Скачать книгу

nur enge Freundinnen, sondern sie brachte mich auch mit einer Schar von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in London zusammen – eine Gruppe von Science-Fiction-Autoren, die sich an den Donnerstagabenden in einer Querstraße der Fleet Street in einem alten Pub mit niedriger Decke namens The White Horse trafen. Sie nannten ihre Gruppe den „London Circle“, und ich barg mich in ihrer Mitte und schloss diesen Kreis um mich. Bei Starkbier und Würstchen ließ ich mich berieseln von ihren Geschichten, Debatten und Neuigkeiten aus der Verlagswelt. Nach Gemeinschaft hatte ich gesucht, und Gemeinschaft hatte ich gefunden, als wäre ich schiffbrüchig auf einer Insel gestrandet.

       Bill:

       Schön zu hören, dass du schon beim Arzt und beim Zahnarzt warst. Ich hoffe, es geht dir zunehmend besser. Den Jungs geht es gut, aber sie vermissen dich mehr, als sie zugeben wollen.

       Renee:

       Danke für den Liberty-Schal! Ich trage ihn jetzt ständig. Sei Bill bitte nicht böse, dass er nicht viel Geld schicken kann; wir sind so pleite, wie man nur sein kann – tut mir leid, dass ich so schwermütig bin, aber es ist einfach die grauenhafte Wahrheit: Bill hat Mühe, irgendetwas zu verkaufen.

       Joy:

       Lieber Poogabill,

       es tut mir leid, dass du kein Geld schicken kannst und dass du tatsächlich so pleite bist, „wie man nur sein kann“. Ich schreibe jeden Tag, und sobald ich etwas verkaufe, werde ich dir etwas Geld schicken. Bis dahin komme ich schon irgendwie durch – Gott sei Dank habe ich ja bei Phyl ein Dach über dem Kopf. Du wirst begeistert sein, wenn du hörst, dass ich eine Schriftstellergruppe gefunden habe. Die meisten von ihnen schreiben Science-Fiction, viele von ihnen kennen deine Werke. Und weißt du, wen ich getroffen habe? Arthur C. Clarke! Ich weiß, dass du ein großer Fan seiner Science-Fiction bist. Was meine Gesundheit angeht, so habe ich mich noch nie besser gefühlt. Warte nur ab, mein süßer Bill, wenn ich nach Hause komme, werde ich die netteste Poogle sein, die du je erlebt hast.

      „Joy!“, rief Phyls Stimme aus dem Flur. „Wir müssen los, sonst verpassen wir den Zug nach Oxford.“

      Ich hatte mich schon dreimal umgezogen und verschiedene Hüte probiert. Beinahe hätte ich mich für den schwarzen Jaeger-Wollpullover entschieden, den ich mir gerade gekauft hatte, aber dann erschien er mir doch ein wenig zu trostlos, und ich hatte ihn beiseitegelegt. Ich hatte mir die Haare hochgesteckt und dann wieder heruntergelassen, um sie dann doch zu meinen gewohnten Knoten zusammenzustecken. Michal Williams hatte mir gesagt, dass Jack es mochte, wenn Frauen sich mit ihrer Kleidung Mühe gaben.

      Phyl steckte ihren Kopf ins Zimmer und legte sich die Hand auf die Brust. „Du siehst wunderschön aus. Ich liebe dieses Tartankleid.“

      „Oh, Phyl!“ Ich zog meine Strümpfe hoch und befestigte sie an den Strumpfbändern. „Ich frage mich, worüber wir reden werden. Ich bin nicht besonders gut darin, neue Menschen kennenzulernen. Dafür ist im Königreich unserer Ehe Bill zuständig. Er ist verbindlich und charmant, er lacht laut und erzählt Witze, er spielt Gitarre und beteiligt sich an Spielen. Ich stehe meistens in irgendeiner Ecke und diskutiere über Politik oder Religion oder Bücher.“ Ich setzte mir die Brille auf die Nase und lächelte Phyl an.

      „Aber du kennst diesen Mann doch schon.“

      „Ich glaube schon. Aber er bringt einen Freund mit, wir werden also zu viert sein.“ Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel und steckte meine Haare unter den Hut aus gerippter Seide mit dem blauen Band. „Danke, dass du mitkommst.“

      „Das tue ich gern“, versicherte sie mir. „Schließlich will ich ihn auch kennenlernen. Und überhaupt, Oxford – wer wäre bei einem Ausflug nach Oxford nicht dabei? London gefällt dir? Warte nur ab. Und du wirst Victorias kleines Gästezimmer lieben. Es ist ebenso praktisch wie gemütlich.“

      Ich nahm mein Gepäck und straffte meine Schultern. „Dann lass uns aufbrechen.“

      Phyl und ich saßen nebeneinander, als der Zug sich ruckelnd in Bewegung setzte. Sie las einen Roman, und ich beobachtete ihr Gesicht. Ihre langen Wimpern wanderten auf und ab, als plötzlich eine furchtbare Erinnerung in mir aufstieg: ein schrecklicher Streit mit Bill im Dezember des letzten Jahres. Er hatte Phyl in unserem alten Chrysler zum Pier 88 in Manhattan gebracht, wo sie ihre Rückreise nach London antreten wollte. Ich war nach dem Eingeständnis seiner Untreue in den vergangenen Nächten krank, unglücklich, in mich verschlossen und argwöhnisch gewesen und hatte meine Sinne nicht beisammen gehabt. Als Bill anrief, um mir zu sagen, dass der Motor unseres Autos muckte und er die Nacht im Hotel Woodstock verbringen würde, beschuldigte ich ihn, Phyl zu verführen. Ich schrie und fluchte und machte mich lächerlich. Er wiederum beschimpfte mich wütend. Ich erinnerte mich nicht mehr genau an die Worte, aber sie hatten klaffende Wunden in meine Seele geschlagen, die noch nicht vernarbt waren.

      Phyl hatte sich als überaus loyale und wohltuende Freundin erwiesen; ich fragte mich, wie ich je hatte auf den Gedanken kommen können, sie würde sich derlei Unsinn von meinem Mann gefallen lassen. Und Bill hatte geschworen, mit seiner Untreue sei es vorbei … aber für eine Ehefrau ist es nie vorbei. Niemals.

      „Phyl“, sagte ich, als der Zug eine kohlefarbene Dampfwolke ausstieß und in Richtung Oxford losrollte.

      „Hmmm?“

      „Ich bin nervös. Ist das nicht komisch? Warum sollte ich nervös sein, nur weil ich einen Mann und seinen Freund in einem Restaurant treffe? Ich habe in meinem Leben schon Hunderte von Schriftstellern kennengelernt, und die meisten von ihnen waren die Ehrfurcht nicht wert, die ich ihnen entgegenbrachte.“

      „Weil du diesen Schriftsteller so sehr respektierst. Ich glaube, du hast einfach Angst davor, dem wirklichen Menschen zu begegnen. Vielleicht ist er gar nicht so toll, wie du ihn dir vorstellst.“

      Ich musste lachen – wie immer zu laut, sodass zwei Frauen in der Reihe vor uns sich mit missbilligenden Blicken zu uns umdrehten. Ich schenkte ihnen mein strahlendstes Lächeln. Ein bisschen Freundlichkeit ist die schärfste Waffe. „Ach Süße“, sagte ich zu Phyl. „Kannst du nicht noch ein bisschen deutlicher werden?“

      „Es ist immer das Beste, sich der Wahrheit zu stellen, Liebes.“ Sie streckte sich und klappte Die große Scheidung zu, die sie vor dem Treffen mit Jack hatte überfliegen wollen. „Es macht doch keinen Sinn, so zu tun, als wäre es dir egal. Ist doch klar, dass du jede Menge Schmetterlinge im Bauch hast.“

      Ich dachte einen Moment lang nach, während draußen grün und golden die Landschaft vorbeihuschte. „Was mich nervös macht, ist nicht der Gedanke, dass ich den Respekt für ihn verlieren könnte; da habe ich keine Befürchtungen. Es ist eher die Achtung, die er mir entgegenbringt – oder auch nicht. Weißt du, Liebes, Juden sind hierzulande nicht besonders beliebt. Nicht einmal ehemalige Juden. Was ist, wenn er diese in der Bronx geborene ehemalige Atheistin und Kommunistin schockierend findet?“

      „Schockierend vielleicht, aber eher ein bisschen fesselnd. Es ist wie in einem guten Buch, du musst einfach abwarten, was passiert.“

      Der karierte Stoff, mit dem die Sitze bezogen waren, juckte auf der Haut, aber ich lehnte mich dennoch zurück und schob das Rollo über dem Fenster höher. Grüne Felder zogen draußen vorbei, Sümpfe und Flüsse, Bootshäfen und Buchten. Es kam mir so vor, als ob wir etliche Flüsse überquerten, aber vielleicht war es auch nur einer, der in Schlangenlinien zwischen London und Oxford dahinströmte. Auf einer hohen Erhebung rauschten wir an einer kleinen Ortschaft vorbei, wo die Sockel der Schornsteine wie Grabsteine aussahen. Dann durchfuhren wir den kohlegeschwärzten Ort Slough und weiter durch Reading. Das sanfte Schaukeln des Zugs ließ mich schläfrig werden, während ich mir Möglichkeiten ausdachte, was ich als Erstes zu Jack sagen könnte, wenn ich ihn sah.

       - Es ist mir

Скачать книгу