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Augen an und sagten wie aus einem Mund: „König Johann.“

      Jack holte ein Etui aus seiner Tasche und entnahm ihm eine Zigarette. Das Streichholz schlug er mit einer schnellen Bewegung fest gegen die Reibefläche. Dann hielt er die Flamme an das Ende der Zigarette und zog an ihr, bis sie brannte. All das geschah langsam, mit Bedacht, als hätte er alle Zeit der Welt, um diese eine Handlung auf einer steinernen Brücke über einem Fluss zu vollbringen.

      An den Ufern unter uns lagen dicht gedrängt die Stechkähne, fest miteinander vertäut, und warteten darauf, dass jemand sich ihrer bediente. Die Weiden standen über den Fluss gebeugt, als wollten sie ihn streicheln, und ihre Zweige tanzten in der Brise.

      Ich brach das Schweigen. „Dieser Fluss“, sagte ich, „ist wie das Leben.“

      „Inwiefern?“ Jack drehte sich zu mir um, lehnte sich gegen das Steingeländer und nahm einen langen Zug aus seiner Zigarette.

      Das hatte ich nun davon, dass ich so gedankenlos daherredete. „Das fließende Wasser“, sagte ich mit fester Stimme. „Es erreicht sein Ziel am Meer, was auch immer geschieht.“

      Er überlegte. „Ich finde, das Leben ist eher wie ein Baum. Die Äste verzweigen sich immer mehr, je größer er wird. Jeder davon ist eine individuelle Entscheidung.“

      „Jack.“ Ich deutete auf den Fluss, der unter uns dahinströmte. „Das ist der Fluss des Lebens. Er ist durch seine Ufer gebunden, aber dennoch frei. Diskutieren Sie manchmal nur so aus Spaß?“, fragte ich dann lachend. „Nur um zu sehen, ob ich mithalten kann?“

      „Ach nein – dass Sie mit mir mithalten können, bezweifle ich nicht. Der Fluss allerdings ist zwar eine schöne Metapher, aber zu unseren Entscheidungen im Leben passt er nicht. Wir treffen uns nicht alle am selben Ort, wie Flüsse es tun.“

      Seine Augen waren tief dunkelbraun, und ich fragte mich unwillkürlich, was sie in mir sahen – er verstand es, ganz da zu sein, im Hier und Jetzt, und dadurch freundliche Aufmerksamkeit auszustrahlen.

      „Entscheidungen.“ Ich beugte mich herab und hob eine Handvoll Blätter auf, um sie dann durch meine Finger fallen zu lassen. „Was ist, wenn wir uns falsch entscheiden? Brennen wir dann in einer ewigen Hölle? Glauben Sie das?“ Ich warf ein Blatt auf ihn. „So wie Sie es in Die große Scheidung geschrieben haben? Man kann kein Souvenir von dem mitnehmen, was man liebt?“

      Er lachte. „Unser Briefwechsel hat mir schon Spaß gemacht, aber mit Ihnen zu plaudern, ist noch besser.“

      „Ja.“ Ich holte tief Luft und sprach die Wahrheit aus. „Im Lauf der Jahre begannen wieder Worte in meinem trägen Herzen zu schlagen, unsere Worte, mit der Kraft, die in ihnen liegt.“

      Jack lächelte. Das goldene Sonnenlicht lugte hinter einer ausgefransten Wolke hervor und fiel sanft auf sein Gesicht. Einen Moment lang, nicht länger und nicht kürzer als der, den ich im Kinderzimmer meiner Söhne auf den Knien verbracht hatte, fühlte sich mein Körper losgelöst von der Erde, als wären wir nur ein Fragment aus einem Traum. Mein Puls flatterte in meinen Handgelenken, in meiner Brust, in meinem Bauch. Ein warmer Strom, zaghaft, aber unaufhaltsam, durchflutete mich.

       Oh, Joy, sei bloß vorsichtig, sehr vorsichtig!

      Er hatte meinen Verstand und mein Denken erobert; ich konnte nicht zulassen, dass er dasselbe auch mit meinem Herzen tat.

      Ich löste meinen Blick von seinem Lächeln und seinen verschmitzten Augen, und wir schlenderten zusammen zurück, woher wir gekommen waren, vorbei an Bäumen, in deren Ästen sich Vogelnester verbargen, die aussahen wie kleine Hüte. Schließlich trennten uns nur noch wenige Schritte vom Eingang des Magdalen College. Als ich den Namen des Colleges zum ersten Mal gelesen hatte, hatte ich ihn falsch ausgesprochen. Dem Himmel sei Dank, dass ich erfuhr, wie es richtig heißen muss, bevor ich Jack begegnete – nämlich „Modlin“ mit einem langen, offenen O. Doch wir gingen immer noch nicht hinein. Jack setzte sich auf eine Bank und schlug die Beine übereinander.

      Der Rauch seiner Zigarette, die er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, stieg in Ringen nach oben. Er breitete seine Arme auf der Rückenlehne der Bank aus.

      „Es geht nicht so sehr um irgendwelche Souvenirs, die wir mitnehmen wollen, sondern um unsere Herzen, die wir bei uns tragen müssen“, sagte er. „Sie sehnen sich nach dem Hochland, wie ich es nenne, und doch kommen wir nicht hin, ohne unsere Überzeugung aufzugeben, das hier sei alles, was es gibt, und wir müssten es nach Kräften auskosten und versuchen, etwas davon mitzunehmen.“ Dann sah er mich schweigend an, wie jemand in einer Debatte, der gerade sein Argument besiegelt hat.

      „Oh, Jack“, sagte ich und setzte mich neben ihn. „Ihr Hochland ist mein Märchenland. Ich habe davon geträumt, seit ich ein Kind war. Als ich Das Schloss und die Insel las, wusste ich, dass Sie von demselben Ort sprachen – von der ‚Insel‘, wie Sie es nannten.“ Dieser Gedankenaustausch mit einem Mann, dessen Verstand ich schätzen gelernt hatte, fühlte sich an wie Wasser für eine ausgetrocknete Seele.

      Ich fuhr fort. „Sie und ich, wir hatten beide als Kinder dasselbe Erlebnis, dieses Entzücken, das die Natur bringt, das Wissen, dass manchmal die Welt ein so sehnsuchtsvolles Gefühl hervorruft, dass es sich mit Worten nicht beschreiben lässt. Und diese Sehnsucht deutet hin auf einen Ort, wo Böses nicht existieren und Leid nicht bestehen kann. Schon als wir noch nicht gläubig waren, glaubten wir dennoch. Es kommt mir vor, als hätten wir denselben Weg eingeschlagen und als hätte das Hochland uns beide gerufen.“

      Er nickte, und ich hatte fast den Eindruck, er würde ein wenig rot. „Das Schloss und die Insel war das erste Buch, das ich nach meiner Bekehrung geschrieben habe, als ich über die Sehnsucht nachdachte und darüber, was sie bedeuten könnte.“ Er sah mich mit einem stillen Lächeln an. „An diesem herrlichen Nachmittag mit seinem gelben Laub sehne ich mich noch mehr nach solch einem Ort“, sagte er. „Ist das nicht seltsam? Dass wir hier glücklich sein können und dennoch … dorthin gehen wollen?“

      „Als ob wir gerade dann, wenn wir am glücklichsten sind, noch mehr wollen. Als ob das hier der Vorgeschmack wäre.“ Ich holte tief Luft. „Jack, wenn ich auf mein Leben zurückblicke, verstehe ich die Verlockung des Atheismus, aber jetzt erscheint er mir fast unmöglich. Wie konnte ich überhaupt nicht glauben, wenn mein Herz es doch schon immer wusste?“

      „Vielleicht haben wir zu einfach gedacht.“

      Ich spürte meinen Erinnerungen nach und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht; ich glaube, ich wollte einfach, dass meine Seele mir selbst gehört.“

      „Genau.“ Er nickte, als hätte er dieselben Erinnerungen.

      „Haben Sie jemals …?“ Ich zögerte.

      „Habe ich jemals was?“

      „Eine andere Präsenz gespürt? Das Gefühl gehabt, als ob sich der Schleier für einen Augenblick hob? Und ich meine nicht nur im Gebet.“

      „Wie meinen Sie das, Joy?“ Er beugte sich vor.

      „Als mein Freund Steven Vincent Benét starb, konnte ich ihn spüren. Ich glaube … nein, ich weiß, dass ich seinen Geist vorübergehen sah.“ Ich zog sogar den Kopf ein. „Klingt das verrückt?“

      Jack rückte näher und senkte seine Stimme, während er den Rest seiner Zigarette zertrat. „Joy, als Charles Williams starb, war ich am Boden zerstört; es traf mich wie ein Schlag. Ich ging in den Pub, in dem wir oft zusammengesessen hatten – das ‚King’s Arms‘ – und bestellte mir ein Bier. In diesem Moment spürte ich meinen Freund. Er war bei mir, und er ging an mir vorbei. Niemand wird mich je vom Gegenteil überzeugen. Tollers findet das absurd, aber ich weiß, dass es wahr ist.“

      Wir sahen einander mit großen Augen an – wieder eine Gemeinsamkeit, die uns verband.

      Wir durchschritten den Torbogen ins College, und ein unermessliches Glücksgefühl erfüllte mich, als Jack sich in einen Fremdenführer

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