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- Ich verehre Sie, seit ich beim Lesen von „Die große Scheidung“ auf Ihren Satz stieß: „Niemand sonst findet einander so absurd wie zwei Liebende.“

       - Hi, ich bin Joy, und ich bin ein Nervenbündel.

      Aber am Ende sagte ich dann nichts von alledem.

       10

       I’ll measure my affection by the drachm

      „Sonnet I“, Joy Davidman

      Die Ziegelfassade des Eastgate Hotels, einer großen alten Dame unter den Oxforder Bauten, hatte dieselbe gelbbraune Farbe wie das Fell meiner Katze. Auch nach einem Monat noch überraschte mich die verlässliche Altertümlichkeit Englands. Die Häuser waren so gebaut, als hätte man schon immer gewusst, dass ihre ätherische Schönheit für Jahrtausende würde halten müssen. Die Fenster waren eingesetzt wie schläfrige, halb geschlossene Augen. Vier breite und geschwungene Stufen führten zum Eingang hinauf. Zu unserer Rechten war ein Gebäude, das man für eine mittelalterliche Festung hätte halten können. In Wirklichkeit handelte es sich um das Merton College, eines der vierunddreißig Colleges der Oxford Universität, eingefasst von einer langen Steinmauer, die der Biegung der Straße folgte wie eine Liebhaberin.

      „Phyl“, sagte ich, und wir blieben in dem dunklen Eingang stehen, „ich vermisse zwar meine Poogle-Bande, aber ich bin sehr froh, hier zu sein.“

      Sie kniff ihre blauen Augen gegen das Sonnenlicht zusammen und sah mich gelassen und vielsagend an. „Das wird interessant, Liebes. Genieße es.“

      Ich nickte ihr zu und legte mir die Hand auf den Bauch, um meine Nerven zu beruhigen. Ich tupfte mir mit einem Taschentuch am Lippenstift herum. Schon seit Jahren hatte ich gehofft, Jack eines Tages zu begegnen, ohne je recht daran zu glauben, und nun stand ich hier in Oxford auf dem Bürgersteig vor dem Restaurant, in dem er sich gerne mit Freunden zum Mittagessen traf.

      Wir betraten das Hotelfoyer, wo er uns erwarten wollte. Ich rief mir die Fotografien in Erinnerung, von denen Bill sagte, Jack sehe darauf aus wie ein gemütlicher alter Basset. Auf diesen Bildern trug Jack manchmal eine runde, schwarzrandige Brille, und er zeigte sich stets in Anzug und Krawatte. Zog er sich so auch an einem ganz gewöhnlichen Werktag an, um in einem Hotel zu Mittag zu essen? Oder würde er seine akademische Robe tragen? Eine Pfeife zwischen seinen Lippen? Eine Zigarette im Mundwinkel?

      Meine Gedanken flatterten hin und her wie Vögel in einem Käfig.

      Stimmte mein Aussehen? Schön, aber klug? Freundlich, aber intelligent? An sich hatte ich meine Erscheinung nie besonders bewundert, bis auf ein wunderschönes Foto auf der Umschlagrückseite von Weeping Bay. Und wann immer ich versuchte, genau diese Pose wieder einzunehmen, misslang es mir irgendwie, und ich war enttäuscht. Ich spielte an meiner Perlenkette herum und ließ meinen Blick durch die Bar wandern. Jetzt zur Mittagszeit war sie gut gefüllt: Männer in dreiteiligen Anzügen und mit Krawatten, Frauen mit Perlenketten und Hüten, ähnlich dem, was ich trug. Der Raum wirkte wie ein Schleier aus Chintz und Samt, spärlich beleuchtet von Lampen über den dunklen Wandtischen. Die Wände waren von grünen Damasttapeten bedeckt; an den Decken zogen sich dunkle Holzbalken entlang, dick wie Eisenbahnschwellen. Alles wirkte sehr stattlich und gediegen, ich richtete mich unwillkürlich höher auf und nahm meine Schultern zurück.

      Mein Blick durchstreifte den Raum, bis ich ihn gefunden hatte.

       Jack.

      Da war er, angeregt ins Gespräch vertieft mit dem Mann, der ihm gegenübersaß. Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen hörte er ihm aufmerksam zu.

      Ich musterte ihn, als hätte ich eine Ewigkeit Zeit, ihn anzustarren, ohne dass er es bemerkte.

      Seine Haare waren schon gelichtet, und die verbliebenen dunklen Haare waren straff nach hinten gekämmt. Sein Lächeln sprühte vor Leben. Seine Augen lagen hinter einer randlosen Brille im Schatten seiner schrägen Augenlider, als wäre er gerade erst erwacht und froh darüber. Entspannt saß er da, und hatte seine mit einer Cordhose bekleideten Beine übereinandergeschlagen.

      Die Art und Weise wie sich die Landschaft seines Gesichts unter den kräftigen Augenbrauen bewegte, hatte etwas Leuchtendes an sich. Seine Lippen formten einen vollen Mund. Diese Eigenschaften – sein Verstand, den ich aus seinen Briefen kannte, und nun das Licht seines Geistes zu sehen – verbanden sich in mir zu einem einzigen Wort: schön. Die Vögel in meinem Kopf flatterten erwartungsvoll hinunter in meine Brust.

      Und dann, als hätte jemand ihm die Hand auf den Mund gelegt, brach er plötzlich mitten im Lachen ab. Er sah mich an, als hätte mein Blick ihm auf die Schulter getippt.

      Unsere Blicke begegneten sich und hielten einander fest. Seine Lippen verformten sich zu einem Lächeln, und meine taten es seinen unwillkürlich nach.

      Ich gab mir einen Ruck und schlenderte auf ihn zu. Er stand von dem Sofa auf, und ich blieb vor ihm stehen. Seine braunen Augen funkelten freudig.

      „Na so was! Meine Brieffreundin Joy ist endlich in England.“ Seine Stimme klang wie ein Gesang: Englisch mit einer unverkennbaren irischen Färbung. Er war nicht ganz so groß, wie ich erwartet hatte, einsachtzig vielleicht, doch seine Ausstrahlung reichte bis zu den Balken unter der Decke. Er trug ein abgetragenes Tweedjackett mit braunen Lederflicken an den Ellbogen und ein weißes Hemd mit hellblauer Krawatte.

      „Und Sie“, sagte ich mit einem nervösen Lächeln, „müssen mein berühmter Freund Jack Lewis sein.“

      Er lachte schallend, streckte seine Hand aus und ergriff meine, um sie kräftig zu schütteln. „Berühmt? Berüchtigt vielleicht, in ganz kleinen Kreisen.“

      Meine Stimme hörte sich belegt und albern an. Ich versuchte, tiefer zu sprechen. „Ich bin wirklich froh, Sie zu sehen. Nach jahrelanger Freundschaft und nachdem ich schon einen ganzen Monat hier in England bin, lernen wir uns endlich persönlich kennen.“ Ich hielt seine Hand fest, und wir lächelten einander an. Wahrscheinlich waren es nur ein paar Sekunden, aber die Zeit schien stehen zu bleiben. Er ließ meine Hand erst los, als Phyl zu uns trat. „Oh, wie unachtsam von mir! Darf ich Ihnen meine Freundin Phyl Williams vorstellen?“

      Der Mann neben Jack zog die Augenbrauen hoch, und ich wusste sofort, was ich falsch gemacht hatte – ich hatte laut in meinem New Yorker Akzent gesprochen.

      Jack schüttelte Phyl die Hand und erwiderte in seinem irisch gefärbten Ton: „George Sayer, darf ich dir Joy Gresham und ihre Freundin Phyl aus London vorstellen?“

      George nickte uns beiden zu, und Jack erklärte: „George ist ein guter Freund und ehemaliger Student von mir am Magdalen College.“

      Ich schaute George an. „Es ist mir ein Vergnügen.“ Ich hielt ihm meine Hand hin, er schüttelte sie wortlos. Nervös presste ich meine Lippen zusammen und hoffte, dass der Lippenstift hielt und sich nicht in die kleinen Fältchen um meinen Mund verteilte.

      „Kommen Sie“, sagte Jack, „setzen wir uns. Sie haben uns einen Tisch reserviert.“

      Zu viert bahnten wir uns unseren Weg zu dem dämmerig beleuchteten Tisch, der in der Mitte des Restaurants für uns freigehalten war und auf dem uns vier Kristallgläser mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit erwarteten.

      Wir ließen uns nieder, und während wir die Servietten über unsere Beine breiteten, musterte ich George rasch. Er hatte ein langes Pferdegesicht mit einer tief gefurchten Stirn, die davon zeugte, wie viel Zeit er mit zusammengezogenen Augenbrauen verbrachte. Seine großen Ohren schienen zu seinen Augen hin kippen zu wollen, und seine lange Nase endete in einer runden Knolle, von der aus er auf mich herabzusehen schien, als er meinen Blick auffing. Ich schaute weg.

      „Sherry“, sagte Jack und hob sein Glas. „Willkommen in Oxford.“

      Wir alle hoben unsere Gläser und nahmen gemeinsam einen Schluck. „Hmmm“,

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