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dabei sollte er wirklich keinerlei Spuren hinterlassen haben, keinen Strohhalm zwischen Unterhemd und Haut, was kein Lebender ertragen hätte, keinen Kratzer seiner Fingernägel auf der Haut des Toten, kein Haar von seinem Kopf? Die Gerichtsmedizinerin hätte am Körper des Toten unbedingt fremdes Genmaterial gefunden, Haare und Hautschuppen. Außerdem hätte sie Spuren des postmortalen Kleiderwechsels entdeckt. Auch dass der Tote zu Lebzeiten diese Kleidung nicht getragen hat, hätte sie gesehen, allein schon deshalb, weil ein Mensch, der erwürgt wird, sich in die Hosen macht.

      Aber selbst wenn die Gerichtsmedizinerin und ihr gesamtes Institut gerade einen schlechten Tag gehabt hätten, wäre der Täter auf den ersten Blick an den Kratzern im Gesicht und auf seinen Armen erkennbar gewesen. Ein Opfer, dem der Kehlkopf eingedrückt wird, wartet nicht wehrlos, bis es tot ist. Die Kampfspuren in der Scheune hätten ein Übriges dazu beigetragen, dass man den Bauern zeitnah zur Vernehmung mitgenommen und die Staatsanwältin einen Gentest anberaumt hätte und der Beschuldigte noch am selben Tag dem Ermittlungsrichter vorgeführt worden wäre. Der Bauer wäre besser beraten gewesen, wenn er die Leiche nackt in einem einsamen Gewässer entsorgt hätte. Natürlich hätte die Kriminaltechnik letztlich in seinem Auto oder auf dem Hof gen­identische Spuren gesichert, aber nur, wenn sie die Leiche auch gefunden hätte.

      Ein schöner Plot, der an der irrealen Polizeiarbeit krankt. In unseren Krimis tun wir fast immer so, als ob die Kripo so naiv wäre wie wir selbst und heute noch mit den Methoden des Privatdetektivs Sherlock Holmes aus dem 19. Jahrhundert (vor dem Fingerabdruck) ermitteln würde. Das tatsächliche Drama, das in dieser Soko-Folge steckt, ist die schier unlösbare Frage, wie man eine Leiche manipuliert, ohne dass die Forensik sofort draufkommt und binnen weniger Stunden eine Verbindung zwischen Leiche und Täter herstellt. Dabei ist es genau das, worauf die Kriminologie und ihre Instrumente ausgerichtet und worin sie sehr erfolgreich sind.

      Wenn wir den massenhaften Output kommerzieller und serieller Krimischreiber/innen betrachten, stoßen wir immer wieder auf drei Grundfragen. Und genau damit wollen wir uns jetzt genauer befassen.

      1. Ist das vorgeführte Motiv wirklich ein Grund zu töten?

      2. Geht das mit der Leiche wirklich so?

      3. Ist die Polizei wirklich so unbedarft?

      Teil 1 Das Mordmotiv

      Die Motivierung eines Mordes ist die Domäne des Krimis. Rache, Hass, Angst oder Wahnvorstellungen wollen psychologisch nachvollziehbar erklärt werden. Kein Lektor lässt einen Krimi passieren, in dem nicht begründet wird, warum die fiktiven Figuren so handeln, wie sie handeln, und der am Schluss nicht offenlegt, aus welchen zwingenden Gründen der Täter getötet hat. In Realität aber werden viele Tötungsdelikte vor Gericht verhandelt und Angeklagte verurteilt, ohne dass je klar wird, warum sie die Tat begangen haben.

      Für uns aber ist das Motiv entscheidend. Denn wir wollen uns schreckliche Ereignisse erklären. Gewaltsame Todesfälle gehören für die Hinterbliebenen zu den fürchterlichsten Schicksalsschlägen überhaupt. Die Frage »Warum?« ist die quälendste Frage, die sich Angehörige stellen. Sie führt bis ins Religiöse und endet oft in der eigenen Schuldfrage: »Was habe ich getan, dass ich das verdiene? Warum musste mir das zustoßen?« Für den Tod eines Angehörigen brauchen wir nicht nur unbedingt einen Schuldigen, also den Täter, sondern wir möchten von ihm auch wissen, warum er die Tat begangen hat, deren Folgen uns aus der Bahn werfen.

      Der Krimi ist vermutlich so beliebt, weil er die Schreckensvision dessen, was uns persönlich zustoßen kann, kunstvoll bannt. Deshalb akzeptiert er es auch als seine Aufgabe zu erklären, warum Menschen unvorstellbare Verbrechen begehen.

      Rache

      Psychologen sagen, jeder Mensch habe in seinem Leben schon mindestens einmal gewünscht, eine Person umzubringen. Aber die wenigsten tun es. Im Allgemeinen vermutet man, es hänge damit zusammen, dass wir die Folgen fürchten, also Ausgrenzung und Strafe. Andere meinen, Menschen hätten wie die meisten Tiere eine natürliche Hemmung, Mitglieder ihrer eigenen Art zu töten. Das trifft allerdings schon im Tierreich nicht zu. Die sozialen und moralischen Sperren in einer Zivilgesellschaft sind jedoch ziemlich hoch. Und komplex. Damit ein Mensch sich entschließt zu töten, muss vieles zusammenkommen.

      Von allen Hassgefühlen verstehen wir keines so gut wie das Gefühl: Dem zahle ich es heim.

      Der Investmentvertreter Harry Brenner hat hundert Anleger um ihr Erspartes betrogen, indem er ihnen wertlose Ostimmobilien als Geldanlage fürs Alter empfahl. Er suggerierte Renditen von über 100 Prozent. Die Immobilien erweisen sich als leerstehende Bauruinen. Die Betrogenen zeigen Harry Brenner wegen Betrugs an. Er nimmt sich einen guten Rechtsanwalt, der vor Gericht darlegen kann, dass das Kleingedruckte Hinweise enthielt, dass die Rendite sehr viel niedriger liegen kann. Einer der Kläger, der Rentner Müller, verliert schon im Gerichtssaal die Nerven und wird rausgeschickt. Der Richter befindet, allein der gesunde Menschenverstand und die Lebenserfahrung hätten Müller sagen müssen, dass Renditen von über 100 Prozent nicht vorkommen können, und spricht den Angeklagten vom Vorwurf des Betrugs frei.

      Auf der Treppe vor dem Amtsgericht wartet Rentner Müller auf den siegreichen Angeklagten, zieht eine Pistole und schießt ihn nieder.

      Versuchen wir uns zu erinnern, wann wir zuletzt in den Medien von so einem Mord gehört haben. Wann ist ein zynischer Banker, ein Betrüger, ein Pädokrimineller, ein Vergewaltiger oder ein mobbender Chef ermordet worden? Im Ernst: Solche Morde geschehen in Realität fast nie. Und das, obgleich es uns überhaupt nicht schwerfällt, Wut und Rache, das Bedürfnis nach Gerechtigkeit als überzeugendes Motiv zu akzeptieren. Es gibt zahl­lose Filme und Romane, die ihren Handlungsimpuls aus dem Rachefeldzug ihres Pro­tagonisten beziehen. Und wir wünschen dem Täter Erfolg und Freispruch.

      Tatsächlich aber lohnt es sich nicht, einen Betrüger oder Vergewaltiger zu ermorden. Der Gewinn wiegt den hohen Einsatz nicht auf. Rentner Müller bekommt sein Geld nicht wieder, wenn er den Betrüger erschießt, und während Harry Brenner nun tot und seine Sorgen los ist, kommt er selbst als Schütze lebenslänglich ins Gefängnis und hat jede Menge Ärger. Auch eine vergewaltigte und ermordete Tochter wird nicht wieder lebendig, wenn ich den Täter töte. Aber bestimmt komme ich dafür lange hinter Gitter.

      Wenn es doch passiert, haben solche Taten einen erschreckend pubertären Charakter. Sie passen eher in die Phase der menschlichen Entwicklung, in der wir zu überdimensionalen und absoluten Gefühlsreaktionen neigen und in unserem Bewertungssystem noch nicht das Wichtige von Unwichtigem zu trennen gelernt haben. Da wird eine banale Kränkung zur tödlichen und unsere Reaktion auch.

      Des Nachts im November 2007 nimmt eine 15-Jährige die Pistole ihres Vaters aus dem Tresor und setzt das Magazin ein. Mit der Waffe geht sie in das Zimmer ihres Bruders und macht Licht. Der zehn Jahre ältere Bruder wacht auf. Sie drückt zwei Mal ab. Aber es löst sich kein Schuss, denn sie hat vergessen, die Waffe durchzuladen. Die Mutter vertraut die Geschichte einem Lehrer an, und der verständigt die Polizei. Das Gericht verurteilt das Mädchen ein Jahr später zu zwei Jahren auf Bewährung. Als Motiv erkennt das Gericht an, dass der Bruder das Mädchen am Tag der Tat schwer sexuell beleidigt, gedemütigt und verletzt hatte. Mehr wird aus der Verhandlung nicht bekannt. (dpa, Dezember 2008)

      Wenn Jugendliche einen Rentner zusammenschlagen, der sie in der U-Bahn auffordert, nicht zu rauchen, tun sie im Grunde genau das, was wir eigentlich gut verstehen: Sie strafen den ab, der ihnen dumm und frech kommt. Nur in diesem Fall schütteln wir die Köpfe, weil in unseren Augen das Ausmaß von Gewalt dem Anlass nicht angemessen ist. Aber das ist es genauso wenig bei Schüssen auf einen betrügerischen Investmentvertreter, der uns um die Ersparnisse fürs Alter gebracht hat.

      Die naheliegende Idee, dass eine Frau langjährige Misshandlungen durch ihren Ehemann mit einem feinen Mord beendet, entspricht auch nicht dem, was in Realität passiert. Denn die Gefühle, die ein Opfer (von Gewalt, Mobbing oder Ungerechtigkeit) durchlebt und in sich ansammelt – Wut, Angst, Ohnmacht, Hass –, taugen kaum als Antrieb für eine große Tat. Opfer fühlen sich ohnmächtig.

      Tötet ein Opfer oder aber – eher möglich – der Elternteil eines Opfers doch, so sind seine Gefühle so gut nachvollziehbar,

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