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werden. Sie taugen bestens für handlungsorientierte und plausibel erscheinende Geschichten.

      Erpressung

      Erpressung gehört zu den zutiefst verletzenden Opfererfahrungen. Es ist deshalb für jeden nachvollziehbar, wenn das Opfer seinen Peiniger tötet. In der deutschen Realität passiert das aber höchstens alle zehn Jahre mal.

      Fanny Fuchs verdient sich ein Taschengeld, von dem ihr Mann nichts wissen soll, in einer Boutique. Sie wird von einer Kollegin dabei erwischt, wie sie Modeschmuck im Wert von 7 € in die Handtasche steckt und nicht bezahlt. Die Kollegin zeigt sich dann aber bereit, den Diebstahl nicht anzuzeigen – Fanny wäre dann vorbestraft und niemand würde sie mehr anstellen –, wenn Fanny ihr künftig monatlich einen Teil des Verdienstes bis zu einem Betrag von insgesamt 2000 € zahlt. Fanny lässt sich darauf ein, zahlt im Lauf von einem halben Jahr 2000 €. Danach meldet die Kollegin den Diebstahl der Chefin, und Fanny wird gekündigt.

      Fanny wäre besser zur Staatsanwaltschaft gegangen und hätte die Erpressung angezeigt. Die Staatsanwaltschaft hätte von der Verfolgung des Diebstahls abgesehen, selbst wenn sie mehr gestohlen hätte.

      § 154c Strafprozessordnung:

      (1) Ist eine Nötigung oder Erpressung (§§ 240, 253 des Strafgesetzbuches) durch die Drohung begangen worden, eine Straftat zu offenbaren, so kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Tat, deren Offenbarung angedroht worden ist, absehen, wenn nicht wegen der Schwere der Tat eine Sühne unerlässlich ist.

      (2) Zeigt das Opfer einer Nötigung oder Erpressung (§§ 240, 253 des Strafgesetzbuches) diese an (§ 158) und wird hierdurch bedingt ein vom Opfer begangenes Vergehen bekannt, so kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung des Vergehens ­absehen, wenn nicht wegen der Schwere der Tat eine Sühne unerlässlich ist.

      Die Kollegin hingegen wäre wegen Erpressung angeklagt worden (Höchststrafe 5 Jahre) und hätte das erpresste Geld an Fanny zurück­geben und womöglich sogar noch Schadensersatz leisten müssen. Außerdem wäre sie daraufhin entlassen worden. Fanny Fuchs allerdings auch. Denn wer klaut, wird entlassen. »Zeig deine Kollegin wegen Erpressung an!«, sagt sich daher leicht. Die Frage ist, wie viel Fanny ihr Arbeitsplatz wert ist.

      Dass nach einem geringfügigen Diebstahl der Verlust des Arbeitsplatzes droht, könnte eine erpresste Mitarbeiterin objektiv in eine so gravierende Zwangslage bringen, dass sie den Gang zur Staatsanwaltschaft oder Polizei scheut. Vermutlich wäre es dann Fannys Liebhaber, Hans-Jürgen, der sich überlegt, wie er die Kollegin umbringt, um seine Freundin vom Erpressungsdruck zu befreien. Im Krimi kommt der Folgemord am Erpresser immer wieder vor. Und tatsächlich bleibt nicht jeder Erpresste straffrei.

      Fanny Fuchs hat sich von ihrem Mann Dieter getrennt. Jetzt will sie die Möbel holen. Sie bringt Hans-Jürgen mit. Der brüstet sich Dieter gegenüber, er sei schon lange Fannys Liebhaber. Fanny stichelt außerdem, Hans-Jürgen sei auch viel besser im Bett. Im nachfolgenden Handgemenge der beiden Männer würgt Dieter den Liebhaber, Fanny hat Angst um Hans-Jürgen und sticht mit einem mauretanischen Krummdolch von hinten auf Dieter ein.

      Sie flüchten aus der Wohnung, ohne sich um Dieter zu kümmern.

      Anders als erwartet, ist Hans-Jürgen jedoch nicht dankbar, sondern fühlt sich in seiner männlichen Ehre gekränkt. Er sei nie in Gefahr gewesen, er habe Dieter gerade überwältigen wollen. Und, was Fanny nicht weiß, Dieter hat die Attacke überlebt. Hans-Jürgen macht mit Fanny Schluss und fängt an, sie zu erpressen. Als nach ein paar Wochen ihr Erspartes aufgebraucht ist, verabredet sie sich mit Hans-Jürgen im Wald. Sie bringt ein Küchenmesser mit, um ihn umzubringen.

      Völlig unnötig! Nehmen wir an, Fanny wäre im Glauben, niemand würde ihr die Notwehr abnehmen, und denkt, sie habe sich des Totschlags an Dieter schuldig gemacht. Dann bliebe Fanny wirklich nicht straffrei, auch wenn sie die Erpressung durch Hans-Jürgen bei der Polizei anzeigen würde. Sie müsste dann nämlich in einem minderschweren Fall des Totschlags mit einer Strafe zwischen einem und zehn Jahren rechnen. Und eine Einstellung des Verfahrens nach § 154c StPO kommt nur in Betracht, wenn die Nötigung oder Erpressung strafwürdiger ist als die Tat des Erpressten. Sie hätte also schon einiges zu verlieren. Einen Mord an Hans-Jürgen ist die Sache aber auf keinen Fall wert. Für die geplante Tötung zur Verdeckung einer anderen Straftat bekäme Fanny in jedem Fall ­lebenslang.

      Das Stockholm-Syndrom

      Opfer töten nicht, oder nur dann, wenn sie sich nicht mehr als Opfer erleben. Die Erfahrung von Stress, Ohnmacht und Verzweiflung vernichtet unseren Glauben an unsere Kraft und Handlungsmacht. Das gilt auch und vor allem für Opfer andauernder Misshandlung. Sie investieren ihre emotionale Kraft darein, den Täter freundlich zu stimmen. Es ist ihre einzige Chance, die für sie nachteilige Beziehung zu beeinflussen. Und selbst wenn sie sich über all die Zeit ausmalen, was sie ihrem Peiniger antun würden oder könnten, so hemmt sie die Angst vor seiner Strafe bei Misslingen eines Befreiungsschlags. Ihr Gehirn ist auf Depression und Ohnmacht gestellt. Es sucht nach Erleichterung unter unerträglichen Bedingungen.

      Die Beziehung, die eine Geisel zu ihrem Geiselnehmer entwickelt, nennt man Stockholm-Syndrom. Sie kann so weit gehen, dass die Geisel sich in ihren Geiselnehmer verliebt und ihm hilft.

      Das Phänomen wurde erstmals beleuchtet nach einer fünftägigen Geiselnahme in einer Stockholmer Bank 1973. Die vier Angestellten, die als Geiseln genommen wurden, entwickelten eine größere Angst vor der ­Polizei und einem Polizeizugriff als vor ihren Geiselnehmern. Nach Beendigung der Geiselnahme empfanden sie keinen Hass auf ihre Geiselnehmer, sie waren ihnen dankbar, freigelassen worden zu sein, und baten um Gnade für die Täter.

      Die Frauenquote

      Wenn wir einen Krimi schreiben, stellt sich stets die Frage: Wer soll den Mord begangen haben? Eine Überraschung hätten wir schon gern, etwas völlig Unerwartetes. Zu Zeiten von Agatha Christie galten Pfarrer noch als tabu, aber inzwischen haben wir jede Berufsgruppe als Mörder durch. Also kommen wir zurück aufs Grundsätzliche. Einen Mord kann immer nur entweder ein Mann oder eine Frau begangen haben (auch als Kind nur ein Junge oder ein Mädchen). Damit es doch eine kleine Überraschung gibt, wird in schätzungsweise der Hälfte aller Krimis nach Ermittlungen in männlich dominierten Zusammenhängen eine Frau aus bürgerlichem Milieu entlarvt, übrigens meist mit einem Totschlagsdelikt und der Beteuerung: »Das habe ich nicht gewollt.«

      Das funktioniert nur deshalb, weil wir im Grunde alle wissen, dass Verbrechen in der überwiegenden Mehrzahl von Männern begangen werden. Die Frauenquote liegt in Deutschland bei etwa 8 Prozent. Das gilt auch für Gewalt gegen andere Menschen. Nur etwa 10 Prozent der Tötungs­delikte werden von Frauen begangen, bei körperlicher Gewalt gegen andere, auch Mord- und Totschlagsversuchen, liegt die Frauenquote sogar bei nur 3 ­Prozent.

      Ende 2008 saßen in deutschen Gefängnissen 73 203 Menschen ein; nur 5 Prozent, also 3916, von ihnen waren Frauen. Die deutsche Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamts von 2006 weist 400 Männer aus, gegen die wegen eines Tötungsdelikts ermittelt wurde, aber nur 41 Frauen. Bei den Körperverletzungen waren es 1993 Männer, aber nur 66 Frauen. Eine Studie aus den siebziger Jahren zeigt außerdem, dass damals keine einzige (!) Frau aus der bürgerlichen Schicht wegen eines Tötungsdelikts im Gefängnis saß1, auch wenn damals im Fernsehkrimi wie Derrick oder Der Kommissar ständig bürgerliche Frauen als Mörderinnen aus Habgier und sonstigen niederen Beweggründen ermittelt wurden.

      Frauen sind nicht die besseren Menschen, Gewalt passt nur nicht zum weiblichen Selbstbild. Die Protagonistin des Films Eine Frau sieht Rot würde mit stark männlichen Zügen und sportlichem Anstrich dargestellt werden, nicht als mollige Hausmutti. Frauen suchen für Konflikte andere Lösungen, bei denen sie ihre sozialen und kommunikativen Kompetenzen nutzen können. Tatsächlich sind es vor allem junge, ledige Männer am unteren Rand der Gesellschaft, die Gewaltverbrechen begehen. Ein Männerüberschuss in bestimmten Gegenden, Stadtvierteln und Ländern lässt die Gewaltstatistik zuverlässig steigen, so in China und Indien, wo weibliche Feten abgetrieben und Mädchen durch Vernachlässigung umgebracht werden und ein gewaltiger Männerüberschuss entsteht. Während die Männer aus den Oberschichten Frauen aus der Unterschicht heiraten können,

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