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verzehrt und mit einem Schluck Milch hinuntergespült hatte, nahm sie dem größten der Welpen, der offenbar Tauziehen spielen wollte, die Serviette wieder ab.

      „Komm, gib schon her, mein kleiner Schatz“, sagte Everleigh und musste lachen, als er sich auf seinen winzigen Hintern ins Gras setzte und knurrte, so laut er konnte.

      Das Geräusch des Windes hatte sich inzwischen verändert und sie wollte möglichst schnell wieder ins Haus. Sie hob die Welpen – erst Rocco und dann auch alle anderen – in ihre Schürze – und als sie gerade bei der Hintertür ankam, die in die Küche führte, fing es an, in dicken Tropfen zu regnen.

      Everleigh stellte ihr benutztes Geschirr in die Spüle und setzte die Welpen auf dem Linoleumfußboden ab, bevor sie dann durchs ganze Haus ging und alle Fenster schloss.

      Mama Applegate erlaubte eigentlich nicht, dass die Hunde mit ins Haus kamen. „Sie haben ein sehr schönes Zuhause in der Scheune“, sagte sie immer – aber Everleigh hatte keine Zeit mehr, noch einmal zurück zur Scheune zu gehen und sie zu ihrem Lager aus Heu zu bringen.

      Sie errichtete deshalb aus Küchenstühlen eine Absperrung, sodass die Welpen unter dem Tisch eine Art Pferch hatten, und gab jedem zwei Happen von dem Hähnchen, das es letzten Abend zum Essen gegeben hatte.

      „So, und jetzt benehmt euch, während ich den Pie mache.“

      Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, und als sie den Teig ausrollte, schaute Everleigh immer wieder hinaus.

      Aus dem Ächzen und Stöhnen des Windes war inzwischen ein Heulen geworden.

      Und sie hatte gerade den Pie in den Ofen geschoben, als das Haus so heftig von einer Windbö getroffen wurde, dass die Fensterscheiben klirrten.

      Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und schaltete das Radio in der Küche ein, um Nachrichten zu hören, doch es kam nur statisches Knistern heraus.

      Wieder heulte und pfiff der Wind und es klang fast wütend und unheimlich.

      Das ganze Haus bebte so heftig, dass der Kronleuchter ins Schwingen geriet und ein Glas aus dem offenen Regal über der Spüle fiel. Everleigh war gerade dabei, die größeren Scherben in den Mülleimer zu werfen, als die Südseite des Hauses von einer Windbö getroffen wurde und in der oberen Etage ein lautes Geräusch zu hören war, so als ob etwas splitterte.

      Everleighs Herz pochte jetzt so heftig, dass es ihr in den Ohren dröhnte, während sie die Küchenstühle zur Seite zog und den zitternden Welpen zuraunte „Kommt mal her.“

      Die zappelnden kleinen Körper an ihre Brust gepresst, ging sie rückwärts zur Fliegengittertür, um sich vorsichtshalber im Keller in Sicherheit zu bringen, der bei Sturm den besten Schutz bot.

      Der Sturm peitschte ihr den Regen ins Gesicht und drückte sie gegen einen der Stützpfeiler der Veranda, sodass sie beinah den kleinen Rocco losgelassen hätte.

      Sie musste unbedingt den Keller erreichen, brauchte aber alle Kraft, ihre gesamte Kraft, um die Veranda überhaupt verlassen zu können. Dabei rutschte sie auf dem nassen Holz aus, taumelte rückwärts und konnte den größten Welpen nicht mehr festhalten. Der fiel zu Boden, jaulte laut auf und rannte hektisch im Kreis herum.

      Sie rief ihn, aber der Wind war so laut, dass ihre Stimme nicht zu hören war. Sie schlang ihren einen Arm fest um den Stützpfosten der Veranda, um nicht weggeweht zu werden und verstaute Rocco mit der anderen Hand in ihrer Schürzentasche, während sie gleichzeitig versuchte, die anderen beiden zappelnden Welpen festzuhalten und den völlig panischen größten am Nackenfell wieder hochzuheben.

      Als sie es geschafft hatte, rannte sie geduckt mit einem wilden Schrei fast wahnsinnig vor Angst und völlig durchnässt hinüber zum Keller.

      Sie erreichte die in den Boden eingelassene Kellerluke, griff nach dem verrosteten Metallgriff, aber ihre Finger rutschten ab, und sie geriet ins Stolpern, als eine Bö sie erfasste, sodass sie einen Satz nach vorn machte.

      Ihr Kleid klebte völlig durchnässt an ihren Beinen, und die Welpen winselten und jaulten, als sie noch einmal an den Griffen der Tür zog.

      Adrenalin überschwemmte ihren Organismus, ließ dann wieder nach, und sie blieb zitternd und mit weichen Knien stehen, gefangen in ihrem vor Nässe schweren Kleid.

      Das Heulen des Windes wurde immer lauter, und wie mit dunklen wirbelnden Fingern schnappte er sich alles, was sich auf dem Boden befand.

      Einen Moment lang war Everleigh wie erstarrt. Es war ein Tornado, ein Wirbelsturm! Als ihr das klar wurde, bekam sie übermenschliche Kräfte und zog die Tür gegen den Widerstand des Windes auf. Sie ging die schmale Treppe hinunter und gelangte schließlich auf den kalten Lehmboden des Kellers, wo sich die Welpen aus ihrem Griff befreiten. Sie hörte, wie der Sturm die Kellertür mit einem lauten Knall wieder zuschlug.

      Zitternd tastete sie im Dunkeln nach der Taschenlampe und fand sie tatsächlich in dem Regal, wo Rhett sie vor einem halben Jahr deponiert hatte. Sie waren damals dort unten gewesen, um Lebensmittelvorräte für den Notfall zu lagern, und hatten sich wie frisch verliebte Teenager aufgeführt.

      Doch jetzt hatte der Keller absolut nichts Behagliches oder Romantisches mehr. Als Everleigh die Taschenlampe einschaltete, ließ sie den Lichtkegel an den Wänden und auf dem Boden des Kellers entlanggleiten, bis sie die Welpen entdeckte, die dicht aneinandergeschmiegt auf einer alten Pferdedecke lagen.

      Über ihnen toste der Sturm und rüttelte an der metallenen Kellerluke, sodass sie einen Spaltbreit aufging und dann mit einem lauten Knall wieder zuschlug.

      Sie ging zu den Welpen hinüber, kauerte sich dort neben ihnen auf den dunklen Boden und stieß nach einem langen, ängstlichen Atemzug einen Angstschrei aus, der es mit dem Tosen des Tornados über ihnen aufnehmen konnte.

       Beck

      Den ganzen ersten Tag nach ihrer Suspendierung verschlief sie, um wieder in den normalen Tag-Nacht-Rhythmus hineinzufinden. Schon am zweiten Tag wurde sie rastlos und suchte im Internet nach einem billigen Flug nach Florida.

      Am dritten Tag nahm sie endlich ihren Arzttermin wahr und ließ die Sprechstundenhilfe, die sie mit Verachtung strafte, weil sie ihre Schwangerschaftsvorsorge vernachlässigte, kühl abblitzen.

      Die Ultraschalluntersuchung ergab, was sie ohnehin schon wusste, nämlich dass sie ein Mädchen erwartete. Der Arzt verschrieb ihr Vitamine und gab ihr einen neuen Termin in vier Wochen. Nur mit Mühe gelang es ihr, den Termin noch zwei Wochen länger hinauszuschieben mit der Begründung, sie müsse nach Florida.

      Sie würde also wirklich dorthin fliegen. Na gut, warum nicht? Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die Sache mit dem Haus ein Scherz war – und etwas anderes hielt sie für eher unwahrscheinlich – konnte so eine Reise nach Florida ja auch Spaß machen. Zumindest konnte sie dadurch dem Winter in New York und Hunter eine Weile entfliehen.

      Am vierten Tag rief sie Miss Everleighs Anwalt Mr. Joshua Christian an, und ließ sich von ihm bestätigen, dass sie tatsächlich als Erbin eingesetzt war. Er sagte, er freue sich und würde sie gern vom Flughafen abholen, aber sie wollte sich lieber ein Taxi nehmen.

      Am Nachmittag des fünften Tages ihrer Suspendierung nahm Beck den Zug nach Brooklyn Height und klopfte an Phil Hogans Tür.

      Obwohl er sie bei der internen Ermittlung verpetzt hatte, brauchte sie seinen väterlichen Rat, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte, obwohl sie auch schon mit ihrer Mutter und Flynn gesprochen hatte – über das Haus, nicht über das Baby – und beide sie gedrängt hatten, nach Florida zu fliegen und sich das Haus anzuschauen.

       „Mist, vielleicht schlage ich auch mal jemanden, damit ich suspendiert werde“, scherzte Flynn und warf dann rasch einen Blick zu ihrer Mutter. Er tat, was er immer tat. Er versuchte, die Situation aufzulockern.

      

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