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der Verbundenheit mit Hindenburg und Ludendorff hervorrufen können, und auch den Kapp-Putschisten stand man gleichgültig gegenüber.

      «Unsam Kappe ham se det E hinten jeklaut, und jetz issa Reichskanzla!», rief Galgenberg. «Hut ab, meine Herren!»

      Kappe war die weitgehende Gleichheit der Namen geradezu peinlich. «Soll ich mich umtaufen lassen?»

      «Ja, in Lüttwitz!»

      Noch stärker als Kappe war Ernst Gennat betroffen, denn wie viele andere Betriebe und Geschäfte hatte auch die Konditorei, in der er seine Torte kaufte, schon geschlossen, und das Gerücht machte die Runde, dass die beiden sozialdemokratischen Gruppierungen, die SPD und die USPD, im Einvernehmen mit den Führern der Deutschen Demokratischen Partei und den Gewerkschaften den Generalstreik proklamiert hätten.

      «Dann streike ick ooch», sagte Galgenberg.

      «Beamte dürfen nicht streiken», erklärte Dr. Kniehase.

      «Beim Generalstreik schon», belehrte ihn Galgenberg. «Det heißt ja deswegen so, weil da ooch ’n General in Streik treten darf - und dann darf ick det ooch.»

      «Ein richtiger Kriminaler ist immer im Dienst», sagte Ernst Gennat. «Aber nachdenken über seine Fälle kann man auch zu Hause. Also: Auf Wiedersehen, meine Herren!»

      Kappe schwankte. Einerseits war es ihm ein Herzensbedürfnis, sich in die Front gegen die Putschisten einzureihen, andererseits trieb es ihn, die Jagd nach dem Mörder aus dem Landkreis Niederbarnim fortzusetzen. Jeder Tag, der ihnen verlorenging, konnte das Todesurteil für ein sechstes Liebespaar bedeuten.

      Unschlüssig verließ er das Polizeipräsidium und ließ sich mit der Menge zum Bahnhof Alexanderplatz treiben. Wer dort gerade von der Stadtbahn kam, war Theodor Trampe, sein früherer Nachbar aus der Waldemarstraße.

      Trampe war seit Jahren Funktionär bei der SPD und hatte es inzwischen zum Abgeordneten in der Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung gebracht. Von Beruf war er Elektroinstallateur und verdiente, da er sich selbständig gemacht hatte, nicht schlecht.

      «Natürlich streike ich auch», sagte Trampe, nachdem er Kappe begrüßt hatte. «Aber ich werde dennoch nicht zu Hause sitzen, sondern durch die Stadt streifen, um zu sehen, was passiert. Vielleicht kann man irgendwo eingreifen, um zu retten, was noch zu retten ist.»

      Kappe nickte. «Das hab ich mir auch gedacht.»

      Doch als sie in der Königstraße einen alten Bekannten trafen, Kappes alten Schulfreund Ludwig Latzke, der es in Berlin zum Malermeister gebracht hatte, war es mit ihrem Eifer vorbei, und sie gingen in die nächstbeste Kneipe, um eine Runde Skat zu spielen. Es wurde spät.

      «Morgen früh stürzen wir uns aber ins Getümmel», sagte Trampe, als sie sich am Mariannenplatz verabschiedeten, bevor Kappe sich zu Weib und Kind nach oben schlich.

      Am Sonntagmorgen hielt ihm Trampe einen Aufruf der Regierung Gustav Bauer an das deutsche Volk hin.

       Es ist nicht wahr, daß die verfassungsmäßige Reichsregierung abgedankt hat. Die verfassungsmäßige Reichsregierung denkt nicht daran, abzudanken, sie hat nur dasselbe getan, was sie im Februar 1919 tat, als sie nach Weimar übersiedelte. Um ruhig und klar arbeiten zu können, ist sie nach Dresden übergesiedelt und nimmt mit dem Zusammentritt der Nationalversammlung ihren Sitz in Stuttgart. Was in Berlin vorgeht, ist eine Köpenickiade im Großen … Für die Köpenick-Regierung besteht keine Möglichkeit zu regieren. Ihr Gebäude ist innen hohl, sie kann weder Kohlen noch Lebensmittel schaffen. Ohne Arbeiter kann man nicht regieren … In wenigen Tagen bricht dieses System zusammen. Wer es unterstützt, zieht den Fluch der Verantwortung auf sich. Beamte, Euch bindet nicht nur die politische Einsicht, sondern auch der Eid der Verfassung. Ihr habt nur den Befehlen der verfassungsmäßigen Reichsregierung zu gehorchen. Wer die neue Regierung unterstützt, bricht seinen Eid … Sorge jeder dafür, daß diese Militärdiktatur so schnell wie möglich zusammenbricht.

      Trampe hielt es für richtig, wie der Genosse Bauer gehandelt hatte, Kappe dagegen hatte seine Bedenken.

      «Man kann es auch Feigheit vor dem Feinde nennen.»

      «Wenn man auf diese Art und Weise aber einen Bürgerkrieg verhindern kann!», rief Trampe.

      «Kann man das wirklich?», fragte Kappe.

      Auch ihn hielt es nicht in der engen Wohnung am Mariannenplatz, und gern schloss er sich Trampe an, um durch Berlin zu streifen und die Geschehnisse aus nächster Nähe zu verfolgen. Ungefährlich war das nicht, aber Kappe glaubte an seinen Schutzengel. Sie hatten sich ihre bequemsten Schuhe angezogen, denn Straßen- und Hochbahn hatten den Betrieb bis zum Mittag eingestellt, und auch die Omnibusse fuhren nicht mehr. Nur auf der Stadtbahn sollten hin und wieder, wenn auch in großen Abständen, Züge fahren.

      Klara sah es gar nicht gern, dass ihr Mann das Haus verließ.

      «Du weißt doch, Hermann: Wer sich selbst in Gefahr begibt, kommt darin um.»

      Trampe, der nach oben gestiegen war, um Kappe abzuholen, lachte. «Die meisten Menschen kommen um, wenn sie im Bett liegen.»

      «Besonders wenn es sich um Liebespaare handelt», brummte Kappe.

      Ihre Portiersfrau, die gerade auf dem Weg zum Dachboden war, blieb stehen und lachte. «Mir kann det nich passieren, ick habe schon lange entsagt.»

      «Das werde ich auch bald tun», murmelte Kappe und dachte dabei an Klaras Unmut, wenn er mehr wollte als heiße Küsse. Seit Margarete auf der Welt war, erst recht aber, seit seine Frau zum zweiten Mal schwanger war, gestattete sie nur noch, dass er sich an ihrem Körper rieb, und auch das nur unter hörbarem Murren.

      In der Innenstadt war es noch ruhig, aber die Menschen waren so erregt und standen den Putschtruppen so ablehnend und hasserfüllt gegenüber, dass Zusammenstöße unvermeidlich erschienen.

      «Ich dachte, das hätten wir schon alles hinter uns», sagte Trampe.

      «Tja, das ist wohl wie mit der Hydra», meinte Kappe. «Schlägt man einen Kopf ab, wächst ein anderer nach.»

      Der Tag verging, ohne dass etwas geschah, was sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt hätte. In den Abendstunden lagen die Straßen in tiefstem Dunkel. Die Restaurants hatten durchweg geschlossen, da die Kellner dem Streikbeschluss gefolgt waren. Hin und wieder hörten sie in der Ferne einzelne Schüsse.

      Gegen neun Uhr abends waren sie zurück, und Klara wie auch Trampes Familie konnten aufatmen.

      Strom gab es keinen mehr, da auch die Kraftwerke bestreikt wurden und die Notversorgung - in Gang gehalten von Kräften der Technischen Nothilfe und Schülern - nur für Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen reichte. Klara hielt ein paar Kerzen bereit.

      «Aber nicht unnütz brennen lassen und vor dem Einschlafen auspusten!»

      Wasser gab es auch nicht mehr. Kappe hatte sich in weiser Voraussicht einen Eimer abgefüllt, um etwas zum Trinken zu haben und beim Harnlassen nachspülen zu können.

      «Für das große Geschäft gehen wir aber zum Görlitzer Bahnhof oder in die Büsche!», mahnte Klara.

      Es gibt Schlimmeres, sagte sich Kappe. Er brauchte nur daran zu denken, was Freunde und Kollegen im Krieg erlebt hatten. Dagegen waren die Tage im bestreikten Berlin die reinste Sommerfrische.

      Er flüchtete sich ins Bett und schaffte es sogar, schnell einzuschlafen und das ganze Elend Deutschlands zu vergessen.

      Der Montag zog herauf, der 15. März. Der Generalstreik lähmte alles gesellschaftliche Leben. Außer den Milchzügen und zwei Kohlentransporten kam in Berlin nichts mehr an. Auch die Post wurde nicht mehr zugestellt.

      Kappe traf die Portiersfrau beim Anstehen vor dem Bäckerladen in der Manteuffelstraße.

      «Beeil’n Se sich ma, sonst is allet ausvakooft.»

      Neben Kappe wartete Anna Matuschewski, die Kohlenhändlerin von gegenüber. Sie berichtete, dass die Warenhäuser kurz nach der Eröffnung alle wieder

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