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Was der Mensch nötig hat, um zu überleben, ist ein »Gehilfe« (עֵזֶר). Dieses Wort muss sehr existenziell aufgefasst werden. Es bedeutet weder Haushilfe oder Assistent, sondern hat wesentlich mehr die Bedeutung von Retter. In der Regel wird dieses Wort im Alten Testament darum auch nicht für Menschen gebraucht, sondern für Gott (z. B. Psalm 70,6; 115,9 - 11). David sagt: »Wäre Gott mir kein עֵזֶר gewesen, dann wäre ich jetzt tot« (Psalm 94,17). Wenn es um die Erhaltung des Lebens geht, braucht man einen עֵזֶר einen Mitmenschen als Partner. Aber JHWH will diese eine geschaffene Person – die ja noch nicht wirklich Mensch ist – mit dem Alleinsein als einer Unmöglichkeit für sinnvolles Menschenleben konfrontieren. Und so ermöglicht er diesem »Nicht«-Menschen ein paar Augenblicke des Lebens ohne עֵזֶר. In seiner Begegnung mit den Lebewesen, über die er herrschen soll, erlebt er sehr schnell, dass sich weder das Pferd noch das Huhn als Lösung für das Alleinsein anbieten.

      2. Einsamkeit ist Tod (Vers 21): Sinnbildlich wird die Erfahrung in Vers 20 Adam zur Todeserfahrung, denn er fällt in einen todesähnlichen Schlaf. Das hebräische Wort תַּרְדֵּמָה (tiefer Schlaf) kann auch metaphorisch für Tod benutzt werden. Der Schreiber will, dass der Leser versteht: Ein Leben, das auf das eigene Ich reduziert ist (Subjektivismus), endet im Tod. Sonnenschein, Nahrung und physische Gesundheit sind nicht ausreichend, um zu überleben. Wo der עֵזֶר fehlt, trifft der Tod ein. Mitmenschlichkeit hat also eine existenzielle Dimension. Alleinsein bedeutet Einsamkeit und kann im biblischen Sinne als das Gesicht des Todes beschrieben werden.

      3. Leben in der Teilung (Vers 22 - 23): Die bedeutungsträchtige Handlung findet in Vers 22 statt. Gott teilt den Körper Adams und ergänzt die zwei getrennten Teile mit Materie. Es entstehen zwei ähnliche Formen. Zwar kann man das Hebräische Wort צֵלָע mit Rippe übersetzen, aber es hat meist die Bedeutung von Seite (z. B. Exodus 26,26) und macht in diesem Kontext auch mehr Sinn. Die materielle Existenz der einen Person ist damit Teil der materiellen Existenz der anderen Person (siehe Abb. 18).

      Nachdem JHWH die beiden Formen ins Leben ruft, gibt es nicht mehr einen auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen, sondern zwei Mitmenschen. Die Menschenschöpfung ist jetzt erst abgeschlossen, und erst jetzt wird die Gottähnlichkeit des Menschen erreicht. Interessanterweise führt erst die Begegnung mit dem »Du« der Eva Adam zur Verwendung des »Ich«-Begriffs (»von meinem Gebein«, »von meinem Fleisch«). Dies spiegelt dann auch eine tiefe Realität unseres eigenen Lebens wider: Die Begegnung mit dem anderen Du ist zum Großteil Voraussetzung für die Selbstwahrnehmung. Unseren eigenen Körpergeruch kennen wir nicht, ohne dass es uns jemand sagt. Ob wir schön sind oder nicht, ob unsere Arbeit gut ist oder nicht, ob wir geliebt sind oder nicht, wissen wir erst, wenn uns das jemand mitteilt. Wenn man wissen will, wer man als Mensch ist, wenn man Mensch sein will, braucht man eine Du-Begegnung mit einem Mitmenschen. Da, wo uns der Mitmensch genommen wird (z. B. durch den Tod des langjährigen Lebenspartners), erscheint einem das eigene Leben oft sinnlos. Und so kann ein Beziehungsbruch mit einem Selbstmord enden, da der Sinn zu leben abhanden kam. Babys, die nach ihrer Geburt all ihre biologischen Grundbedürfnisse gedeckt bekommen, aber keine Du-Begegnung mit einem Menschen haben, sterben. Oft verstirbt der physisch gesunde Opa kurz nachdem die Oma nach 55 Jahren Ehe gestorben ist.

      4. Zweisein-Einssein (Vers 24 - 25): Der Schöpfungsbericht endet dann mit einem Höhepunkt, der das Wesen menschlichen Lebens noch einmal auf den Punkt bringt: Nacktheit und Einheit. Die Sinnhaftigkeit des Lebens realisiert sich überall da, wo man seinem Mitmenschen alles sein kann, was man wirklich ist. Es gibt keine Scham, Zurückhaltung oder Unsicherheiten. Dabei wird man nicht nur akzeptiert, sondern so verstanden, dass man mit dem anderen eine Einheit formt. Der Sinn des Lebens besteht auf der einen Seite darin, vom »Du« verstanden zu werden und akzeptiert zu sein, und auf der anderen Seite darin, das »Du« zu verstehen und akzeptieren zu können.

      Die Berichte aus Genesis 1 und 2 sprechen eine einheitliche Sprache: Der Mensch findet seine Existenz erst in der Begegnung mit einem Du. Diese Tatsache dominiert sein Sein noch mehr als seine Fähigkeit zu herrschen und kreativ zu sein. Das »Ich« (1. Person-Perspektive) mit seiner von Gott gegebenen subjektiven Macht (Herrscher über die Lebewesen, Schöpfer von Nachkommen) wird erst in der »Du«-Begegnung sinnvoll, denn erst da entsteht überhaupt ein Bewusstsein vom »Ich«. Das »Er/​Sie/​Es« (3. Person-Perspektive) mit seinen durch den Menschen unbeeinflussbaren Begrenzungen (z. B. Rhythmus von Tag und Nacht) wird auch erst in der »Du«-Perspektive sinnvoll. Denn der natürliche, objektive und allgemeingültige Rahmen, in den der Mensch eingebettet ist, ermöglicht die Bühne, auf der die »Ich-Du«-Begegnung stattfinden kann.

      Diese Schlussfolgerung hat verschiedene weitreichende Folgen für den modernen Götterstreit. Der Ursprung menschlichen Lebens lässt sich nicht von irgendwelchen Prozessen und Gesetzen ableiten, die in der geschaffenen Wirklichkeit entdeckt werden können (biologische Gesetze, psychologische Prozesse, etc.), sondern nur unmittelbar vom Willen JHWHs. Des Weiteren ist der Sinn menschlichen Lebens nicht im Kampf ums Überleben (Biologismus/​Evolutionismus), im Fortschritt (Ökonomie) oder anderen Aspekten (Physik, Chemie, etc.) des Lebens zu suchen, sondern vor allem in der zwischenmenschlichen Begegnung mit dem »Du«. Zwei biblische Beispiele sollen das verdeutlichen:

      1. Sexualität:

       Der Höhepunkt des Schöpfungsberichtes in Genesis 2 wird nicht durch das Nennen der Fähigkeit zur Fortpflanzung erreicht, sondern durch poetische Erwähnung der Fähigkeit, mit einem anderen Mitmenschen »eins zu werden« und ihm gegenüber »nackt zu sein«. Das ist dann wohl auch der Grund, warum Sexualität in der Bibel nicht als Methode der Existenzsicherung verstanden wird (Evolutionismus/​Biologismus), sondern als Ausdruck eines Erkenntniserlebnisses im Ich-Du-Verhältnis (z. B. Genesis 4,1). Sexualität wird dann auch dort verpönt und verurteilt, wo sie nicht in diesem existenziellen Ich-Du-Verhältnis stattfindet, wo das Leben sich vom andern abhängig darstellt (siehe עֵזֶר erster Punkt unter 4.3). Sexualität im unpersönlichen Ich-Er/​Ich-Sie-Verhältnis, in der die Unabhängigkeit vom anderen bewahrt bleiben soll, ist Prostitution. Und so wird auch die ganze biblische Partnersuche dominiert durch das Ideal, jemanden zu finden, dem man ganz begegnen kann.

      2. Sabbat:

       Der Höhepunkt des Schöpfungsberichtes in Genesis 1 findet seinen Ausdruck im Sabbat. Für den Höhepunkt der Schöpfung steht das Aufhören von Arbeit und das Ende der Produktivität. Der Sabbat wird dann auch zu einem Tag, an dem die Arbeit nicht im Vordergrund stehen darf, sondern die Gemeinschaft des Menschen mit seinem Mitmenschen, den Tieren und Gott. Die Botschaft dabei ist deutlich: Nicht die Ökonomie soll das Leben beherrschen, sondern die barrierefreie Begegnung mit dem Du. Der erholsame Sabbat dient nicht dazu, in der Woche noch produktiver zu sein, sondern vielmehr dient die Woche dazu, am Sabbat genug Essen und Trinken zu haben, sodass der Ich-Du-Begegnung keine Arbeit mehr im Weg stehen muss. Das Gleiche gilt für das Sabbatjahr und Jubeljahr. Ziel ist kein ökonomischer Fortschritt, sondern das Erreichen einer zwischenmenschlichen Tiefe. Und so lässt sich verstehen, dass vor allem im Alten Testament Erlösung nicht so sehr als Befreiung von Tod und Leid verstanden wird, sondern als die Wiederherstellung der Fähigkeit, dem anderen im Bund, als vertrauenswürdiger und vertrauensweckender Mitmensch (Nacktheit) zu begegnen. Das mag auch der Grund dafür sein, weshalb die Überwindung des Todes im Alten Testament kaum Beachtung findet, sondern die Wiederkunft des Messias, der wieder die Begegnung von Mitmenschen in einer aus der sozialen Balance geratenen Welt ermöglicht. Tod ist nicht so sehr der physische Tod, sondern der Verlust der Mitmenschlichkeit (siehe Genesis 3).

      Da, wo sensibel über das Leben nachgedacht wird, wird es im biblischen Text gespiegelt. In Wahrheit ist es doch so, dass mein Leben Bedeutung und Identität bekommen hat, weil meine Eltern mich Oliver nannten, weil meine Mutter sagte, dass sie stolz auf mich ist, weil mein Vater mich irgendwann aufs Fahrrad setzte, mich anschubste, hinter mir her rannte und rief: »Du schaffst das schon, ich bin bei dir! Du schaffst das schon! Schön geradeaus sehen!«

      Dein Leben hat Bedeutung bekommen, weil es da im Rahmen der 3. Person (räumlicher, kinematischer,

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