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ihre eigene Kolumne hatte, Herbert Marcuses kritische Weiterführungen sozialtheoretischer Ansätze von Hegel, Marx und Freud sich in hitzigen Diskussionsrunden in Studentenbuden mit Räucherkerzen und Potgeruch mischten, die Mao-Bibel im Entree jeder anständigen Kommune manchmal direkt neben Theodor Adornos fulminanter Entlarvung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse oder gar ausgehängten Scheißhaustüren als Zeichen kapitalistischer Befreiung lag2. Und auch ein paar Monate bevor die ersten Horrormeldungen über einen abgefahrenen Harvard-Professor über den großen Teich herüberschwappten, der in einem großen Interview von einer Wahnsinnsdroge erzählte, die der Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckt (und in einer rasenden Velofahrt durch Basel nach deren versehentlichen Einnahme – ohne Kopfhörer und Pink Floyd-Sound – gleich auch selbst eingeweiht) haben soll. Die Rede war von einer Zauberpille, die das Bewusstsein in einen anderen Seinszustand katapultierte, von neuen menschlichen Schaltkreisen im Nervensystem, die dadurch erfahrbar werden, Quantensprüngen, die unsere Entwicklung angeblich so verfeinerten, dass wir wie Tachyonen aus den okkulten Traditionen unserer Gesellschaft hinausgeschleudert wurden. Erinnerungen übrigens, die heute in Phonokinetoskopen simuliert werden, um das Gefühl zu wiederholen, wie es war, als wir uns damals mit einer Birne voller Acid und Moody Blues im Ohr beinahe darüber totlachten, als der Kellner in einem Restaurant für die Getränke plötzlich Geld einziehen wollte, weil das mit dem flöten- und sitarunterlegten Om aus In Search of the Lost Chord im Hinterkopf nicht zu vereinbaren war. Ich ahnte damals nicht, dass Timothy Leary schon drei Jahre später auf seiner Flucht vor der amerikanischen Justiz Anfang der Siebziger bei uns im Schweizer Exil landen würde, umgeben von einem illustren Kreis Psychedelikern unter dem Primus inter pares Sergius Golowin und unter Beisein vieler junger Rebellen wie H. R. Giger, Walter Wegmüller oder auch der Züricher Hell’s Angels, bevor ihn die Behörden schließlich wieder in die USA auslieferten. Was ich aber noch weniger ahnte war, dass der besagte Professor einen direkten Kontakt zu Israel Regardie hatte, der nicht nur Weggefährte, sondern zwischen 1928 und 1932 auch Crowleys persönlicher Sekretär war und Leary mit dessen Werk in Verbindung brachte. Es lag auf der Hand, dass der mit LSD und anderen mystisch-ekstatischen Erfahrungen experimentierende »Drogenpapst« Leary sich prächtig mit dem Ex-Sekretär des »verruchtesten Mannes dieses Planeten« verstand. Leary bekannte sich später öffentlich zu den Schriften Crowleys und seinem thelemitischen Einfluss.

       Asyl für Timothy Leary – Brief vom 3. 7. 1971 an den Bundesrat, die höchste schweizerische Instanz

      Mein unbekannter Freund, nennen wir ihn einmal in Anlehnung an Crowleys Terminologie meinen persönlichen Schutzengel3, faselte unter dem Mantel der Verschwiegenheit irgendetwas von einer Rache an einigen hundert Jahren europäischer Kultur-Bevormundung durch die Verbindung von Musik und Magie, was ich nicht richtig verstand, jedenfalls beschwichtigte er mich, als ich ihn blöd anglotzte, mit dem Spruch, Crowley sei auch der Schöpfer des Friedenszeichens gewesen (gespreizter Zeige- und Mittelfinger), mit dem wir Hippies uns untereinander grüßten, und damit waren meine Bedenken zerstreut. Er sagte weiter, jede Veränderung begänne mit Provokation und Rebellion. Das wäre die Hefe im Teig der menschlichen Entwicklung, aber am Ende jeder Entwicklung entstünde eine bessere Welt. Diese Argumentation war mir aus meiner Pubertät nicht unbekannt, als wir die Autoreifen unserer Nachbarn zerschnitten und alles, was unsere Väter für gut befanden wie beispielsweise ein gesichertes Studium, rundweg ablehnten. Ich kam mir vor wie Richard Wagner auf den Dresdener Balustraden, der sich plötzlich inmitten eines Aufstandes fand, obwohl ihn im Bann seines eigenen Schöpferdämons Politik eigentlich gar nicht interessierte. Genauso wenig beschäftigte mich auch die revolutionäre Botschaft, die er mir da ins Ohr säuselte, und Probleme mit dem Christentum hatte ich bis anhin auch (noch) keine4, aber die Bezeichnung größter Satanist war schon eher etwas, das in meinen Ohren klingelte, denn ein solcher Titel kam in meiner persönlichen Gewichtung gerade nach den Begriffen größter Schlagzeuger oder größter Gitarrist. Um die Jahrhundertwende, fuhr mein himmlischer Schutzengel an diesem heißen Juni-Spätnachmittag in der stickigen Disco fort, bevor er für immer verschwand, soll der Magus in der Wüste eine Vision gehabt haben, die ihm versicherte, dass er Luzifer persönlich sei, und auch, wenn man später erfuhr, dass diese Halluzination auf seine Mutter zurückging, die ihn Beast oder Tier 666 nannte, wenn er als Kind unartig war, eine Bezeichnung, die sie als frömmelnde Sektiererin der Johannes-Apokalypse entlehnte (Offenb. 11,7), tat das der Begeisterung keinen Abbruch. Sätze wie Der Weg zum Himmel führt durch die Hölle waren einfach zu stark, um meinen rebellischen Geist nicht zu entzünden, und mein magischer Verstand folgerte messerscharf, diese Botschaft müsste in den geplagten Köpfen rebellierender Gymnasiasten und Lehrlinge gut ankommen. Ich malte mir förmlich aus, was für ein kreativer Stich ins Herz eines jeden verkrusteten Paukers es doch wäre, wenn ihm die Schüler auf die Standardfrage Was wollt ihr werden? nicht mit einer üblichen Standardantwort wie Arzt oder Rechtsanwalt, sondern mit einer crowleyschen Vision wie beispielsweise Rächer der Enterbten, Advocatus Diaboli der Intellektuellen oder einfach größter Magier dieses Jahrhunderts kämen. Also gründeten wir flugs unseren magischen Kreis. Andere Schauergeschichten, dass Crowley Fledermäusen den Kopf abbiss oder Ziegen schlachtete, gingen mir dagegen auf den Geist, denn ich hatte schon immer etwas gegen körperliche Gewalt. Mich interessierten vielmehr die psychischen Prägungen, die Menschen beeinflussen, und die Möglichkeit, wie man solche unbewussten Befehle selbst manipulieren kann. Und auch die sexuellen Protzereien, von denen das Buch nur so strotzte, interessierten mich nur soweit, wie sie mir halfen, mit meiner verklemmten Sexualität endlich alle Frauen flachzulegen, indem ich mir ein mystisches Gebräm überzog und damit meinem geschrumpften Selbstbewusstsein einen gehörigen Wachstumsschub verpasste. Auch der Höhepunkt der geschilderten Provokationen, dass es beispielsweise zu seinen zahlreichen Perversionen gehörte, sich auf den Teppich zu entleeren mit der Behauptung, seine Exkremente seien etwas magisch Anmutendes, ließen mich völlig unberührt; sie fielen mir erst wieder ein, als Fritz Teufel zwei Jahre später in einem großen Happening mitten in seiner Gerichtsverhandlung den Richtern auf den Tisch schiss.

      1969 – 1972

       Timothy Leary und Sergius Golowin

      Der kulturelle Wandel in den Sechzigern, ausgelöst durch die Beatles und Stones, die die Aufbruchstimmung des Rock’n’Roll oder den revolutionären Ansatz eines James Dean wieder aufnahmen und das Ganze plötzlich mit Drogen und Flower Power mischten, konnte auch an Meister Therion nicht wirkungslos vorübergehen. Er wurde von den Hippies nicht nur wegen seiner Drogenphilosophie5, sondern auch wegen seines freien Sexverhaltens zum Drogenpionier und Urvater einer freieren sexuellen Gesellschaft ernannt, die es plötzlich schick fand, vom Geist Crowleys mit dem Ziel einer gesellschaftlichen Revolution »entjungfert« zu werden. Derselben Meinung waren auch die findigen Journalisten des Sunday Times Magazines,die ihren Landsmann 1969 in einer Auflistung der tausend kreativsten Macher des 20. Jahrhunderts neben Lenin und anderen Berühmtheiten auf die Titelseite setzten. Andere verbreiteten das Gerücht, dass Crowley es war, der Aldous Huxley Experimente mit Meskalin empfahl und damit entscheidend zur Bibel der Hippie-Bewegung, Huxleys berühmtem Drogenwerk Die Pforten der Wahrnehmung, beigetragen habe. Das und ein paar andere Geschichten führten dazu, dass Crowleys Geist hinter den engen Bereichen seiner okkulten Gemeinde wieder hervorzuschielen begann, in denen er seit seinem Tod gefangen war, und sein Werk langsam Zugang zu einer größeren Öffentlichkeit fand, nachdem seine Person wieder ein gewisses Interesse erweckte, da er wie so viele andere »schrille Vögel« im nüchternen Wirtschaftsaufbau der Nachkriegsgesellschaft völlig untergegangen war.

       Beatles, Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, 1967, Apple (Pfeil weist auf Aleister Crowley)

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