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als ob seine Ohren unterhalb des Wasserspiegels einer Badewanne versunken wären. Panik erfasst ihn, als sein Kopf gequetscht wird und zwei Hände ihn umfassen.

      Dann geht es schnell. Ein letzter Druck gegen sein Steißbein und – durch eine glitschig-feuchte Hautspalte wird er ins Freie gepresst. Gleißendes Licht blendet ihn, während er in blutig-schleimiger Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen liegt. Er schreit, spürt die Kraft des Sauerstoffs in den Lungen und denkt:

      Achtet auf die Sperlinge!

      Ich bin wieder da!

       Kapitel 2: Patmos

       99 nach Christi Geburt

      Das trübe Licht der Kammer machte ihm zu schaffen. Seine trockenen Augen brannten. Mühsam erhob er sich von einem Holzschemel und ging gebeugt an das offene Fenster der Festung. Von hier oben hatte er eine wunderbare Aussicht auf das weite Meer. In den Wellen der einsetzenden Flut spiegelte sich das Abendrot. Kein Baum störte beim Betrachten der hügeligen, mit Phrygana, dem für die Insel typisch immergrünen Busch- und Strauchwerk, überzogenen Landschaft.

      »Ist er müde?«

      Johannes erkannte an der Stimme, wer soeben leise ins Zimmer getreten war. Der Diener des Cado, jenes Griechen, in dessen Kastell der Insel Patmos er seit seiner Verbannung Unterschlupf gefunden hatte.

      »Ja, mir schmerzen die Augen, doch muss ich meinen Auftrag zu Ende bringen, so wie mir Jesus geheißen.«

      »Dann lege er sich nieder und diktiere er mir, dass ich für ihn die Worte zu Pergament bringe.«

      Johannes lächelte, während er den greisen Körper zur Liege bewegte, einer schlichten Schlafstätte aus Holz und Bast. Die Härte des Bettes schmerzte, sodass sein krummer Rücken morgens Zeit begehrte, wieder einsatzfähig zu werden. Noch immer waren die über neunzig Jahre alten Knochen gezwungen, den scharfsinnigen Geist des Johannes zu tragen. Manchmal wunderte er sich selbst über das greise Alter, doch er wusste, dass er zuerst eine Aufgabe zu erfüllen hatte, bevor er ins Reich Gottes aufgenommen werden konnte.

      »So schreibe er, was ich aus dem Munde Jesu zu berichten habe.«

      Der Diener entzündete die rote Kerze auf dem Tisch, nahm den Pinsel aus Binsen sowie eine Seite Papyrus – dann wartete er auf die ersten Worte des Alten. Er war stolz darauf, als armselig Bediensteter an diesem bedeutenden Ereignis – davon war er überzeugt – beteiligt zu sein. Jede Zeile, die er bereits seit Wochen zu Papier gebracht hatte, steigerte die Demut wie auch seinen Glauben, welcher sich tief in seinem Herzen verankert hatte.

      Mit weißem langem Haar und ebenso wucherndem Bart lag Johannes ruhig atmend auf dem Rücken. Die knorrigen Hände waren wie zum Gebet gefaltet, als er mit sonorem Tonfall begann: »Und der siebente Engel goss aus seine Schale in die Luft; und es kam eine große Stimme aus dem Tempel vom Thron, die sprach: Es ist geschehen!«

      Johannes seufzte, wartete auf des Dieners Gemurmel, jenes Zeichen, dass dieser fertig geschrieben hatte.

      »Und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner, und es geschah ein großes Erdbeben, wie es noch nicht gewesen ist, seit Menschen auf Erden sind – ein solches Erdbeben, so groß. Und aus der großen Stadt wurden drei Teile, und die Städte der Heiden stürzten ein. Und Babylon, der großen, wurde gedacht vor Gott, dass ihr gegeben werde der Kelch mit dem Wein seines grimmigen Zorns. Und alle Inseln verschwanden, und die Berge wurden nicht mehr gefunden. Und ein großer Hagel wie Zentnergewichte fiel vom Himmel auf die Menschen; und die Menschen lästerten Gott wegen der Plage des Hagels; denn diese Plage ist sehr groß.«

      Johannes öffnete die Augen. Es war finster im Raum. Nur der Kerzenschein flackerte neben dem eilig schreibenden Diener.

      »Seid Ihr fertig, Johannes?«

      »Für heute ja. Ich bin müde.«

      »Erlaubt mir eine Frage: Warum droht unser Herr mit seinen Worten, wo er uns doch erschaffen hat und liebt?«

      »Habt Ihr Kinder?«, fragte Johannes.

      »Nein.«

      »Wenn Ihr welche hättet, so verstündet Ihr das Wort Gottes. Denkt an Eure Eltern. Haben sie nicht alles gegeben, um euch zu einem anständigen Menschen zu erziehen?«

      »Aber ja doch.«

      »Und wurdet Ihr getadelt?«

      »Gewiss.«

      »Dann lest die Worte Jesu und denkt darüber nach.«

      Der Blick des Dieners fiel auf bereits sechs versiegelte Rollen, die neben ihm auf dem Tisch lagen. »Warum sendet Jesus diese Worte?«

      »Warum, fragt Ihr? Es werden viele, sehr viele Jahre – gar Jahrtausende ins Land gehen. Gute und schlechte Jahre. Der Herr gibt den Christen Geleit, sich auf gewaltige Auseinandersetzungen einzustimmen.«

      »Auseinandersetzungen?«

      »Gewiss. Es werden diese kommen, auf Leben und Tod, weil es eine Fehde zwischen Gott und Götzen ist. Versteht Ihr den Grundkonflikt? Jenen Konflikt zwischen Gut und Böse?«

      »Warum sollte dieser kommen?«

      »Er ist bereits da, mein Sohn. Ich blicke in den Thronsaal Gottes. Selbige kosmische Macht, die im himmlischen Glanze erstrahlt – der Herrlichkeit Gottes.«

      Der Diener verstand nicht, worauf Johannes hinauswollte. »Wenn Ihr behauptet, die Auseinandersetzung wäre gegenwärtig, so verrate er mir, warum ich sie nicht sehen kann?«

      »Ihr seht sie, dennoch nehmt Ihr sie nicht wahr. Warum bin ich hier in Patmos und nicht in meiner Heimat? Warum nährt die Politik, der Mensch, jenen Boden, der für Christen am gefährlichsten ist? Seht Euch um und Ihr werdet erkennen.«

      »Was will Jesus mit seinen Worten bezwecken?«

      »Er weist den Weg. Wenn die Zeit gekommen ist, wird das Volk die Zeichen verstehen. Dann nämlich, wenn die Siegel gebrochen werden.«

      »Was geschieht dann?«, fragte der Diener, während ein Schauer über seinen Rücken lief.

      »Der Mensch wird wissen, dass Gottes Gericht nahe ist. Das Jüngste Gericht ist Gottes Plan.«

      »Wie und wen wird er richten?«

      Johannes lächelte über den Wissensdurst des Pagen. »Ich bin müde. Lasst uns morgen weiterreden.«

      Schweigend, mit hundert unbeantworteten Fragen, verabschiedete sich der Diener des Cado. Als er gegangen war, stand Johannes auf. Bedächtig las er die Worte auf dem Pergament – dann küsste er es, bevor er es rollte. Das rote Wachs der Kerze tropfte auf das Schriftstück. Johannes verschloss den siebten Brief, indem er das heilige Siegel in das noch weiche Kerzenwachs drückte.

       Kapitel 3: Apokalypse – Die Offenbarung des Johannes

      »Und Jesus ging aus dem Tempel fort und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. Der Anfang der Wehen. Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der Wehen.« (Evangelium nach Matthäus)

      Jesus hat seinen Jünger Johannes beauftragt, die Apokalypse niederzuschreiben, um der Menschheit zu verkünden,

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