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die Lippen. «Aber es ist doch sicher Leichenfledderei, wenn ich mir jetzt ein Stück davon nehme und es esse?» Kappe suchte ihn zu beruhigen. «Nein, auf keinen Fall. Es muss doch geprüft werden, ob sie nicht vergiftet war.»

      «Sie sagen es, junger Mann! Aber es bleibt doch irgendwie pietätlos …»

      «Ach was!» Auch Galgenberg wollte Gennats Bedenken zerstreuen. «Wie hat meine Mutta imma jesagt? ‹Spaß muss sein bei der Leiche, sonst jeht keena mit.›»

      Derart mit einem reinen Gewissen versorgt, machte sich Gennat daran, die Torte zu probieren. Gleichzeitig sprach er mit den Beamten über den anliegenden Fall.

      «Der Doppelmord hier am Drohnensteig unterscheidet sich ein wenig von den vorangegangenen», begann er.

      «Ohne R», korrigierte ihn Dr. Kniehase.

      «Was denn, es war doch ein Mord und kein Mod?»

      «Eine Drohne, eigentlich: ein Drohn, ist eine männliche Biene, eine Dohne jedoch eine Schlinge zum Vogelfang, gefertigt aus Pferdehaar, befestigt an einem gebogenen Zweig. Oft hat man Dohnen in großer Zahl an Waldpfaden befestigt, das waren dann die Dohnensteige.»

      «Hier jehts aba ums Vögeln und nich um Vögel», brummte Galgenberg.

      «Heben wir mal ein bisschen das Niveau», rügte Gennat, während er sich an seiner Torte gütlich tat. «Noch einmal von vorn: Fällt Ihnen auf, meine Herren, worin sich der letzte Fall ein wenig von den anderen unterscheidet?»

      Dr. Kniehase war etwas aufgefallen. «Ja, die Abstände zwischen den Taten werden immer kürzer. Betrugen sie anfangs noch ein Jahr und mehr, so sind von Oktober letzten Jahres bis heute gerade einmal drei Monate vergangen. Aber das wird von Serienmördern öfter berichtet, dass sie die Zufuhr an höchster Erregung in immer kürzeren Abständen benötigen, weil bei ihnen ein gewisser Abstumpfungseffekt eingesetzt hat. Das ist etwa so wie bei der Trunksucht.»

      «Dem würde ich voll zustimmen», sagte Gennat. «Aber noch etwas …»

      «Ja, der Täter ist hier am Dohnensteig zum ersten Mal nicht im Freien aktiv geworden ist, sondern hat ein Paar in seinem Haus überfallen.»

      «Welche Frau liegt denn ooch jerne mitm nackten Arsch im Schnee!», rief Galgenberg. «Aba bis zum Mai hat er ja nich mehr warten können, wie der Doktor eben ausjeführt hat.»

      «Galgenberg, denken Sie immer daran, woher Ihr Name kommt!», mahnte Gennat. «Können Sie auch einmal was Vernünftiges von sich geben?»

      «Zu Befehl! Allet spricht dafür, det der Täter aus einer der Ortschaften kommt, die hier ringsum liegen: Tegel, Heiligensee, Sandhausen, Schulzendorf, Hermsdorf, Stolpe, Frohnau, Waidmannslust, Lübars … Da sollten wa uns mal umhören.»

      «Zunächst einmal müssen hier überall Mordplakate kleben, damit die Leute auf alles achten. Die Anwohner hier am Dohnensteig befragen wir gleich jetzt, bei der Aufregung können die heute sowieso nicht schlafen.»

      Kappe zog los, um mit den Nachbarn der Ermordeten zu reden. Trotz der Kälte standen sie an den Gartenzäunen oder hatten die Haustüren geöffnet, um miteinander zu reden, Dampf abzulassen und sich gegenseitig Mut zuzusprechen.

      «Haben Sie denn keine Schüsse gehört?», war Kappes erste Frage.

      Nein. Die einen hatten Karten gespielt und dabei ziemlichen Lärm gemacht, die anderen vierhändig auf dem Klavier gespielt.

      «Sind Ihnen heute oder in den vergangenen Tagen irgendwie verdächtige Personen aufgefallen?»

      Nein, niemand hatte Beobachtungen gemacht, die ihnen weiterhelfen konnten.

      «Der Mörder wird sich von hinten durch den Wald angeschlichen haben», meinte Kittlitz’ Nachbar zur Linken. «Auf der Straße fällt man zu sehr auf, so einsam, wie das abends hier draußen ist.» Seine Frau begann, auf die Polizei zu schimpfen. «Das geht nun seit bald drei Jahren so, dass bei uns die Liebespaare ermordet werden. Was machen Sie eigentlich am Alexanderplatz? Wahrscheinlich pausenlos Torte essen.»

      Kappe nahm es gelassen hin, er konnte die Wut der Leute verstehen. Aber sollte er zugeben, dass sie im Falle des Liebespaarmörders im Moment wirklich hilflos waren? Irgendwann würde der Täter einen Fehler machen, irgendwann würde der Zufall ihnen helfen. Aber wann? Erst nach der zehnten Tat?

      «Was sollen wir machen? Wir können nur die Leute ermahnen, Vorsicht walten zu lassen …»

      «Nun hören Sie mal!», rief die Frau. «Der Kittlitz und die Reczyn haben schließlich nicht im Wald und auf der Heide dran glauben müssen, sondern bei sich zu Hause im Schlafzimmer. Wo ist man denn hier seines Lebens noch sicher?»

      «Es gibt ganz einfache Schutzmaßnahmen», sagte Kappe mit dem drastischen Humor, den er sich von Galgenberg abgeguckt hatte. «Man unterlässt jeden Geschlechtsverkehr oder ruft, wenn es denn unbedingt sein muss, vorher bei uns an, damit wir einen Beamten vorbeischicken.»

      «Dann kommen Se ma jleich zu mir rüber!», rief einer der jüngeren Nachbarn von gegenüber. «Wir wollten jerade …»

      «Hau ihm lieber eene uffs Maul!», rief ihm ein anderer zu.

      «Det sind doch allet Schmarotzer.»

      «Ich schwöre Ihnen, dass wir alles tun, um den Täter zu kriegen.» Kappe zog sich sicherheitshalber ein paar Meter zurück, denn es war nicht auszuschließen, dass einer der Männer die Beherrschung verlor und sich auf ihn stürzte. Die Liebe der Berliner zu ihrer Polizei war nicht eben ausgeprägt. «Wenn es Sie beruhigt: Der Täter wird sich hüten, am selben Ort zweimal zuzuschlagen.» Da flogen ihm hartgebackene Schneebälle um die Ohren, und nach einem Volltreffer gegen die Stirn flüchtete er sich in den Windfang des Tatorts.

      «Na, haste ’ne kleene Schneeballschlacht jemacht?», fragte Galgenberg, der schon zurück war, aber auch nichts Brauchbares erfahren hatte.

      «Die Leute geben uns die Schuld, dass das hier passiert ist, weil wir den Täter noch immer nicht haben», brummte Kappe.

      «Und irgendwie haben sie ja auch gar nicht mal so unrecht.»

      «Een Kind ohne Kopp is eben ’n Krüppel zeitlebens», sagte Galgenberg.

      Dr. Kniehase kam hinzu. «Trampelt mal so wenig wie möglich draußen herum, vielleicht finden wir morgen, wenn es hell ist, doch noch eine Spur, die uns weiterbringt.»

      Die Leute mit den Zinksärgen kamen, um die beiden Opfer in die Gerichtsmedizin zu bringen. Stumm und deprimiert saßen die Beamten in der Küche.

      Einen Lichtblick sollte es aber doch noch geben. Gerade als sie zum Alexanderplatz zurückkehren wollten, erschien ein Schutzmann der Tegeler Wache, um zu melden, dass es noch ein drittes Opfer geben würde.

      «Wie?», fragte Galgenberg mit nicht geringem Erstaunen.

      «Ham die hier zu dritt …?»

      «Nein, ein Elektriker aus Hermsdorf hat Schüsse gehört und wollte den Leuten hier zur Hilfe kommen, ist aber von dem Täter fast erschlagen worden. Ein gewisser Friedrich Schulz. Er konnte gerade noch fliehen. Auf der Bismarckstraße ist er zusammengebrochen, und ein Mann mit Hund hat ihn gefunden. Sie haben ihn in die Charité gebracht, weil er so schwere Kopfverletzungen davongetragen hat, dass die Ärzte hier nicht helfen können. Wenn er nur durchkommt!»

      AN DEN BERLINER LITFASSSÄULEN hingen nun wieder die sogenannten «Mordplakate», auf denen die Bevölkerung in schwarzer Frakturschrift zur Mitarbeit an der Aufklärung der Nordberliner Liebespaarmorde aufgerufen wurde. Fünftausend Mark Belohnung waren für die Ergreifung des Täters ausgesetzt worden.

      Kappe und Galgenberg saßen in der Stadtbahn und fuhren vom Alexanderplatz zur Friedrichstraße, um von dort zur Charité zu laufen und mit Friedrich Schulz zu sprechen. Der Mann habe sich so weit erholt, dass dies nun möglich sei, hatte man ihnen am Telefon mitgeteilt.

      «Der erste Zeuge», sagte Kappe. «Endlich einmal ein

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