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arbeitete er mehrfarbig: ein schwarzes Schreibmaschinenband für die Standards und ein rotes Farbband für besonders wichtige Passagen.

      Und er kannte keine Gnade für niemanden. Der Bürgermeister bekam neben den katholischen und evangelischen Pfarrern, Bischöfen, Parteibonzen bis nach Berlin etc. regelmäßig Post von ihm und wer weiß, wer noch alles. Vielleicht sogar Rom? Wir zu Hause übrigens auch, besser gesagt, meine Großeltern im Erdgeschoss. Dabei handelte es sich jedoch nur um irgendwelche philosophische Abhandlungen der aktuellen heidnischen Weltgeschichte – nichts Schlimmes also. Unsere Hausbewohner waren nie irgendwelchen verbalen Angriffen ausgeliefert. Da gab es für ihn genügend andere Ziele.

      Vor lauter Schreibwut bei seinen Hardliner-Texten brachen dabei immer wieder mal ein paar der besonders stark beanspruchten Tasten oder Anschläge an der guten alten Adler-Schreibmaschine aus Kaiserzeiten ab. Dann brachte er das Gerät zu meinem Vater in den Betrieb, zum Reparieren. Der war ja Werkzeugmacher und Schweißer. Das geschah – logischerweise – während der regulären Arbeitszeit im VEB.

      Mich jedenfalls konnte mein Opa ganz gut leiden. Ich ging ja auch schön regelmäßig in die Kirche. Danach fragte er mich auch bei jedem Besuch und nickte dann zufrieden.

      Er ging übrigens nicht, dafür waren ihm die katholischen „Pfaffen“ zu heidnisch. Nichtsdestotrotz besuchte ihn auch unser Pfarrer regelmäßig im Jahr, zum „Gedankenaustausch“.

      Als Nächstes kam nun die Phase, in der er mich über diverses Familiäres aushorchte. Wie läuft es zu Hause, zwischen Vater und Mutter, Oma und Opa? Das wollte er schon ganz genau wissen. Wenn ich alles berichtet hatte, kam der zweite Teil der Gesprächsrunde: sein Part! Nun musste ich endlose Zeit seinen Ausführungen über Gott und die schlechte Welt folgen, über die er Stunden sinnieren konnte.

      Man muss sich das in etwa so vorstellen: Er saß auf dem Sofa, ich ihm gegenüber am Tisch neben dem Fenster. Immer abwechselnd an der Pfeife ziehend, paff, paff, paff – langes Schweigen, anhaltendes Kopfschütteln. Dann folgten fünf Minuten lang Ausführungen über ein für ihn brisantes Thema, zwischendurch ständig an der Pfeife ziehend, damit sie nicht ausging. Dann wieder minutenlanges Schweigen, paff, paff, paff … wieder die Pfeife aktivierend, dabei sah er mich an … Kopfnicken … Sinnieren … Kopfschütteln … Pfeife neu stopfen … ein, zwei Stunden lang ging das so. Da musste ich durch!

      Erst dann, wenn er mit seinem Beitrag fertig war, ja dann konnte ich zum eigentlichen Grund meines Besuches kommen: Kanarienvögel. Dabei brauchte ich dann nicht so lange. Wir gingen runter in die Voliere. Dort schwatzte ich ihm ein schönes Pärchen ab.

       DER TIERHALTER – TEIL 2

      Wunderschöne knallgelbe, goldfarbene Vögel, er hatte jede Menge davon in seinen mannshohen Volieren. Er suchte mir ein junges Pärchen raus, das recht laut sang. In einem Schuhkarton trug ich sie nach Hause, ein neuer Käfig stand schon für die beiden bereit. Da zwitscherten sie nun auf unserem Küchenschrank, den ganzen lieben Tag.

      Besonders rege waren sie, wenn sich mein Vater nach der Arbeit oder am Wochenende nach dem Mittagessen zum Ausruhen auf das Küchensofa legte. Mit der Folge, dass die Tierchen während dieser Phase in die Abstellkammer umziehen mussten.

      Frühsommer. Eines Samstags geschah es: Beim Freiflug in der Wohnung entwischte das Männchen. Raus durch das angekippte Küchenfenster und ab durch die Mitte. Ich war todunglücklich. Er würde sterben draußen oder gar die Katze würde ihn fressen, ich wusste es. Das Weibchen hatten wir zwar noch, aber das konnte ja nicht so schön singen, nur laut piepen.

      Wir sahen den Gelben noch eine Weile oben auf unserem riesigen Kirschbaum sitzen. Es dauerte nicht lange, als sich mehr und mehr Spatzen um ihn herum einfanden. Und plötzlich flogen alle zusammen im Schwarm weg. Auf Nimmerwiedersehen.

      Denkste! Am nächsten Morgen, das Küchenfenster stand offen, wir saßen beim Frühstück und wollten es nicht glauben: Auf dem Kirschbaum ein Schwarm Spatzen und unser Kanarienvogel, singend. Das Weibchen begann zu antworten und tobte im Vogelbauer.

      Was tun? Mein Vater nahm den Käfig mit runter in den Garten und hängte ihn an den untersten Ast des Kirschbaumes, teilte ihn mit einer Pappe in zwei Abteile, sodass das Weibchen nicht herausfliegen konnte, und öffnete die Käfigtüre. Das Weibchen wurde ganz wild und piepte wie verrückt, als sich das Männchen vom Baum herab meldete. Es dauerte keine zehn Minuten, dann saß der Ausreißer von ganz allein wieder im Nest. Sollte man nicht glauben, aber es war tatsächlich so. Nun konnten beide wieder zusammen lärmen.

      Im Sommer hängten wir den Käfig öfters im Garten auf. Das tat den Vögeln anscheinend gut in der frischen Luft.

      Das Weibchen ist mir ebenso bei so einem Frischluftaufenthalt mal durch die Öffnung des Futternapfes entwischt. Es hatte aber nicht so eine Power wie das Männchen und flog nur ein wenig im Hof zwischen unserem und dem Nachbarhaus hin und her, dann war es erschöpft und mein Vater fing es mit den Händen wieder ein.

      Am heftigsten ging es immer dann zur Sache, wenn es Streit ums Futter gab. Also entschied ich mich, etwas dagegen zu tun. Ich stellte einen zweiten Futternapf rein, besser gesagt, ich verwandelte den Wassernapf in einen Futternapf. Dass Vögel auch ab und zu trinken müssen – die Einsicht kam leider zu spät.

      Meine Eltern verboten mir daraufhin bis auf Weiteres meine „Züchtungen“. Ich solle lieber etwas Sinnvolleres tun.

       DER MINISTRANT

      Wie alle meine Vorfahren so war auch ich katholisch getauft und mehr oder weniger streng in diesem Glauben erzogen worden. Mehr streng mütterlicherseits, weniger väterlicherseits. So war es meistens in den Familien. Mein Vater war nicht der permanente Kirchgänger, ihm „reichte“ es Ostern, Pfingsten, Weihnachten. Meiner Mutter war jeder Sonntag heilig. Also hieß es auch für uns Kinder, jeden Sonntag Punkt zehn Uhr in der Kirche zu sein.

      Unser Gotteshaus war eine hölzerne, barackenartige Konstruktion im Nachbarort, eine Art Kapelle mit einem Glockenturm, dessen Geläut weniger einem Dom, dafür eher dem Gebimmel, das man in den Schweizer Alpen gelegentlich hört, glich. Im Winter sorgte ein gusseiserner Kanonenofen dafür, dass man darin nicht erfror. Es gab sogar eine Art Orgel, ein Harmonium.

      Unser Pfarrer freute sich natürlich über meinen eifrigen Kirchgang, sodass er mich bald als Ministrant eintrug. Ab jetzt war ich in etwa jede zweite Woche dran, zu ministrieren.

      Anfangs wurden die Messen zum Teil oder auch noch ganz in lateinischer Sprache gehalten. Die älteren unter den Messdienern haben das dafür notwendige an Latein noch im Religions- oder im Ministrantenunterricht lernen müssen. Ich nicht mehr, also murmelte ich irgendwelchen Kauderwelsch vor mich hin, sodass keiner der Kirchgänger etwas davon mitbekam.

      Fasziniert hatte mich immer die Hostie. Bevor ich meine heilige Erstkommunion erhielt, wollte ich aber schon genau wissen, was das kleine Ding denn ist, wie es schmeckt und vor allem, wie es wirkt. Was tat ich also: Ich entnahm … okay, ich möchte es nicht schönreden, klaute mir also eine aus dem Körbchen!

      Gott! Ich war ein Dieb! Und noch dazu in der Kirche! Entsetzlich. Schlimmer geht’s wohl kaum! Danach kam ich mir elend und armselig vor und schämte mich vor mir selbst. Bin mir auch ganz sicher, dass ich das niemals meinem Pfarrer während der Beichte berichtete.

      Es schmeckte übrigens genau nach Hostie, wie eine Oblate ohne Eigengeschmack. Da ich sie ja vor Beginn der Messe entwendete, war sie auch noch nicht geweiht, also ohne „Effekt“. Von daher wohl eher auch eine kleinere Sünde …

      Hatte ich später manchmal eine Pechsträhne: War das etwa die zugehörige Strafe von ganz oben? Vielleicht? Man weiß es nicht.

      Die Holzkirche war schon sehr in die Jahre gekommen, irgendwann in meiner Jugendzeit hat man – wohl auch mit Geldern aus dem Westen – ein paar hundert Meter weiter eine moderne, massive Kirche gebaut. Die alte Baracke wurde anschließend vom Bischof entweiht, der Glockenturm abgebaut. Der Rest diente schließlich noch eine Zeit lang als Scheune für

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