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nicht an dem Mehlstaub, der bis auf ihr karamellbraunes Gesicht gespritzt war, und auch nicht am zweiten Klingeln.

      »Lina, gehst du bitte mal?«, stöhnte ich. »Ist bestimmt Pami, die ihren Schlüssel nicht findet.«

      Die Neunjährige hüpfte wortlos vom Stuhl und tappte barfuß durch das Mehl, trug es durch den Flur bis an die Tür und nahm den Hörer der Gegensprechanlage ab. »›V-Vegane W-W-Waffeln‹?«, meldete sie sich. Das war der Name des Unternehmens von Pami und mir.

      Ich stellte erfreut fest, dass nur die Hälfte der Mehltüten aufgebrochen war, sodass wir noch genügend Zutaten für die Lieferung am folgenden Tag hatten.

      Als Lina zurück in die Küche kam, erklärte sie: »Aili, e-es ist für d-dich! Ein M-Mann!« Sie betonte dies mit einem anklagenden Blick, als verfüge sie über Hintergrundinformationen über das andere Geschlecht, die mir in meinen 27 Lebensjahren verborgen geblieben waren. Dann verfiel sie wieder in eine Arschruhe, setzte sich schweigend an den Küchentisch und zeichnete weiter das Foto von der Couscoustorte mit Kokosmilchsahne, das ich mit meinem Schlaufon aufgenommen hatte, für unsere Flyer ab.

      Ich wischte mir die kupferrot gefärbten Haare aus dem Gesicht, verschmierte dabei Mehl über meine Stirn und ging an die Wohnungstür. Dort blickte ich in das überraschte Antlitz eines Anzugträgers.

      »Aileen Vastner?«, fragte der junge Mann verunsichert und bemühte sich sichtlich, nicht auf meine dicken Schenkel in den Shorts zu starren.

      »Und mit wem hab ich das Vergnügen?«, entgegnete ich höflich lächelnd.

      »Leins mein Name. Ich habe die Aufgabe, Ihnen dies hier persönlich zu übergeben.«

      Er wollte mir einen schneeweißen Umschlag reichen, schreckte angesichts meiner schwitzigen, mehligen Hände aber kurz zurück.

      Im nächsten Moment öffnete sich der Fahrstuhl, und Pami schob ihren runden Knackpopo heraus. Sie war voll beladen mit leeren Paletten von dem kleinen Brunch bei der Tierrechtsorganisation PETA, den sie am Morgen betreut hatte. Das Schlüsselbund baumelte an ihrem Finger. Als sie uns in der offenen Tür stehen sah, strahlte sie noch ein bisschen mehr. Talentiert darin, überall das Positive zu sehen, freute sie sich vermutlich, dass sie sich nicht mit dem Türschloss abzumühen brauchte. Es kam sogar noch besser: Der Anzug tragende Postbote sprang ihr entgegen, und sie drückte ihm die Einkäufe in die Hände, ehe er sein Hilfsangebot ausgesprochen hatte.

      »Unten im Auto ist noch mehr!« Sie grinste ihn an.

      »Ich sag dir doch, nimm unser Vehikel!« Damit meinte ich den alten Kinderwagen von Lina, den ich eigens für den kurzen Weg zwischen unserer Backstube und dem Auto umgebaut hatte. Aber das war meiner besten Freundin und Geschäftspartnerin wohl zu albern.

      »Nein, das ist mir zu dumm!«, erklärte sie, dirigierte den Mann in unsere chaotische Küche und zeigte ihr strahlendes Lächeln. Schon war er bereit, auch die restlichen Utensilien nach oben zu tragen.

      Lina und ich rollten mit den Augen, sagten aber nichts.

      Als die Arbeit getan war, redete sich Pami heraus. »Ich würde Sie ja gerne auf einen Kaffee und ein Teilchen einladen, aber wie Sie sehen, ist die Wohnung ein heilloses Chaos!« Mit einem kurzen Blick strafte sie mich für den mehligen Boden in der Küche und für das Büro, das ich letzte Nacht nicht, wie versprochen, in Ordnung gebracht hatte, sodass ich ihr schlussendlich die Tour vermasselt hatte.

      Unsere Geschäftsräume, das heißt die Backstube und das Büro, befanden sich in meiner Wohnung, in der ich seit zwanzig Jahren lebte. Ich hatte den Mietvertrag von meiner seligen Oma Susi übernommen, deshalb konnte ich mir eine Vierraumwohnung leisten.

      »Ich möchte Sie auch nicht länger belästigen«, erklärte der Typ freundlich. »Ich habe Frau Vastner ihren Brief überbracht, meine Aufgabe ist damit erledigt.«

      Der Brief – wo hatte ich den eigentlich hingetan? Ach ja, in den Flur zu der anderen Post. Ich widmete mich wieder dem Teig.

      »Frau Vastner …«, sagte er dann, und ich blickte von der Rührschüssel mit Kokosmilch auf. »Wenn Sie diesbezüglich Fragen haben, lassen Sie es mich wissen!«

      »Okay«, erwiderte ich, ohne ihn anzusehen.

      »Per Mail oder Telefon. Sie finden meine Kontaktdaten in dem Schreiben …«

      »Ja, ist gut«, sagte ich, dachte aber: Mann, siehst du nicht, dass ich gerade keinen Kopf dafür habe?

      Er stand noch einen Moment da, wohl unschlüssig, ob er meine mit veganen Backmitteln übersäte Hand schütteln sollte, die ich ihm nun hinhielt.

      »Auch abends …«, setzte er nach.

      »Erst mal muss ich den Brief lesen, dann rufe ich Sie an«, versicherte ich und lächelte, trotz meiner Eichhörnchenzähne, so schön ich konnte.

      Er nickte und verschwand endlich.

      Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, warf Pami die langen Hosen und die Bluse von sich. »Meine Fresse! Warum hast du den Ofen jetzt schon angeheizt?«

      Obwohl alle Fenster und Türen geöffnet waren und ich sogar die Verglasung der Loggia zur Seite geschoben hatte, stand die Luft in der Küche. Draußen herrschten noch immer um die achtzehn Grad – für Ende September ein Traum. Nur leichter Wind pfiff durch die Häuserschluchten des Wohngebiets Springpfuhl. Aber die Temperaturen waren nichts im Vergleich zum Juli und August, als vierzig Grad im Schatten geherrscht und wir beim Backen regelmäßig in unserer eigenen Suppe gekocht hatten.

      Ich hatte mich schon gewundert, warum Pami ihre schicken Kleider vom Brunch anbehalten hatte. Auch wenn mir der Typ gefallen hätte, ich hätte es keine fünf Minuten in der eleganten schwarzen Stoffhose und der schwarzen Bluse mit unserem orange-rosa Emblem ausgehalten. »Wusste ja nicht, dass Madamse noch zu flirten hat.« Ich warf die Zutaten für unseren Klassiker, vegane Waffeln, in die automatische Rührschüssel und schaltete sie ein.

      Über den Krach hinweg rief Pami: »Da hatte ich keine Chance, der steht auf Vanilla, my Dear!«

      Für den kommenden Tag waren fünfzig Waffeln für eine Geburtstagsrunde, dreißig herzhafte Cupcakes für ein Meeting eines Immobilienunternehmens und einmal das große Kindergeburtstagsset, das diverse süße Torten und Muffins, Schlagsahne und Karamellbonbons beinhaltete, bestellt worden. Das bedeutete, die Arbeit hielt sich für heute in Grenzen. Aber dann fiel mir ein, dass wir die neue Kreation »Pamis Pustekuchen« in Miniform herstellen und zu Werbezwecken der Lieferung beifügen wollten.

      Lina hatte ihr Bild inzwischen fertiggestellt, und ich musste das Büro so weit aufräumen, dass ich an den Scanner und auf einen Sitzplatz kam, damit ich neue Flyer erstellen konnte. Während Pami backte wie eine Wahnsinnige, saß Lina auf dem Boden und machte brav ihre Hausaufgaben. Später half sie beim Verzieren der Torten und sang mit ihrer Mutter laut auf Portugiesisch. Derweil saß ich, noch immer mehlig, am Rechner. Immerhin hatte ich mir die Hände gewaschen – Teigreste waren so schwer von der Tastatur zu kriegen. Ich erstellte einen neuen Flyer, A6-Format. Nicht ohne Stolz tippte ich unter die Beschreibung unseres neuesten Kuchens die Worte:

       »Vegane Waffeln«

       Süße und herzhafte Backwaren mit Biss

       außergewöhnliche vegetarische/vegane

       Kreationen Lieferung in Berlin und Umgebung

       Inhaberinnen: Aileen Vastner & Pamela Crusq

      Erst seit ein paar Wochen kamen mir beim Lesen des Namens unseres Unternehmens nicht mehr die Tränen. Ich stellte den Text immer viermal auf ein Blatt Papier aus, druckte das Ganze aus und schnitt es zurecht.

      Zurück in der Küche, verstauten wir die fertigen Waren und stellten die cremigen Produkte in den großen Kühlschrank im Vorratslager. Früher war die Küche winzig gewesen, sechs Quadratmeter mit typischer DDR-Durchreiche zum geräumigen Wohnzimmer. Als wir uns alle Genehmigungen eingeholt hatten, um meine Wohnung in eine Bäckerei mit Lagerräumen zu verwandeln,

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