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den umliegenden Haselnussbüschen, Weiden und anderen Hölzern schnitten wir uns Ruten für Pfeil und Bogen und bastelten daraus unsere Katapulte oder Pfeifen (die zum Krachmachen, nicht die zum Rauchen, Letztere nutzen wir erst später).

      Das Wasser war so sauber, dass man es wahrscheinlich hätte trinken können. Aus dem glasklaren Nass angelten wir Flussbarsche mit unserer auf eine Holzgerte gebundenen Handangel, die man für neunzig Pfennige im Sportgeschäft kaufen konnte. Mit etwas Glück und Geschick holten wir selbst Krebse raus. Um die Viecher zu erwischen, mussten wir die Angel ganz behutsam hochziehen, dann hatten sie den Brotklumpen noch fest zwischen den Scheren. Beide Tierarten überleben bekanntermaßen nur in absolut sauberen Gewässern, besonders Flussbarsche haben hohe Ansprüche an die Wasserqualität. Also waren diese Lebewesen Indikatoren, es musste gut sein.

      Rings um den See gab es alles, was man so zum Leben brauchte: Walderdbeeren, Brombeeren, Himbeeren, rote, weiße und schwarze Johannisbeeren, Sauerampfer, Taubnessel (die süßen Enden der kleinen Blüten saugten wir aus), Weizenäpfel, Nelkenäpfel (eine köstliche Delikatesse! – findet man so gut wie gar nicht mehr, diese saftigen, knackigen kleinen Äpfel mit dem wunderbaren Geschmack), Vogelkirschen, Sauerkirschen, Süßkirschen, Pflaumen, Rüben- und Möhrenfelder … Auch mein Opa hatte hier noch eine weitere große Wiese gepachtet und auf der anderen Seite des Steinbruchs ein Kartoffel- und Rübenfeld. Alles Mögliche probierten wir auf Essbarkeit. Wie die Survival-Künstler. Es war einfach richtig grandios, traumhaft und ruhig.

      Die Natur stand bei uns hoch im Kurs. Bei den damaligen Kommunalpolitikern weniger. Die suchten stets nach Möglichkeiten, allen Schutt und Unrat ablagern zu können. Jedes Loch, das sich anbot, wurde mit allem, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen dürfte, verfüllt. Irgendwann gab es wohl keine Option mehr in der näheren Umgebung. Da besann man sich auf unseren Steinbruch.

      Pures Entsetzen! Unser Paradies wurde eine Mülldeponie, eine Schutthalde! Die Idylle wurde sinnlos und unwiederbringlich zerstört, die wunderbare Natur starb. Wir waren sehr betrübt. Denn wir konnten es schon damals nicht verstehen, warum man so etwas tun konnte. Aber das war Alltag, Alltag im Osten! Nur im Osten? Vermutlich nicht.

       DIE SAMMLER

      Aber auch diesen – für uns überaus traurigen – Umstand wussten wir entsprechend auszunutzen. Nicht nur wir, besonders der älteste Bruder meines Vaters, mein Onkel H., der alles sammelte, was im Entferntesten nach Wert aussah und sich damit, clever, wie er war, mehr als nur die eine oder andere Mark dazuverdiente. Besonders das legte er beiseite, was man schon seinerzeit als Antiquität vermarkten konnte. Das fand sich dann auf dem von ihm gelenkten städtischen Lkw, einem S4000, den er neben noch einer „Ameise“, so einem einsitzigen Minigefährt, das sich im Größenverhältnis zu einer Ameise nur bedeutend langsamer bewegte, als alleiniger Fahrer nutzte und mit dem er wohl auch seine beliebigen Privatfahrten erledigen konnte. Ich glaube, wenn man nebenherlief, konnte man in etwa Schritt halten.

      Und weggeworfen wurde ja viel. Alles, was im Weg stand, wurde entsorgt oder zerhackt. Dass es heute einen unschätzbaren Wert haben würde, hatte damals keinen interessiert. Ich erinnere mich, wie mein Vater ein richtig gutes Klavier zerlegte, was nur ein wenig verstimmt war, ihm aber im Weg rumstand. Oder wie er handwagenweise zig riesige Hirschgeweihe zur Müllhalde brachte. Die stammten aus dem Nachlass der enteigneten Textilunternehmer, deren Fabrik, eine Spinnerei, schräg gegenüber von unserem Garten stand. Aus deren Villa erhielten wir auch schöne, alte, massive Holzmöbel – die heute ein Vermögen wert wären, wenn die Axt nicht schneller zugeschlagen hätte.

      Was brennbar war, landete im Ofen, Metall beim Schrotthändler (der sich wohl öfters die Hände vor Freude rieb) und der übrige Rest auf dem Schuttplatz.

      Auch wir sammelten das, was Geld brachte. Pappe beispielsweise (Wellpappe, es gab zehn Pfennige für das Kilo), eine Kerzenfabrik aus der Umgebung lud nun in dem zum Schuttplatz gewordenen Loch gleich verladefertig gebündelte, wachsdurchtränkte Kartonagen ab. Wir luden sie auf unseren Zweiräder (Handkarren) und je nach Menge auf unsere zusätzlich schnell geholten Leiterwagen, versteckten diese im Wald und fuhren sie nacheinander einzeln zum Altstoffhändler. Leicht erstaunt über das Gewicht der gefalteten Kartons, zahlte er uns aber das Geld aus. (Wir Schlitzohren hatten außen, oben und unten saubere Pappdeckel draufgebunden, so war vom Wachs nichts erkennbar.)

      Ein anderes Mal fanden wir zig leere, verschnürte Zementsäcke. Zum Teil richtig keimig, aber mit dem gleichen Trick machten wir sie auch zu Geld.

      Den Volltreffer landeten wir, als wir eines Tages riesige Walzen mit massig schweren Aluscheiben an jeder Seite entdeckten, Durchmesser fast einen Meter. Die Walzen wurden von einer der umliegenden Textilfabriken dort entsorgt. Eine Scheibe wog bestimmt so an die dreißig Kilo. Und für Alu gab es richtig gutes Geld. Hier konnten wir aber nur einige beiseiteräumen. Denn als wir unsere ersten Wagen geholt hatten, lagen die restlichen verbliebenen schon wieder auf der Pritsche des Lkws meines Onkels.

       HAUS UND HOF

      Auf unserem Grundstück stand neben dem Haus die riesige Holzscheune. Zwischen diesen beiden Gebäuden hatten die Hühner, Enten und Gänse ihre Gatter. Der ideale Ort für Kinder, denn in der Scheune gab es oben einen großen Heuboden. Und wenn mein Opa genügend Heu eingefahren hatte, war auch unten noch alles voll, sodass man sich von der oberen Etage schön herunterfallen lassen konnte. Das machte riesigen Spaß.

      Bei uns gab es recht viel an Getier: Hühner, Enten, Gänse, Karnickel, Katze, ein Schwein, auf dem man reiten konnte – wenigstens ein kurzes Stückchen … Und um die Weihnachtszeit ab und zu noch eine oder zwei Tauben, die ich von der Tombola der jährlich stattfindenden Geflügelausstellung mitbrachte. Hier gewann man immer etwas, Wellensittiche, Eier, Hühner und eben auch mal Tauben.

      Als man mir den Gewinn dann aus dem Käfig holte, musste ich erst immer böse werden, als der blöde Mann mich fragte, ob er ihr gleich den Kopf abreißen sollte. Was um Himmels willen wollte ich mit einer Taube ohne Kopf, hääh? Bescheuert? Manchmal hatten sie wirklich nicht mehr alle, die Alten.

      Das glaubte ich erst recht, als ich daraufhin vor der Tür des Kulturhaussaales, in dem die Ausstellungen stattfanden, im blutverschmierten Schnee wieder die abgerissenen Taubenköpfe sah. Entsetzlich primitiv, diese Erwachsenen! Ich war mir sicher, die waren nicht normal.

      Mit Beginn jeden Frühjahrs wurde es zunehmend lebhafter auf unserem Gehöft. Die Karnickel sollten Junge bekommen. Opa sorgte für „frisches Blut“, so sagte er mir. Deshalb kamen Wendelbácsi oder Onkel Weber mit Kisten, worin sich ein paar Karnickelmänner befanden. Opa holte dann eine Karnickelfrau an den Ohren aus unserem Stall, setzte es vor den Karnickelmann von Wendelbácsi oder Onkel Weber – rappel di zappel –, wartete ein paar Sekunden (relaaaax …) und tat sie wieder in den Stall zurück. Dann trank man einen Schnaps oder ein paar Schnäpse mehr oder auch was von dem selbst gegorenen Wein aus Johannisbeeren und die beiden gingen – je nach Genussanteil an diesem Event mehr oder weniger geradlinig – wieder zufrieden nach Hause. Und nach neun Monaten … Blödsinn, denn die Karnickel waren doch viel, viel fixer. Süß, die kleinen Wollknäuel.

      Im Mai holte meine Oma auch neue Küken aus dem Nachbarort. Die Katze hatte bereits ein Auge auf sie geworfen, tat aber zu meiner Verwunderung nichts. Vermutlich ahnte sie, was ihr blühen würde, wenn … Nur bei meiner Schwester musste man aufpassen, dass sie den armen Tierchen vor lauter Freude den Hals nicht zu stark zudrückte. Denn wenn sie bereits die Augen verdrehten, war die Zeit knapp, um noch Leben zu retten. Jedenfalls, die meisten – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als man was für die Suppe brauchte – haben überlebt.

      Hühner und Enten konnte ich prinzipiell auch ganz gut leiden, die taten mir ja auch nichts. Ganz im Gegenteil dazu die verfressenen Monstergänse: Der Chef der fiesen Herde, ein weiß-grauer Gänserich war bestimmt – alleine schon von der Statur her – ein verwunschener Kampfhund. Er und sein Gefolge sorgten stetig dafür, dass meine Beine immer irgendwo blau gezwickt waren. Und die Viecher waren so verdammt schnell, dass man kaum eine Chance hatte, zu entfliehen. Da half

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