen Platz im biblischen Weltbild hat, sondern auch, dass Individualität und Subjektivität essenzielle Bestandteile

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