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zu bewegen. Der verschrieb ihr anfänglich Tabletten gegen Sodbrennen, die sie tapfer schluckte; aber irgendwie schien mir das alles eine Farce zu sein und ich drängte auf einen Untersuch beim Spezialisten. Das war zu der Zeit, als Silvie Bachmann vom Urania Verlag bei mir vorstellig wurde. Sie erzählte mir von einem neuen, vom O.T.O. in New York angeregten Crowley-Tarot-Deck in unverzerrtem Format und mit exakt auf das Original abgestimmten Farben16, das in Kürze erscheinen sollte, und sie fände es toll, wenn ich dazu ein Buch schriebe. Noch einen Crowley-Tarot? Das hieße ja seinem eigenen Bestseller Konkurrenz zu machen. Also erbat ich mir Bedenkzeit, und genau in diese Phase platzte die Bombe: Der Spezialist überwies Ursi zur genauen Abklärung in die Klinik. Die Diagnose war brutal: Speiseröhrenkrebs im fortgeschrittenen Ausmaß von zwölf Zentimetern mit Metastasen im ganzen Körper.

       Türmlihuus

      Was wollte mir das sagen? Ursi war in der Buchhandlung dabei, als sich der erste Crowley-Tarot im Geist abzeichnete, und Ursi war auch jetzt wieder da. Sie stand nach beinahe zwei Jahrzehnten wie aus dem Nichts wieder in meinem Leben, aber nur – die Diagnose war ein Todesurteil, das war uns schon klar -, um unsere gemeinsame Reise zu Ende zu bringen, als sich mir die Möglichkeit einer völlig freien Neubearbeitung dieser alten Vorlage anbot. Dieses erste Buch über die Tarotkarten von Crowley hatte mir 1991 die Tore zu allen mir wichtigen Werken geöffnet – sollte diese erneute Auseinandersetzung sie nun wieder schließen? Fast schien es mir so. Ich besuchte Ursi im Spital und fuhr mit ihr in die alte Kirche von Romanshorn, die auf einem kleinen Hügel direkt am Bodensee thronte und für die sie in den 70er Jahren ein wunderschönes großes Glasfenster für ihren Lehrmeister angefertigt hatte. In der Kirche daneben gab es einen kleinen Marienraum, in dem Menschen in schwerer Bedrängnis ihre Sorgen und Wünsche in ein offen aufgelegtes Buch schreiben konnten. Wir gingen dahin und ich sagte ihr, dass ich mich freuen würde, wenn sie wieder »nach Hause« käme; ich würde sie unterstützen, egal, ob sie sich für oder gegen eine Therapie entscheiden würde, die in meinen Augen sinnlos war und das Leiden nur verlängerte. Ihr fiel im wörtlichen Sinne ein Stein vom Herzen, und da merkte ich, dass sie viel mehr Angst hatte, als sie nach außen zugab, und dass es ein alter und tiefer Wunsch war, wieder in das kleine, verwunschene Schlösschen am Ruhberg zurückzukehren.

      Damit schloss sich der Kreis mit Crowley und mit Ursi. Ich war bereit, mich der Herausforderung zu stellen und nochmals einen Crowley-Tarot zu schreiben, aber diesmal ganz anders als damals mit Hajo, als wir uns professionell nach den Bedürfnissen des Marktes ausrichteten und ich viele Themen unterschlug, die mir – auch wenn sie sich nicht unbedingt vorteilhaft auf die Verkaufszahlen auswirken – wichtig waren. Nun konnte ich das nachholen. Es sollte ein persönliches Bekenntnis werden, ein Nachschlagewerk natürlich auch, vielleicht auch eine unmittelbare Reflexion zwischen (meiner Vorstellung von) Crowley und mir. Aber damit war es nicht getan. Innerhalb der Entstehung fühlte ich mich plötzlich gezwungen, mich tiefer und ausführlicher mit der Person des alten Zauberers auseinanderzusetzen, als es für ein herkömliches Kartenlegewerk normalerweise üblich ist, und den Thoth Tarot als seine letzte Schrift vor dem Hintergrund seines ganzen Werkes »abzuhandeln«. Das Ganze wurde immer komplexer und persönlicher, und da es letztlich auch zu einer Aufarbeitung und Reflexion meiner magischen Vergangenheit und meiner Beziehung zu Ursi wurde, habe ich mir erlaubt, mit meinem Sermon nicht hinter dem Berg zu halten und alle persönlichen Gedanken einzustreuen, die den Zusammenhang erleuchten, vor welchem Hintergrund dieses Buch entstanden ist. Das ist die Asche auf dem Haupt des Künstlers: Letztlich ist alles, mit dem er sich beschäftigt, immer auch Teil seiner eigenen Projektion.

       Ursi und Charles in Meersburg am Bodensee, 17. 8. 1980

      Kommen wir zum Schluss. Ursi kehrte im April zu mir ins Haus zurück und hat bis sechs Wochen vor ihrem Tod gearbeitet. Daneben machte sie Bestrahlungen, um den Krebs ein wenig einzudämmen, was im Sinne einer besseren Lebensqualität für eine beschränkte Zeit auch gelang. Es war ein schöner Sommer mit einem letzten Urlaub anfangs August mit Illuma am kroatischen Strand, da wo die Krähen, wie sie lustig schrieb, kroah statt kraah schreien. In ihrer letzten Karte teilte sie weiter mit, dass sie geweint habe, als sie das Meer, das sie so sehr liebte, noch einmal sehen durfte. Das erste, was sie tat, war das Salzwasser zu kosten, um es auch glauben zu können. Nach ihrer Rückkehr verschlechterte sich ihr Zustand zusehends. Die Wucherung in den Gelenken erschwerte ihr das Gehen; sie musste täglich ins zehn Kilometer entfernte Geschäft gefahren werden. Ende September verengte der Krebs die Speiseröhre so sehr, dass sie nicht mehr schlucken konnte, und so entschloss sie sich, ein Implantat einzusetzen, eine ambulante Operation, von der sie sich nicht mehr erholen sollte. Das letzte Zusammentreffen mit alten Freunden bei uns im Restaurant Landscheide am 3. Oktober war vom erstaunlich detaillierten Träumen in alten Erinnerungen bestimmt. Sie konnte sich minutiös an alle Einzelheiten dreißig Jahre zurückliegender Erlebnisse erinnern. Es war der Sonntagabend vor der Operation, und ich fragte sie, ob wir die Sache nicht abblasen sollten, denn obwohl ich ihr zu diesem Eingriff riet, überkam mich plötzlich ein unangenehmes Gefühl. Sie selbst war auch unsicher, mischte aber die (Crowley-)Karten und kam zu einem klaren Ja.17 Danach ging es rasend schnell; ihr Gedächtnis wurde von Tag zu Tag schwächer. Am Ende wog sie fünfunddreißig Kilo und erkannte uns nur noch, wenn wir ganz nahe bei ihr waren und unsere Hände auf ihren Körper legten. Es war keine leichte Zeit. Die notwendige medizinische Betreuung auch zu Hause bekommen zu können, erwies sich als schwierig, denn in der Schweiz ist es beinahe schon verboten, Patienten in diesem Zustand in den eigenen vier Wänden zu pflegen. Man redete uns von allen Seiten ein, sie ins Spital einzuweisen, aber erstens gab es nichts zu betreuen, was wir nicht selber hätten tun können, und zweitens war es Ursis großer Wunsch, nach ihrer zwanzigjährigen Odyssee daheim zu sterben. Dabei waren Lussia und in den letzten Tagen auch Illuma der entscheidende Faktor; ohne ihre Hilfe hätte sich Ursis letzte Bitte nicht erfüllen können. Doch die Götter im Himmel waren uns wohlgesonnen und hielten ihre segensreichen Hände über uns, und es lief trotz der psychischen Schwere alles erstaunlich leicht und gut. Auch der Zeitpunkt ihres Heimgangs war von einer glücklichen Fügung bestimmt.

      Es war der Tag, nachdem ich mit der Großen Arkana, der letzten Karte Universum fertig war und eine kurze Verschnaufpause einlegte. Die Sonne glühte und vertrieb den Nebel an diesem zwanzig Grad warmen Herbsttag, und es war für mich ein großes Geschenk, dass ich zugegen sein durfte, denn meist schlüpfen die Seelen aus dem Körper, wenn sie sich einen Moment unbeobachtet fühlen. Lussia und Simon, Illuma und ich lagen um sie versammelt im großen Bett und hielten sie in den Armen. Sie ging behütet im Kreis ihrer Freunde heim; ich hatte meinen Kopf an ihrem Kopf und war etwas verwundert, dass der letzte Atemzug kein Ausschnaufen, sondern ein Einatmen war. Sie ist am 8. November 2005 um 12.35 Uhr gestorben.

       In der Todesanzeige konnte man lesen:

       Trotzdem gibt es keinen Weg zurück, es gibt nur diesen Weg nach vorn,

       um zu erfahren, was man gewonnen hat für den Umstand, dass man

       die menschlichen Bilder seiner Sehnsüchte für immer verloren hat:

       Nämlich die Freiheit der Ewigkeit immer neuer Horizonte und die

       unerschütterliche Freude am Ende des Leidens als eine Quelle

       des unerschöpflichen Anfangs.

       Säntis, Herbst 2007: Abschied von Ursi im Freundeskreis

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