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sie es auf meinen Onkel H. abgesehen. Er war fast ein Riese, hatte aber vor dem kleinsten Hund fürchterliche Angst und erst recht vor diesen Ungetümen. Also, wer uns besuchte, musste schon etwas aufpassen, dass er heil an den Tieren vorbeikam.

      Darum hatte ich auch kein Mitleid mit ihnen, wenn meine Oma das Messer wetzte. Gerechte Strafe muss nun mal sein. Und schließlich brauchten unsere Kopfkissen auch ab und zu wieder neue Federn.

      Letztendlich landete alles essbare Getier irgendwann im Kochtopf oder in der Pfanne. Hundert Prozent Bio! Und der Rest kam aus dem Garten oder von den zwei Schrebergärten und gepachteten Flächen. Wir hatten alles an Gemüse, was in unseren Breitengraden (auch schon vor der Klimaerwärmung) wuchs und was zum Kochen benötigt wurde.

      Wenn ich mich an das selbst gemachte, knackige Sauerkraut erinnere, da wurde ein kinderbadewannengroßes Behältnis vollgehobelt und in Tontöpfe gestampft – einfach gesund und lecker! Oder die Salz- und Brotgurken. Hmm.

      Meine Oma war meistens zu Hause und kochte vermutlich für ihr Leben gern. Exzellente Speisen, schmackhaft, rustikal. Und für uns Kinder fiel beim Zubereiten immer etwas zum Naschen ab. So auch beim Nudelnherstellen: Die runden Ränder vom Nudelteig, bevor er in feinste Fadennudeln verwandelt wurde, schnitt sie ab und legte sie direkt auf den holzbefeuerten heißen, gusseisernen Herd. Nach kurzer Zeit wurde daraus ein leckerknuspriger Knabbersnack für uns.

       DER TIERHALTER – TEIL 1

      Als Kinder wollten wir Tiere natürlich auch selbst halten, alles, was sich uns anbot. Vom Regenwurm über diverse Raupen, Blindschleichen oder Ringelnattern, die wir – wenn wir Glück hatten – bei der Heuernte vor Opas Sensenhieb erretten konnten oder aus dem Zufluss beim Badeteich fingen, Tauben, mal eine junge Krähe, alles Mögliche an Fischen, selbst gefangene oder die Goldfische, die mein Vater aus dem Zuchtteich eines ungeliebten Arbeitskollegen mit nach Hause brachte, mit dem er sich zuvor in den Haaren hatte und ihm sozusagen als Entschädigung ein paar Fische aus dessen Teich entnahm, Molche, Krebse, Eidechsen, mal eine Fledermaus und was weiß ich noch alles.

      Auch mit der Zucht hatte ich mich versucht. Mein anderer Opa, väterlicherseits, hatte damit viel Glück, besonders mit seinen Kanarienvögeln. Die hatten ständig Nachwuchs in Massen. Davon wollte ich mir ein paar abzweigen. So besuchte ich ihn.

       WARUM RASIERT MAN EINEN KNÖDEL? ODER: MEIN ANDERER OPA

      Fünfzehn Kinder-Gehminuten entfernt wohnte er im Haus meines zweiten Onkels J. – der mit der kräftigen Ohrfeige, siehe Kapitel 1.

      Mein Opa arbeitete zusammen mit Onkel H. beim Rat der Stadt auf dem Bauhof. Als alter Rossbrunner (Lókúter) hatte er natürlich viel Ahnung vom Gärtnern, Rosenveredeln, Bäumeverschneiden und vom Bauen, also verschönerte er – solange er noch nicht in Rente war – die Straßen und Plätze unserer kleinen Stadt oder legte die vielen Blumenrabatten an.

      Beim Betrachten der historischen Fotos werden hin und wieder mal ein paar alte Storys über ihn ausgegraben, die wohl ihresgleichen suchen dürften.

      Zahnpflege war bekanntlich früher weniger ausgeprägt als in der Neuzeit. So trug er – wie viele ältere Menschen – eine Prothese. Heutzutage ist der Zahnarzt auch für den Zahnersatz zuständig. Mein Opa erledigte damals seine Probleme mit der Prothese eher unkonventionell: Brach ein Zahn aus der Halterung, klebte er ihn selbst wieder ein. Und was eignete sich dafür zu Ostzeiten am besten? DUOSAN! Ein penetrant nach Lösungsmitteln stinkender, transparenter Alleskleber. Viel mehr Auswahl gab es ja auch nicht. Damit konnte er jedenfalls wieder richtig beißen. War der rausgefallene Zahn nicht mehr zu retten, wusste er Abhilfe: So hat er auf dem städtischen Schuttplatz – also auf unserer bekannten Müllhalde – Hundezähne entdeckt, die er sich als „Hobbyzahntechniker“ passend feilte, um die Lücke im Gebiss zu schließen. Nun ja.

      Da er ja ohne Pause rauchte, schien sich das Thema Desinfektion auch von selbst erledigt zu haben. Nicht umsonst gibt es ja das Haltbarmachen durch Räuchern.

      Man muss eben nur die richtigen Ideen haben und sich zu helfen wissen. Nun konnte er also wieder richtig beißen. So lange musste das Essen auf dem gusseisernen, holzbefeuerten Herd warten. Vielleicht Tage? Ob es noch gut war? Vermutlich, denn an einer Lebensmittelvergiftung ist er definitiv nicht erkrankt, geschweige denn gestorben. Nicht dass es keinen Kühlschrank gab, den hatte er auch, der war nagelneu, aber diente eher als Zierde statt zur Nutzung.

      Und wie sehen denn grüne Klöße nach ein paar Tagen aus, so ganz ohne Kühlung? Da bildet sich etwas, sie „wachsen“. Kann man auch als Schimmel bezeichnen. Schimmel war früher wohl auch nur ein ästhetischer Mangel am Essen, was heute alles komplett weggeworfen wird, wo kaum die erste Spore zu sehen ist, wurde seinerzeit noch aufgearbeitet.

      „Opa, wo hast du denn die verschimmelten Klöße hingetan?“, so fragte ihn meine Cousine.

      „Die hoab i rasiert.“ Und natürlich gegessen.

      Eines seiner Hobbys waren Kanarienvögel. Er züchtete sie schon viele Jahre lang, die quirligen, hübschen exotische Gesellen. Davon wollte ich gern welche haben. Ich klopfte an seiner Wohnungstür. Um mich einzuschmeicheln, grüßte ich nach dem „Joo!“ laut mit: „Grüß Gott!“

      Mit „Guten Tag“ hätte ich nichts erreicht, darauf hat mein Opa viel Wert gelegt. Mit einem „Grias Good“ antwortete er und reichte mir seine große, von der Arbeit zerfurchte Hand.

      Schließlich gehörte ich mit dem „Grüß Gott“ auf den Lippen nicht zur „Daivaszucht“ („Teufelszucht“ auf Hochdeutsch), denn so titulierte er den Rest der (in seinen Augen) Ungläubigen, den Gelüsten der heidnischen Welt verfallenen, selbst auch einen nicht unerheblichen Teil seiner (aller-) nächsten Verwandten. Diese „Auserwählten“ (aus der Zucht des Teufels) konnte man sich anhand seiner Bildergalerie – eine Art aktuelle „Hitliste des Bösen“ – auf dem großen hölzernen Radio oder darüber im Regal betrachten. Auf diesen Fotos konnte ich sehen, wen er gerade brandaktuell zur „Daivaszucht“ gekürt hatte: Derjenigen Person auf der Fotografie hatte er mit roter Tinte gemalte Hörner verpasst. Es gab ein paar, denen wurde diese Auszeichnung öfters zuteil, sozusagen die „Top Ten“ der „Daiva“.

      Zunächst musste ich ihn im dichten Pfeifenrauch erst mal orten. Denn die Bude war in der Regel so zugequalmt, dass ich ihn im ersten Moment beim Betreten der Wohnstube gar nicht auf dem Sofa sitzen sah, ganz in der hintersten Ecke. Dann, gefunden: Dort residierte er.

      Wie ein alter Rockstar: grau-weiße, schulterlange Haare und mit einem langen, grauen Vollbart. Die und den ließ er sich wachsen, weil er nicht ins Kloster gehen durfte. War wohl mal so eine fixe Idee von ihm, aber er wurde nicht aufgenommen. Seit diesem Zeitpunkt gab er dem Haarwachstum freien Lauf.

      Er saß auf seinem uralten durchgesessenen Sofa, immer eine dampfende Tabakpfeife in der Hand, die wohl nur zum Schlafen ganz erlosch, falls überhaupt.

      Er rauchte so ein Zeug, eine Art Tabakreste, also das, was bei der Herstellung von Zigarren oder Zigaretten übrig blieb. Dieses Kraut konnte man im Zigarettenladen (natürlich damals auch ich als Kind) billigst kaufen. Manchmal musste ich ihm eine Packung, so groß wie eine Mehltüte, holen. Damit stopfte er seine glimmende Pfeife mit Daumen und Zeigefinger, völlig schmerzfrei.

      Über ihm an der Wand überall Heiligenbilder, diverse Kreuze und im Regal Statuen und Kerzen. In der Ecke über dem Sofa brannte das „Ewige Licht“, wie in der katholischen Kirche neben dem Altar.

      Im Schrank zig Bücher und Bibeln aller Art, die er „wissenschaftlich“ überarbeitete und mit seinen handschriftlichen Kommentaren in roter oder blauer oder schwarzer oder grüner Tinte versah. Martin Luther hätte bestimmt gern mit ihm gefachsimpelt, denn an seiner Bibel änderte er vergleichsweise wenig, die katholischen Ausgaben kamen da schon bedeutend schlechter weg.

      Und in der uralten Schreibmaschine steckte immer gerade ein aktueller Brief in Arbeit, je nach

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