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Mutter und fuhr fort: „Miss Everleigh hat sich um meine Mutter gekümmert, als sie krank war. Ich weiß wirklich nicht, was wir ohne sie getan hätten. “

      „Wohl die Hälfte der Menschen hier im Raum haben so eine Geschichte zu erzählen. Als Stone mich damals verlassen hat und dann gestorben ist, war sie für mich ein Fels in der Brandung. Und natürlich hat sie mir dadurch jeden Tag den Weg zu Jesus gezeigt.“

      Seine Mutter ging jetzt weiter zu den beiden Plätzen, die sie reserviert hatte, und Bruno setzte sich auf einen davon am Ende der Sitzreihe.

      Pastor Oliver bat um Ruhe, und als es schließlich still war, durchbrach ein Signalton von Brunos Handy die Stille.

      „Schalte das aus“, sagte seine Mutter und sah ihn dabei so böse an, wie sie konnte. „Die Arbeit kann jetzt wirklich einmal für ein paar Stunden warten.“

      Er fügte sich mit einer „Ja-sofort“-Geste, aber in der Spielerberater-Branche gab es so etwas wie „jetzt nicht“ oder „heute nicht“ nicht, denn ein einziger verpasster Anruf konnte einen Klienten kosten, und junge Männer, die Millionen auf dem Konto hatten, warteten auf niemanden.

      Bruno ging in Richtung der breiten Doppeltür, während er das Gespräch annahm.

      „Mr. Endicott, hier ist Tyvis Pryor. Wie geht’s Ihnen? Ich hoffe, ich störe Sie nicht, weil ja Sonntag ist.“

      „Ich bin gerade auf einer Trauerfeier, Tyvis. Kann ich dich später zurückrufen?“

      Bruno sah die vielen Autos, die dicht an dicht an der Straße geparkt waren, und dann blieb sein Blick an einer groß gewachsenen, brünetten Frau mit offenen Haaren und weichen Rundungen hängen, die rasch und energisch in seine Richtung gegangen kam.

      Irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Die selbstbewusste, fast draufgängerische Haltung, aber auch der Hauch von Unsicherheit in dieser Situation, in der sie nicht recht wusste, was auf sie zukam.

      „J… ja klar, das wäre großartig. Hören Sie, ich will Sie wirklich nicht stören, aber …“

      Tyvis Zögern und seine mangelnde Selbstsicherheit fühlten sich seltsam ungewohnt an und waren sehr untypisch für die Branche. „Ich habe mich nur gefragt, ob Sie schon entschieden haben, ob Sie mich nehmen. Ich verspreche auch, dass ich hart für Sie arbeiten werde.“

      Im Hintergrund war jetzt eine Stimme zu hören, die sagte: „Tyvis, ich brauch dich jetzt hier am Grill.“

      „Ich muss jetzt Schluss machen, Mr. Endicott.“

      „Bruno. Bitte nenn mich doch Bruno.“

      „Klar, Bruno.“

      Als das Gespräch beendet war, steckte er sein Handy wieder ein und sah, wie die Frau näherkam. Irgendwoher kannte er sie. Aber woher?

      Was Tyvis betraf, so tat ihm der Junge wirklich leid, aber Bruno konnte keine Firma aufbauen mit einem Jugendlichen vom Junior College als Grundlage. Es wäre komplett verrückt, ihn unter Vertrag zu nehmen und für sein Training und die Unterhaltskosten zu zahlen, wenn nicht der Hauch einer Chance bestand, dass er es je in eine Profi-Kartei schaffen würde.

      Die Frau ging an ihm vorbei und hinterließ einen Duft nach grüner Wiese. In der großen zweiflügeligen Eingangstür blieb sie stehen.

      Bruno beugte sich etwas vor, damit er ihr Gesicht sehen konnte, und spürte so etwas wie Vertrautheit.

      „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er sie.

      „Nein danke“, antwortete sie schroff, fast kalt und ohne ihn auch nur anzusehen.

      Bruno betrachtete noch eine Weile ihr Profil und ging dann zurück zu seinem Platz. Woher kannte er sie nur?

      An dem Stehpult aus Metall sprach jetzt Pastor Oliver über Mrs. Everleigh Callahan – für alle, die sie kannten, Miss Everleigh – während gleichzeitig Bilder aus ihrem Leben hinter ihm auf eine Leinwand projiziert wurden.

      „Als Everleigh Louise Novak wurde sie am 15. Juni 1929 in Waco, Texas geboren …“

      Eine junge, schöne Miss Everleigh lächelte in schwarz-weiß von der Leinwand. Dann wechselte der Beamer zum nächsten Bild – einem verblichenen Farbfoto von ihr auf einer Veranda, die Arme um einen gut aussehenden Kerl geschlungen, der wie John Wayne aussah.

      Bruno stupste seine Mutter an und fragte: „Weißt du, wer die Frau da an der Tür ist?“

      „Pst!“ Sie legte sich den Zeigefinger auf ihre Lippen und richtete den Blick wieder auf die Bilder aus Miss Everleighs Leben.

      Bruno setzte sich so, dass er noch einmal kurz in die Richtung schauen konnte, in der die Frau stand. Sie war noch da, stand mit stoischer Miene an den Türrahmen gelehnt.

      „Ich mochte ihre starken weichen Hände“, sagte Pastor Oliver gerade. „Ich wusste immer schon, wenn es Miss Everleigh war, die mir nach der Predigt die Hand auf die Schulter legte, bevor sie sagte: ,Gute Predigt, Pastor.‘“

      Als Pastor Olivers Stimme jetzt stockte, ging es Bruno durch Mark und Bein, und plötzlich kam alles wieder hoch, was er an Miss Everleigh geliebt hatte.

      Ihre freundlichen Augen und die sanfte Stimme, ihre Geduld und ihre festen Umarmungen. Wie sie jeden Tag nach dem Mittag die Hintertür für ihn offen gelassen hatte, damit er nach der Schule gleich hereinkommen konnte, und wie dann immer schon ein Teller mit selbst gebackenen Cookies und ein Glas Milch auf ihn gewartet hatten.

      Wie sie gelacht hatte, wenn er nach dem Football Training mit der gesamten Abwehr der Mannschaft völlig verdreckt nach Hause gekommen war.

       „Setzt euch, Jungs, setzt euch doch. Ich backe noch ein paar Cookies mehr. Möchte jemand ein Sandwich?“

      Und jedes Mal waren alle Hände hochgegangen.

      Er biss die Zähne zusammen und kämpfte mit den Tränen und gegen die Reue, die ihn jetzt packte.

      Er hätte öfter aus LA herkommen sollen, um seine Mutter und Miss Everleigh zu besuchen. Aber er hatte immer gedacht, er hätte noch viel Zeit, hatte gedacht, seine Karriere sei wichtiger.

      Als seine Mutter jetzt schluchzte und ihr weißes Taschentuch an ihre nasse Wange drückte, nahm Bruno ihre Hand und machte sich auch auf seine eigene Trauer gefasst.

      „Sie war bekannt als eine Frau mit Charakter und als Beterin“, fuhr Pastor Oliver fort. „Wenn Miss Everleighs Leben und ihre Gebete auch Einfluss auf Ihr Leben gehabt haben, dann stehen Sie doch bitte einmal auf.“

      Daraufhin erhoben sich alle Anwesenden.

      Als Nächstes betrat ein junger Mann mit einer Gitarre das Podium, trat ans Mikrofon und stimmte einen Choral an. „Singen Sie doch jetzt mit mir ,The Old Rugged Cross‘, eines von Miss Everleighs Lieblingsliedern.“

       „On a hill far away, stood an old rugged cross.“

      Die vielen Stimmen, die Melodie und der Text forderten Brunos Entschlossenheit heraus, nicht zu weinen. Er sehnte sich nach seiner alten Freundin, nach den vergangenen Zeiten, nach der Ferien-Bibelschule bei ihr im Garten hinter dem Haus und nach ihrer bedingungslosen Liebe.

      Verschämt wischte er sich rasch eine Träne weg, die sich gerade aus seinem Augenwinkel lösen wollte. Aber Tränen änderten nichts. Sie sorgten nicht dafür, dass Wünsche in Erfüllung gingen und erweckten weder Väter noch alte Freundinnen wieder zum Leben.

       Miss Everleigh ist deiner Tränen würdig.

      Während weiter gesungen wurde, ließ Bruno seinen Erinnerungen freien Lauf, aber genau in dem Moment vibrierte sein Handy wieder, und holte ihn in die Realität zurück.

      Er ließ die Hand seiner Mutter los und ging wieder zum Eingang.

      „Endicott“, meldete er sich.

      „Hier ist Coach Brown.“

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