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und zu vermehren. Es ist Mutter Natur selbst, die sich hier offenbart, um uns die Kraft des Lebens und dessen ewige Selbsterneuerung vor Augen zu führen, und es ist die Geburt und das Gebären schlechthin, was ihr Wesen ausmacht: das Streben, das die irdische Welt zum Fortbestehen unserer Spezies immer wieder aufs Neue mit prallem Leben füllt. Oder der Weg, der zwei zukünftige Elternteile zusammenführt.

      Schlüsseln wir die Symbole der Reihe nach auf: Das achtspitzige Malteser- oder Johanniterkreuz auf ihrem Haupt2 steht für die irdische Regentschaft und die Bedeutung der Vereinigung zwischen spiritueller und sexueller Natur. Auf Kopf- oder Bewusstseinshöhe sitzen zwei der heiligen Vögel, der Sperling als ein der Aphrodite zugeordnetes Symbol der Lust und die Taube als christliches Relikt unbefleckter Empfängnis.3 Der Lotus oder Stab der Isis in der Rechten auf Herzhöhe zeigt, dass sie alle fruchtbaren Energien im Zentrum ihres Herzchakras zur Entfaltung bringt, und deutet gleichzeitig die Regentschaft über den Phallus des Kaisers an.1 Die geöffnete linke Hand und der Blick nach links auf die heilige Taube (aus Sicht des Betrachters rechts) unterstreichen Empfänglichkeit und Mutterschaft. Ihr rot-grünes Kleid bringt ihre immensen Kräfte gut zum Vorschein, weil die Natur in diesen Farben vorteilhaft zur Geltung kommt. Die emsigen Bienen auf dem Kleid sowie die Fische und Lilienblüten auf dem (Asphodelien-)Grund, Symbol für Unschuld und Jungfräulichkeit, auch wenn ihr üppiger Stempel an den Phallus eines Esels erinnert, sind ein weiteres Indiz für ihre sammelnde und bewahrende Art. Um den Bauch (Solarplexus) trägt sie den Gürtel des Zodiaks. Mit einem Satz: In ihr drückt sich das emotionale Verlangen nach Ganzheit aus, weil nur die weibliche Kreativität in Verbindung mit Gefühlen für eine Erfahrung von Vollständigkeit sorgt.

      Aus magischer Sicht wird die Familie von der Mutter repräsentiert, denn es ist die Frau, die die bewahrende, beschützende Rolle übernimmt und die Durchsetzungskraft des Männlichen ausschickt und wieder an sich heranzieht. Man könnte sie auch als Urschöpferin oder Aspekt der Mutter Natur auffassen, wobei die Betonung auf der hellen Seite in ihrer weiblichen Weisheit und im Schatten auf einer blinden Mütterlichkeit liegt. Die pure Lust am Erschaffen immer neuer Formen kann zu einer Maßlosigkeit führen, die die Gleichgültigkeit der Schöpferin gegenüber dem einzelnen Individuum zum Ausdruck bringt. Bereits erschaffenes Leben wird von der Flut neuen Lebens erdrückt, wenn ein regulierender Gegenpol fehlt. Die zerstörende, schwarze Mutter, wie sie in vielen Mythologien in Erscheinung tritt, mag hier ihren Ursprung haben. Crowley sieht im Rumpf der Regentin das alchemistische Symbol Salz (nach)skizziert, was in der seltsamen Verbiegung des Unterleibs zum Ausdruck kommt, der vom Oberkörper abgeschnitten ist und auf dem Bild von Frieda Harris perspektivisch verzerrt und verdreht aussieht.2 Die schwebenden Halbmonde auf beiden Seiten zeigen an, dass sie sich manchmal in die kindlichen Gefilde von Wut oder ohnmächtigen Trotzphasen zurückziehen kann, besonders, wenn ihre schöpferische Macht nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Denn wenn die Kaiserin den Willen verkörpert, sich selbst zu verwirklichen, dann entspricht der Mond dem Rückzug zu den Ufern des Unbewussten. Daher ist es verständlich, dass das von der verschlingenden Mutter symbolisierte Machtstreben oft auch einen intensiven Kampf gegen die Mondverkörperung ihres (verdrängten) Alter Ego führt. Doch für ihre Entwicklung ist es eminent wichtig, die materielle Vertiefung zu den intuitiven Träumen ihrer Schwester zu finden, was nicht leicht fällt, denn die Pfade von Hohepriesterin und Kaiserin bilden ein Kreuz4. Ihr Schild ist der weiße Doppeladler des Alchemisten (lunares, weibliches Bewusstsein), der mit dem roten Sonnenadler des Kaisers (Logos, Sperma) in Verbindung steht, und in der linken unteren Ecke der Karte sehen wir als Motiv für Mutterliebe einen Pelikan5, der sich die Brustfedern ausreißt und die junge Brut mit seinem eigenen Blut aufzieht.

      Was haben wir noch? Die Rose an der Position von Malkuth ist ein alchemistischer Hinweis der Venus (= Kreuz und Rose), genauso wie die Tür oder der gewölbte Durchgang im Hintergrund der Karte. Die Herrscherin sitzt unter einem Torbogen (hebräischer Buchstabe: Daleth = Tür), links und rechts von den Säulen mit Sperling und Taube flankiert, den Crowley als Tor des Himmels bezeichnet, oder besser, als Tor zur Welt, durch das sie sich den Menschen als Große Mutter und ewige Gebärerin darstellt. Die Farben des Trumpfes sind wässrigpastellfarben, während die Formgebung der Thronsäulen eher flammenartig ausfällt. Wasser ist oberflächlich betrachtet Gegensatz und Ergänzung zum Feuer, eine Entwicklung, die sich in der nächsten Karte fortsetzt. Es geht letztlich auch darum, sich mit dem Kaiser zu verbinden, indem man nicht nur aus der eigenen Stärke heraus agiert, sondern sich aus der inneren Verantwortung heraus auf einer höheren Ebene auch mit seinem Gegensatz verschmilzt.

      Weiterführende Bemerkungen

      1 Das Gegenstück dazu ist im Reichsapfel, den der Kaiser in der Linken hält, zu finden.6 Das heißt: Auch der männliche Repräsentant gebietet über die Vereinigung zwischen Mann und Frau, denn der Apfel ist ein weibliches Synonym zur Rose und das kleine Malteserkreuz auf dem Apfel ein männlicher Platzhalter für den phallischen Stab. Die Wirkung der Kreuz/​Rose-Verbindung, die sich durch das ideologische Weltbild der Rosenkreuzer, Theosophen und Okkultisten zieht, ist verblüffend: Die Venus als Zeichen der Liebe und Anziehungskraft bedeckt alle Sephiroth am Lebensbaum (der Kreis berührt die Sephiroth 1, 2, 4, 6, 5, 3; das Kreuz wird durch 6, 9, 10, 7 und 8 gebildet). Crowley schreibt: Das alchemistische Symbol der Venus ist das einzige der planetarischen Symbole, das alle Sephiroth im Lebensbaum zusammenfasst. Die darin inbegriffene Lehre ist, dass die grundlegende Formel des Universums Liebe ist.7

      2 Die Kaiserin ist die dritte Karte, die nach dem Magus und der Hohepriesterin eine tiefer gehende alchemistische Bedeutung aufzeigt8, denn sie stellt mit dem Körper das Symbol des Salzes (Element Erde) dar. Crowley schreibt: Die Kaiserin verbindet die höchsten spirituellen mit den niedersten materiellen Qualitäten. Aus diesem Grunde ist sie geeignet, eine der drei alchemistischen Energieformen – das Salz – darzustellen. Salz ist das inaktive Prinzip der Natur; Salz ist die Materie, die durch Schwefel mit Energie erfüllt werden muss, um das wirbelnde Gleichgewicht des Universums aufrechtzuerhalten. Die Arme und der Torso der Figur deuten folgerichtig die Gestalt des alchemistischen Symbols von Salz an.9

      Andere Verbindungen

      – Tiefenpsychologische Zusammenhänge –

       Der Narr und die Mutterimago

      Blättern wir zurück: Nachdem der Narr seine Über-Mutter vergewaltigt hat und sich damit von der spirituellen Mutter (Mutter Gottes) löste10, kann er in der Kaiserin jetzt der Großen Göttin begegnen. Damit ist die Gefahr aber nicht gebannt – ganz im Gegenteil. Die Hohepriesterin zu »vögeln« ist ein normaler virtueller Akt im Kopf, der in den meisten Pubertierenden während ihrer ersten Masturbationsphasen heranwächst. Doch die Mutterimago, die die Kaiserin ausstrahlt, ist etwas ganz anderes. Dahinter erscheint, wenn der Trieb erwacht, die Erinnerung an eine sinnliche Gestalt aus Fleisch und Blut und gleichzeitig – damit verbunden – ein Schuldgefühl, das den Jüngling umfasst, nämlich das Gefühl, die leibliche Mutter mit dem inneren Bild der Hohepriesterin betrogen zu haben. Deshalb ist es auch nicht eine äußere Kaiserin, die ihm begegnet, sondern es ist seine eigene unterdrückte innere Weiblichkeit, die in ihm erwacht und die ihn zwingt, sich für die begangene Vergewaltigung im Kopf an eine sinnliche Frau zu verlieren, die nichts anderes mit ihm vorhat, als ihn mit Haut und Haaren in sich »einzuführen« (also zu verschlingen wie die Hexe im Märchen Hänsel und Gretel). Der Psychologe spricht von der pubertären Lust, in den Mutterleib zurückkehren zu wollen.

      Die Kaiserin symbolisiert also die schreckliche Gefahr, die von der Mutterimago ausgeht. Diese Gefahr besteht darin, dass die Persönlichkeit durch die unbewusste Faszination gelähmt werden kann, die dieses Bild auslöst. Der Schatz, den die Mutter in der Tiefe bewacht, steht für das Wachstum

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