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1. Person Bedeutung gegeben hat. Und da, wo durch Scheidung, Tod und Trennung das Du entzogen wird, hat sich schon immer diese tödliche Leere eingestellt.

      4.4 Problembehandlung: Vom biblischen Alltagsdenken zum Theoriedenken

      Nach der Lektüre von Genesis 1 und 2 wird kein moderner Leser behaupten, dass es sich hier um einen wissenschaftlichen Bericht im Sinne des Theoriedenkens handelt. Das moderne Subjektivismus-Objektivismus-Problem, das aus dem Theoriedenken kommt, scheint weiterhin ungelöst. Der Schöpfungsbericht reflektiert ein Denken, das nur im Alltagsmodus stattfindet. Dinge (Sonne, Mond) und Phänomene (Licht, Dunkelheit) werden voneinander unterschieden (und wieder in einen Zusammenhang gebracht, d. h. synthetisiert), nicht aber Seinsaspekte (energetischer oder biotischer Seinsaspekt). Auf der einen Seite ist das gut, da jeder Mensch im Alltag lebt und denkt, und damit alle Leser, ob klein oder groß, alt oder jung, studiert oder unstudiert, diesen Text verstehen können. Aber auf der anderen Seite stellt das auch eine Herausforderung dar: Das moderne Problem entsteht vor allem im Mikroskopmodus des Denkens (siehe Reflexion 3), wenn zuvor Unterschiedenes wieder synthetisiert werden muss. Jede moderne Synthese ist dabei reduktionistisch und hat den Menschen entweder in den Subjektivismus oder in eine der vielen Varianten des Objektivismus geführt. Wie aber soll im Theoriedenken eine Synthese erstellt werden, die sich vom biblischen Schöpfungsbericht beeinflussen lassen will? Wie soll sich die Wahrnehmung, dass da, wo JHWH die Gottesrolle übernimmt, das Leben und Sein nicht durch die 1. Person-Perspektive und nicht durch die 3. Person-Perspektive, sondern durch die 2. Person-Perspektive dominiert wird, auf das Theoriedenken auswirken? Wie kann ein christlicher Biologe die Welt sehen, ohne dabei in seiner Suche nach Objektivität evolutionistische Gedanken zu entwickeln? Wie kann ein christlicher Historiker die Welt sehen, ohne dabei relativistisch im Sinne von Zeitgeistentwicklungen zu reden?

      In der nächsten Reflexion wird diesen Fragen nachgegangen und versucht, mit dem biblischen Bild von der Wirklichkeit das Theoriedenken zu beeinflussen.

      4.5 Klärung

      Wir sind es gewohnt, entweder aus der 1. Person-Perspektive oder aus der 3. Person-Perspektive zu denken. Die 2. Person-Perspektive bleibt dabei oft außer Sicht. Folgende Fragen sollen helfen, die 2. Person-Perspektive bewusst werden zu lassen und sie auch einzunehmen:

      →Wie viel Zeit verbringst du mit einem Mitmenschen in dem Sinne, dass er dir ein Du ist (persönliche Gespräche über Freuden und Ängste, Hoffnung und Zweifel), du eine Einheit im Verstehen und Verstandensein erleben kannst?

      →Was sind die wertvollsten Momente deines Lebens gewesen? Welche Unterschiede findest du zwischen materiell wertvollen Momenten (Arbeitsplatz, neuer Fernseher, eigenes Haus) und wertvollen Du-Momenten? Wenn nur einer deiner vergangenen wertvollen Momente sich in deinem Leben wiederholen dürfte, welchen würdest du wählen?

      →Warum kostet es dich manchmal weniger Kraft, abends vor dem Fernseher zu sitzen, als dich mit einem Freund oder einer Freundin zum Austausch zu treffen?

      →Sprich mit einem Menschen, der einsam ist. Wie beschreibt dieser Mensch sein Leben?

      →Versuche dich an die Momente zu erinnern, in denen ein Mitmensch dir gesagt hat, dass er durch dich zu einer besseren Erkenntnis seines Selbst gekommen ist.

      →Seit einem guten Jahr gibt es einen neuen Hype in Amerika, der auch immer mehr im westlichen Europa, Australien und Israel bekannt wird: sogenannte Cuddle Partys (Kuschelpartys) (www.cuddleparty.com, www.kuschelparty.com). Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, erfolgreiche Geschäftsleute, Rentner und Studenten treffen sich und kuscheln für zwei bis drei Stunden miteinander. Die Kuschelgruppe kennt sich nicht, und das Ausleben von Sexualität ist nicht gestattet. Diskutiere mit dem Hintergrund dieser Reflexion dieses Phänomen des anonymen Kuschelns. Würdest du an so einer Kuschelparty teilnehmen? Warum? Warum nicht?

      →Höre dir Schuberts »Winterreise« an und bespreche sie mit dem Hintergrund dieser Reflexion in deinem Gesprächskreis.

      →Diskutiere in deinem Gesprächskreis, warum nicht nur ein Lebenspartner als Mitmensch das Leben sinnvoll sein lässt. Was ist der Unterschied zwischen dem Lebenspartner als Du und dem guten Freund als Du?

       It is forgotten that the secularization of life would have been impossible apart from the secularization of science, and that this scientific secularization has taken place under the overwhelming influence of the religious secularization effected by the post-Renaissance humanism. We have simply come to regard this situation as a fait accompli.

      (Dooyeweerd, H. »The Secularization of Science«. Montpellier, 1953, 1.)

      Literatur: Die Bibel, Genesis 1 - 2; »Enuma Elish the Epic of Creation«; Clouser, R. A. The Myth of Religious Neutrality: An Essay on the Hidden Role of Religious Belief in Theories. Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2005; Frankl, V. E. »Der Pluralismus der Wissenschaften und die Einheit des Menschen«. In Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn: Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk, 20 – 29. München: Piper, 1998; Wolters, A. M. Creation Regained: Biblical Basics for a Reformational Worldview. Grand Rapids: Eerdmans, 2002; Woudenberg van, R. Gelovend Denken: Inleiding Tot Een Christelijke Filosofie. Amsterdam, Kampen: Buijten & Schipperheijn; KoK, 2004.

      5.1 Einleitung: Vom prophetischen Alltagsdenken zum prophetischen Theoriedenken

      Der biblische Schöpfungsbericht ist von elementarer Bedeutung, wenn man verstehen möchte, wie sich JHWH als Gott zum modernen Problem verhält. Während im Subjektivismus eine verabsolutierte 1. Person-Perspektive existiert (alles besteht und wird gesteuert durch das Ich – außer mir gibt es nichts anderes), gibt es im Objektivismus eine verabsolutierte 3. Person-Perspektive (alles besteht und wird gesteuert durch etwas außerhalb des Ichs – nur dieses Etwas ist unabhängig). Das Besondere des biblischen Berichtes ist, dass der Mensch darin weder durch ein Etwas völlig bestimmt wird, noch die Wirklichkeit durch ein Ich entsteht. Vielmehr macht der Schöpfungsbericht deutlich, dass der Sinn der eigenen Ich-Existenz immer nur in der Du-Begegnung liegt. Die eigene Subjektivität (1. Person-Perspektive) ist ein wichtiger Beitrag für die Du-Begegnung, denn nur wo es eine Ich-Perspektive gibt, kann ein Mensch dem anderen ein wirkliches Du sein. Die allgemeingültigen Naturgesetze, die den Menschen umgeben (3. Person-Perspektive), sind dabei eine notwendige Rahmenbedingung, die den Kontakt zwischen dem Ich und dem Du möglich machen.

      Nun ist klar, dass der Schöpfungsbericht kein wissenschaftlicher Bericht ist, der auf spezifische Fragen nach Naturgesetzen und individueller Freiheit eingeht. Die Bibel ist nicht im Mikroskopdenkmodus geschrieben, sondern im Alltagsdenkmodus. Aber, und das ist wichtig, die Bibel erhebt den Anspruch, die Wirklichkeit richtig zu interpretieren. Und nachdem herausgearbeitet wurde, dass Denken nicht autonom ist, sondern immer von geglaubten Annahmen gesteuert wird (Reflexion 3), wird im nächsten Kapitel ein Experiment gewagt. Es soll überprüft werden, was mit dem Denken geschieht, wenn der biblische Schöpfungsbericht als Grundlage und Inspiration gebraucht wird.

      5.2 Schöpfung und Gesetz

      Täglich finden zwischenmenschliche Kontakte statt. Die Begegnung mit dem Kollegen auf der Arbeit oder in der Ausbildung, dem Freund oder Familienmitglied ist normal und für viele Menschen selbstverständlich. Eine solche Begegnung ist aber erst unter ganz spezifischen Voraussetzungen möglich.

      Stefan und Julia müssen sich Raum, Zeit, einen bestimmten Sauerstoffgehalt, eine Körpertemperatur von ca. 37 Grad, eine ähnliche Sozialisierung, eine Sprache und vieles andere teilen, um eine sinnvolle Begegnung möglich zu machen. Diese Voraussetzungen sind normativ, d. h. wo sie nicht gegeben sind, kann auch keine Begegnung stattfinden.

      Aus der biblischen Perspektive sind diese normativen Rahmenbedingungen durch JHWH garantiert. Die Bibel sieht darum nicht nur den Ursprung eines jeden geschaffenen Wesens in direkter Abhängigkeit von JHWH, sondern auch dessen Leben und Fortbestand (2. Petrus 3,5+7). JHWH schafft Ordnungen und

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