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zu. Sie schien sich zu freuen, musterte mich dennoch kritisch von oben bis unten, vom weiten T-Shirt bis zu den abgelatschten Sneakers und zurück. Schwungvoll öffnete sie das Gartentor und begrüßte mich. »Hättest du dich nicht etwas besser anziehen können?«

      Ich verkniff mir ein Lächeln und den Kommentar, dass sie so eben nicht vor ihren Etepetete-Freundinnen mit mir angeben könne. »Bea, ich bin dreißig! Meinst du nicht …«

      »Das bist du nicht!«

      »Gut, ich bin Ende zwanzig.«

      »Mitte zwanzig!«

      »Bea, nein! Siebenundzwanzig ist Ende zwanzig. Finde dich endlich damit ab, dass deine unverheiratete Tochter bald dreißig wird!«

      »Wenn sie sich jetzt noch etwas besser anziehen würde …«

      »Du mich auch!«

      Kein Grund, ihr zu gestehen, dass ich megaschicke Blusen mit Logo hatte anfertigen lassen, die wir eigens für Lieferungen und Verhandlungen benutzten und zu denen wir immer seriöse Stoffhosen und passende Schuhe trugen. Aber wenn ich den Brunch meiner Mutter belieferte, hatte ich die Berlin-Hose und ein Shirt an, auf dem Zuckerbrot ist alle! stand.

      Bea drückte mich an sich. Ihr knochiger Körper pikte warm in meine Speckschichten. Dann öffnete sie das Hoftor, und ich kletterte zurück auf den Sitz, um den Wagen bis zur Haustür zu fahren.

      Schließlich stieg ich aus, öffnete den Laderaum, hob vorsichtig eines der Pakete hoch und folgte Bea ins Haus. Drinnen war das Büfett aufgebaut. Vermutlich hatte Bea für die eine Hälfte davon die ganze Nacht in der Küche gestanden und für die andere Klausens Lieblingscatering beauftragt. Mir wurde schlecht beim Anblick der Haxen und des Grünkohls neben dem Rechaud mit Rührei und Speck und der Milch, die sofort all diese Gerüche aufnehmen und bestialisch auf dem Müsli schmecken würde. Ich brachte nach und nach die Platten hinein, stellte sie auf dem dafür vorgesehenen Tisch ab und rückte sie noch etwas zurecht.

      Bea kam mit einem Fotoapparat und machte Bilder. »Wunderschön hast du das gemacht!« Sie lächelte, und in meinem Körper breitete sich Wärme aus.

      Ich ignorierte mein rot anlaufendes Gesicht und nahm die Milch. »Erlaubst du, dass ich das hier dorthin stelle, wo es nicht nach Grünkohl und Ei …«

      »Lass das ma, Knubbelchen!«, brummte plötzlich eine Männerstimme.

      Klaus Kirchner himself schlurfte die Treppe herab. Sein schneeweißes Haar akkurat geschnitten, die Ärmel des legeren Hemds aufgerollt, dazu eine dunkle Cordhose. Eigentlich sah der Ehemann meiner Mutter immer gleich aus. Seine nach unten gezogenen Mundwinkel, sein miesepetriges Gebrumme und sein unleidlicher Charakter wurden von der gewissenhaft gebügelten Kleidung nicht aufgewogen. Pami und ich hatten ihn schon vor Jahren »Klaus, den brummeligen Troll« getauft.

      »Deine Mutter hat die Aufstellung seit Wochen geplant. Lass die Milch, wo sie ist! Du hast doch deinen Katzentisch. Wir bezahlen dich fürs Liefern – nicht dafür, dass du alles durcheinanderbringst!« Er kam zu uns und legte einen Arm um Bea.

      »Ach, meine kleine Köchin will ja nur helfen!«, beschwichtigte die und schmiegte sich an Klaus.

      Der Troll musterte meine Jogginghose, die meinen Arsch – zugegeben – noch fetter machte, und schnaufte. »Klein, ha!«

      »Nun hör doch auf!« Bea lachte. »Schau, wie schön sie die Platten angerichtet hat!«

      »Ganz passabel, muss ich sagen. Hast du das gemacht oder die kleine Schwarze?«

      »Das habe ich zubereitet, und der Name meiner Freundin lautet Pamela!«

      »Jaja, kein Grund, frech zu werden, Knubbelchen!«, sagte er und tätschelte meine Schulter.

      Ich schüttelte seine mit Altersflecken übersäte Hand ab, als es klingelte. Klaus tappte zur Tür, ohne mich weiter zu beachten.

      »Da sind sie schon!«, stellte Bea überflüssigerweise fest. »Willst du bleiben, Aileena?« Seit sie in bessergestellten Kreisen wandelte, nannte sie mich so und sich selbst Beatrix statt Beate. Sie musterte erneut meine Kleidung und setzte leise nach: »Ich könnte dir ein hübsches Wickelkleid borgen, in dem sähest du gescheit aus. Du könntest ein paar Visitenkarten verteilen, Aileena.«

      »Lass nur, Beatrix! Ich gehe und werde dich nicht blamieren«, sagte ich deutlich. »Aber vielleicht erlaubst du, dass ich ein paar Flyer auf meinen Katzentisch lege?«

      »Ach du, du blamierst mich doch nicht! Du weißt, wie stolz ich auf meine selbstständige, unabhängige Tochter bin!«, rief sie mit einem Auge auf die Damen, die sich gerade näherten.

      »Unabhängig, ha!«, grunzte der Troll, der schon wieder neben Bea stand.

      Ich schluckte meinen Groll hinunter. Auch der Troll hatte uns Geld für das Unternehmen geliehen. So gerne hätte ich ihm als Erstem alles zurückgezahlt, damit er still war. Obwohl nur ein Drittel des Startkapitals von ihm stammte, ritt er immer wieder auf dem Thema herum. Die Crusqs sprachen von selbst gar nicht über das Geld, dabei war es für sie tatsächlich ein Opfer. Deswegen zahlten wir jeden Cent, der übrig war, an sie aus. Aber es brachte nichts, darüber zu streiten. Ich hatte von Klaus genau so etwas erwartet. Er hatte mir das Geld nicht geliehen, weil er mich mochte oder gar an mich glaubte, sondern weil Bea ihn überredet hatte.

      Ich holte schweigend meine Flyer aus dem Auto, verteilte sie auf dem Tisch, verabschiedete mich von meiner Mutter und verschwand.

      Drei Tage später stapelte ich gerade Rührschüsseln in die Spüle, als mein Schlaufon Berlin City Girl spielte – Pamis Klingelton.

      »Hallo?«, meldete ich mich.

      »Aili, es tut mir so leid!«, rief Pami.

      »Was hast du angestellt?«

      »Meine Tochter in Kampfsport unterrichtet.«

      »Das ist gut.«

      »Sie hat schon wieder diesen Möchtegern-Nazi aus der Sechsten verkloppt.«

      »Das ist auch gut.«

      »Nicht für dich … Jetzt muss ich zur Lehrerin.«

      Es traf mich hart, denn ich wusste, was das bedeutete. »Das heißt, ich muss die Lindner-Lieferung machen?«

      »Es tut mir so leid!«

      Mir nicht, dachte ich. Also, dass ich in das verkackte Immobilienbüro zu dieser Arschkrampe musste, tat mir schon leid. Ich hatte Selbstmitleid. Doch der Gedanke, dass unsere kleine, stotternde Lina mal wieder diesen fiesen, kleinen Jason verdroschen hatte, tat mir wohl. Ja, Gewalt war keine Lösung, aber so wie ich mein Linchen kannte, war es gar nicht um sie gegangen. Dass sie ein paar eierbrechende Moves draufhatte, hatten mittlerweile alle kapiert. Schon im Kindergarten hatte es Probleme mit Kindern gegeben, die sie wegen ihrer Hautfarbe geärgert hatten. Um für den Fall der Fälle ihr Selbstbewusstsein zu schulen, hatten wir Lina beim Wing Tsun angemeldet. Als ihr in der zweiten Klasse ein paar ganz mutige Typen aus der Parallelklasse aufgelauert hatten, hatte Lina ihr Können zum ersten Mal unter Beweis gestellt. Zwei hatte sie mit wenigen Griffen niedergestreckt, einem hatte sie eine blutige Nase verpasst, und zwei weitere waren daraufhin davongelaufen. Seitdem ärgerte sie in der Schule keiner mehr, niemand machte sich mehr über ihren Sprachfehler lustig. Bestimmt hatte sie auch heute jemand anderen beschützt und war erwischt worden. Denn keiner dieser Typen wäre petzen gegangen. Das wäre ja eine Schande, zugeben zu müssen, von einer schmalen schwarzen Drittklässlerin besiegt worden zu sein.

      Was sollten wir tun? Wir hätten Lina nie verboten zu helfen. Nun bedeutete Linas Heldenmut aber für mich, dass ich die dreißig herzhaften Cupcakes ausliefern musste. Ich hob also vorsichtig die Kisten mit dem Gebäck aus dem Kühlschrank und trug sie zum Auto. Ich schnallte die Kartons auf dem Beifahrersitz fest und setzte den Wagen in Bewegung. An warmen Tagen musste ich die Zündung nur viermal betätigen, bis der Motor ansprang. Äußerlich die Ruhe in Person, ruckelte ich auf die Märkische Allee und nahm die Abzweigung nach F-Hain. Doch spätestens auf der Höhe von

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