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strafen, entspricht unseren primitiven kriegerischen Gefühlsstrukturen, auch wenn in westlich-bürgerlich geprägten Gesellschaften wie Deutschland gerade diese Gefühle wirkungsvoll in Schach gehalten werden.

      Am 6. März 1981 erschießt Marianne Bachmeier im Gerichtssaal in Lübeck den noch nicht verurteilten Mörder ihrer Tochter, Klaus Grabowski. Einen solchen Fall von Selbstjustiz hat es bis dahin in Deutschland nicht gegeben. Nach eigener Darstellung hat Bachmeier vor allem auf die Behauptungen Grabow­skis ­reagiert, ihre kleine Tochter Anna habe ihre Misshandlung provoziert, sei selber schuld und habe ihm sogar gedroht, Lügen über ihn zu erzählen. Sie habe gewollt, dass der Mann aufhört, ihre Tochter zu diffamieren. Sie schießt am dritten Verhandlungstag dem Angeklagten in den Rücken. Sie drückt acht Mal ab, sechs Schüsse treffen. Grabowski ist sofort tot. Bachmeier wird 1982 jedoch nicht wegen Mordes verurteilt, obgleich die Tat, juristisch gesehen, Merkmale wie Planung und Heimtücke aufweist, sondern wegen Totschlags, und zwar zu sechs Jahren Haft. Bachmeier stirbt 1996, wieder in Freiheit, im Alter von 46 Jahren an Krebs.

      Dass Bachmeier sich eine Waffe besorgte und tatsächlich schoss, hat vermutlich auch mit ihrer Biographie zu tun. Sie ist auffällig unbürgerlich, gebrochen und von Gewalterfahrungen geprägt ( Frauenquote).

      Herrschsucht

      Gedemütigte suchen Anlässe, die sie aus der Depression holen. Dafür müssen sie das neuronale Belohnungssystem in Gang setzen. Es basiert auf dem Neurotransmitter Dopamin, auch als Glückshormon bekannt. Die Dopamin-Ausschüttung im Hirn als Belohnung für eine Anstrengung, die mit hohem Risiko verbunden sein kann, ist das stärkste Stimulans für Hochleistungen und Wiederholungstaten. Es ist das, was Kinderpornovertreiber und -nutzer im Internet blind macht für das Risiko, erwischt zu werden, was Betrüger, Erpresser und Diebe immer weiter treibt, obgleich der Untergang schon absehbar ist, was Serienmörder bezwingt ( Serienmörder).

      Wer mordet, sucht und erlebt ein Gefühl von Macht. Er sucht Kontrolle über sein Leben und die Bedingungen, die es bestimmen, er gewinnt Handlungsmacht. Das gilt für einen Amokläufer genauso wie für einen Vater, der seine Familie auslöscht. Sie sehen sich als Opfer, sind aber faktisch Täter.

      Strafe

      Darunter fallen Mafia-Morde, die auch in Deutschland nicht so selten sind. Sie dienen der Warnung. Die Bestrafung eines Abtrünnigen soll anderen Angst machen, die mit dem Gedanken spielen, sich nicht mehr den Regeln der Mafia zu unterwerfen. Auch bei der Blutrache handelt es sich um ein innerhalb des sozialen Zusammenhangs anerkanntes Mittel der Strafe. So demonstriert eine Gruppe ihre Macht. Unter Umständen tut das auch ein Staat, der die Todesstrafe verhängt, ebenfalls mit dem Argument der Abschreckung, die aber, wie wir wissen, nicht wirkt. Denn es gibt auch Individuen, die ihre Angst, getötet zu werden, überwinden, entweder weil sie glauben, davonzukommen oder berühmt zu werden, weil sie verliebt sind oder weil sie nichts mehr zu verlieren haben.

      Der sogenannte Ehrenmord fällt noch eindeutiger in die Kategorie patriarchalischer Herrschaftsmorde. Er wird mitleidlos geplant und begangen, einzig und allein, um eine junge Frau zu töten, weil sie die Spielregeln nicht beachtet und Eigenmächtigkeiten entfaltet hat, die sie letztlich aus dem Machtgefüge emanzipieren würden. Die Frau wird ermordet, um ein Herrschaftssystem des Schreckens aufrechtzuerhalten. Die von uns so beschönigend bezeichneten Ehrenmorde erfüllen alle Kriterien des Mordes: Sie werden geplant, sie sind heimtückisch (der Täter ist bewaffnet und überrascht das wehrlose Opfer) und sie geschehen aus niederen Beweggründen, nämlich aus Herrschsucht. Zudem stehen sie im Grundsatz einer terroristischen Tat nahe. Es wird sogar eine terroristische Vereinigung gegründet: Der Familienclan – Vater und Brüder des Opfers – legt fest, dass die ­Tochter/Schwester sterben muss, und bestimmt, dass der Jüngste, der noch unter Jugendstrafrecht fällt, die Tat ausführt.

      Familiendrama

      Die meisten Tötungsdelikte werden in der Familie begangen. Für einen Krimi erscheinen sie uns zu banal, zu eindeutig, im Grunde unverständlich und zugleich bestens bekannt, ja stereotyp.

      Ein Mann tötet seine Kinder, seine Frau und dann sich selbst. Er sticht die Frau ab, die sich von ihm getrennt hat, oder er ermordet die Kinder, damit die Frau sie nicht bekommt. Ein Sohn erschlägt seine Eltern. Eine Mutter tötet ihre Kinder. Gerade diese Taten, die vergleichsweise häufig sind, entziehen sich unserem Verständnis am meisten. Sie machen deutlich, dass Menschen, die töten, sich in einer emotionalen Extremsituation befinden, die für Außenstehende kaum verständlich ist.

      In dem in den Medien so beliebten Wort »Familiendrama« steckt übrigens die ganze gesellschaftliche Ratlosigkeit angesichts solcher Taten. Insgeheim nehmen wir an, dass die Frau, die im Ehestreit erstochen wird, ihren Teil zum Drama beigetragen, also provoziert hat. »Zum Streiten gehören immer zwei«, wie es so schön heißt. Tatsächlich aber findet das Drama im Kopf des Mannes statt und hat sich über einen längeren Zeitraum aufgebaut. Sein Leben gerät ihm außer Kontrolle, seine Frau unterwirft sich seinen Konzepten nicht. Nur wenn er sie tötet, gewinnt er die Kontrolle zurück. Nur tot gehört ihm die Frau ganz. Da mischen sich Verlustangst – mit der Geliebten verliert der Verlassene den sozialen Halt, die Lebens­perspektive und sein Ich – und Herrschsucht: »Wenn ich dich nicht kriege, kriegt dich keiner.« Oder: »Wenn ich die Kinder nicht kriege, bekommst du sie auch nicht.«

      Der Gewinn ist zwar paradox, aber hoch. Der Verlassene gewinnt nur dann Kontrolle über die Person, die ihn verlässt, wenn er sie tötet. Dann kann sie sich nämlich überhaupt nicht mehr bewegen. Erst nach der Tat mag dem Täter aufgehen, dass er sich den Gewinn befriedigender vorgestellt hat, als er ist. Er wird sich und anderen nie wirklich erklären können, wieso ihn diese Gefühle von Wut, Eifersucht und/oder Kränkung so haben beherrschen können, dass er zugestochen, zugeschlagen, gewürgt oder geschossen hat. Gekränkte männliche Ehre, gekränkte Männlichkeit oder frustrierte männliche Herrschsucht sind, wie die Wirklichkeit zeigt, äußerst starke Tatmotive.

      Erweiterter Selbstmord

      Oft beschließt der Täter, nicht nur mit dem Leben seiner Freundin, seiner Frau und seiner Kinder, sondern auch mit seinem eigenen Leben Schluss zu machen. Psychologen und Juristen nennen das einen erweiterten Selbstmord (Unwort des Jahres 2006 in der Schweiz). Auch das ist eine Tat, die typischerweise Männer begehen. Häufig sind es banale und an sich lösbare wirtschaftliche Schwierigkeiten, die Männer dazu bringen, ihre Frau und ihre Kinder zu töten, weil sie glauben, diese würden mit den Problemen genauso wenig fertig wie sie selbst. Er befindet sich in einem Seelenzustand von Angst, Sorge, Verzweiflung, Stress und Depression, in dem er keinerlei vernünftigen Ausweg mehr sieht.

      So ein Mann kann sich nicht vorstellen, dass andere Menschen, seine Frau oder seine Kinder, für ihr eigenes Leben verantwortlich sind und sein wollen. Er glaubt, seine Frau lebe nur für ihn und durch ihn. Dass sie nicht sterben will und vor allem die Kinder leben wollen, kann er nicht denken. Und zuweilen fällt es auch uns schwer, das zu denken. Als der Ex-General und Grünen-Politiker Gert Bastian im Jahr 1992 seine Lebensgefährtin, die Grünen-Politikerin Petra Kelly, im Schlaf erschoss und anschließend sich selbst, dauerte es eine Weile, bis die Medien darauf kamen, dass man in diesem Fall nicht einfach von Doppel-Selbstmord sprechen konnte, sondern dass es sich hier vermutlich um einen Mord mit anschließendem Suizid handelte.

      Der Begriff Familiendrama verfälscht und verharmlost auch hier die ­Situation. Er verschweigt nämlich, wer der Täter ist, und impliziert, dass Frau und Kinder in irgendeiner Form aktiver Teil der Handlung waren. Tatsächlich aber hat hier ein Mann schweigend eine einsame Entscheidung getroffen, Frau und Kinder ermordet (geplant, heimtückisch und aus niederen Beweggründen) und sich dann selbst das Leben genommen.

      Es gibt übrigens auch Frauen, die einen sogenannten erweiterten Selbstmord begehen, sie töten dabei aber nicht ihre Männer oder Lebensgefährten, sondern ihre von ihnen abhängigen Kinder. Abgesehen von den unerkannten Fällen, wo eine Frau sich und ihren Mann vergiftet hat, vielleicht weil sich beide in hohem Alter befanden, der Umzug ins Heim anstand oder sie ihn nicht alleine zurücklassen wollte.

      Ohnmacht des Opfers

      Während uns die subjektiven Opfer, ihre narzisstische Kränkung und ihre grausamen Taten

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