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SMS!«

      »SMS? Wie soll das funktionieren? Arbeiten Handys nicht mit ganz anderen Systemen und Prozessoren als normale Computer?«

      »Das schon. Aber unsere Bausteinchen kommen damit schon zurecht. Wirst schon sehen.« Lars lächelte, lächelte wie jemand, der mehr weiß. »Bei den SMS jedenfalls funktioniert es wie bei den anderen Systemen auch. Bei jeder SMS oder MMS werden Daten übertragen, an die sich unsere Bausteine dranhängen können. Und sobald alle drei Teile auf dem Handy oder Computer sind, dürften die Dinger bald hinüber sein.«

      »Und mit ihnen dieser ganze Prüfungsscheiß!«, freuten sie sich. Sie versandten in den folgenden zwei Stunden ihre drei Bausteine in drei verschiedenen Mails an Adressen ihres Gymnasiums.

      Der Hausmeister, wenn er nicht gerade vor einem kleinen Loch in der Wand zum Mädchenumkleideraum onanierte, verbrachte die meis te Zeit an seinem Netzwerk-PC auf der Suche nach neuen Pornowebs. Ungeahndet versteht sich, schließlich betreute er das Netzwerk der Schule. In die Betreffzeile schrieben sie Kostenlose XXX-Bilder auf Ihren PC und waren sich sicher, dass Hausmeister Seidel ihre Mail öffnen würde.

      Das zweite Steinchen bekam das Schulsekretariat. Frau Senkwitz, altjüngferlich bewachte sie ihren Direktor seit fast einem Jahrzehnt, erhielt an diesem Nachmittag eine Mail mit dem Betreff Persönlich! Nur von Direktor Grünninger zu lesen! Axel und Lars wussten, dass die Senkwitz diesem Verbot nicht würde widerstehen können. Sie würde ohne Zögern das Schreiben öffnen, sich über den Text (War schön gestern Abend!) wundern und dabei nicht bemerken, wie ein Winzling unbemerkt auf die Festplatte des Sekretariatscomputers klettert und sich häuslich einrichtet.

      Frau Senkwitz bemerkte nichts, Hausmeister Seidel war durch das Abbild einer netten Blondine abgelenkt, welches Axel und Lars ihrer Mail angehängt hatten und − welch Sieg! – ihren Informatiklehrer, der den dritten Baustein erhielt, überlisteten sie mit einem angeblichen Virenschutz-Update, hinter dem sich Teilchen Nummer drei verbarg.

      »Wenn alles klappt«, Axel ließ einen Streifen Kaugummi im Mund verschwinden »gibt es in genau vierzig Tagen keine einzige funktionstüchtige Festplatte mehr im Gymnasium.«

      »Voll fett!«, lobte Lars.

      Vierzig Tage später schwitzten beide über ihren Prüfungen. Alle Computer des Gymnasiums funktionierten einwandfrei. Die kleine Verstimmung zwischen Direktor Grünninger und seiner Sekretärin nach dem Mail hatte sich wieder gelegt. Hausmeister Seidel durchsuchte täglich sein Postfach nach weiteren kostenlosen XXX-Bildern und der Informatiklehrer hatte das Schreiben mit dem angeblichen Virenschutz-Update längst vergessen.

      »Weißt du, was wir falsch gemacht haben?« Axel zuckte missgelaunt mit den Achseln und kaute an seinem Stift. Die drei Bausteine waren ein Klacks gewesen, diese Prüfung aber war die totale Katastrophe.

      Es war nur ein kleiner Schreibfehler. Nein, nicht mal das war es; es war ein Nichts, eine Null. Als sie den Zeitzünder auf vierzig Tage programmierten, hatte sich ein kleines Nichts dazugesellt und wohlerzogen hinten angestellt. Vierhundert Tage.

      Ihre Mails hatten die Bausteine im Gymnasium abgeliefert und die drei Teilchen hatten sich wie befohlen eingenistet, vermehrt und ihre munteren Nachkommen an alles angehängt, was das Haus verließ. Frau Senkwitz verschickte bis zum Prüfungstag insgesamt 187 Mails an 59 verschiedene Adressaten und sie beschrieb sechzehn Daten-CDs für sich, den Direktor und drei der angestellten Lehrkörper. Sie erledigte wie gewohnt vom Sekretariat aus nicht nur die Bankgeschäfte des Gymnasiums, sondern, wenn man schon mal dabei war, auch gleich ihre eigenen bei der Konkurrenzbank. Ganz gerecht verschenkte sie somit an beide Unternehmen einen kleinen Untermieter, der allein am Folgetag 417 neue Abnehmer fand. Hausmeister Seidel hatte zwar nur vier Mails im selben Zeitraum verschickt, hinterließ die Bausteine aber in allen möglichen zweideutigen Chaträumen und im Adultbereich eindeutiger Websites, von wo aus sie reißenden Absatz fanden.

      Ihr Informatiklehrer arbeitete an einer Doktorarbeit zum Thema »Verlässlichkeit offener Computersysteme« und kommunizierte aus diesem Grund mit Fachleuten in ganz Deutschland, der Schweiz und Hongkong (wo der Virus sich bald in einem automatischen Mailverteiler wiederfand, der wöchentlich Interessierte in vierundzwanzig Ländern über den neuesten Stand der Virenabwehr informierte). Außerdem glich er regelmäßig seine Daten zwischen PC und Handy ab. In der Folge klammerte sich an jede seiner Telefonnachrichten ein kleiner Winzling und wartete anschließend geduldig in der Abgeschiedenheit der fremden Festplatte auf das Eintreffen von Komponente zwei und drei.

      Hätte alles nach den Plänen von Axel und Lars funktioniert und wäre der Virus am vierzigsten Tag aktiv geworden, hätte es im Gymnasium und den insgesamt fünfundachtzig Rechnern weltweit, auf denen inzwischen alle drei Komponenten eingetroffen waren, leere Festplatten gegeben. Einen Tag darauf hätte es weltweit VirenschutzUpdates gehagelt und nach einer Woche wäre ihr Dreiteiler einer von vielen in den Annalen der Virenabwehr geworden. Aber so warteten noch dreihundertsechzig Tage. Dreihundertsechzig leise Tage.

      Die wenigen User, die in den Folgemonaten den einen oder anderen Baustein auf ihrem Rechner entdeckten, konnten damit nichts anfangen und keine Gefahr erkennen. Ein sinnloses Dateifragment nur, ein Schnipsel – Abfall.

      Gemessen an den Maßstäben der Natur in puncto »Erfolgreiches Virus» war den beiden ein fast göttliches Projekt geglückt. Ihr Geschöpf breitete sich aus und nistete sich in jeden nur anbietenden Wirt ein. Dieser wiederum diente anschließend als Multiplikator. Ihr Virus arrangierte sich mit den diversen Systemen und Prozessoren, als sei dies die leichteste Aufgabe der Welt. Er passte sich den Gegebenheiten an, mutierte und eroberte die Welt der Bits und Bytes. Er erregte keinerlei Aufsehen, schlich sich ein, glich bei Ankunft seine innere Uhr mit der jeweiligen Rechnerzeit ab und stellte die Bombe, sobald die beiden fehlenden Freunde eintrafen, scharf. Lars kam die Idee mit der absoluten Zeit. »Jeder PC tickt etwas anders«, so sein Argument. b»Damit der ganze Laden vor den Prüfungen wirklich zum Stehen kommt, muss der Virus die Rechnerzeit mit seiner inneren Uhr vergleichen und danach den Countdown bis zum großen Knall berechnen. Somit gehen alle Computer am Prüfungsmorgen um sieben aus, egal welche Uhrzeit die auf ihren Rechnern eingestellt haben.«

      »Voll fett!«

      28. November des Vorjahres

      Die Virenkomponenten hatten einen fruchtbaren Mutterleib vorgefunden. Die Vernetzungen einer modernen Kommunikationsgesellschaft bildeten den ertragversprechenden Boden. Die drei Bauteile schwirrten einsam über die Datenautobahnen und bezogen jede nur erreichbare Festplatte. Welchem Zweck diese diente, war dabei völlig nebensächlich und so dauerte es nicht lange und in den meisten Computern, Handys, DVD-Rekordern und MP3-Playern auf jedem Kontinent war mindestens eines der drei Teile zu finden. Einmal angekommen, reproduzierten sie sich in jeden neu erstellten Datenträger, in jede versandte Nachricht. Und sie erwarteten das Eintreffen ihrer Geschwister, um mit diesen zu verschmelzen. Und die Wartezeiten auf einer neu erreichten Festplatte wurden für den Erstling immer kürzer. Sie waren dank ihrer Unvollkommenheit von keinem Virenscanner entdeckt worden, hatten sich in fast allen Privathaushalten eingenistet und schickten ihre Brut weiter hinaus in die Welt.

      Am 28. November des vergangenen Jahres gelang es dem ersten Baustein, auf der verbotenerweise mitgebrachten privaten CD von Paul-Werner Hagendorn, einem mittleren Bundesbeamten, die Tore des Bundesinnenministeriums zu passieren. Er hatte vor wenigen Wochen geheiratet. Komponente zwei und drei warteten damals bereits geraume Zeit auf seinem Computer. Von seiner Karibikkreuzfahrt, das Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern, hatten sie neben einem ordentlichen Sonnenbrand, der Erfahrung des ersten Ehekrachs und einigen unbedeutenden Souvenirs auch den fehlenden Baustein Numero eins mitgebracht. Der Service der Kreuzfahrtgesellschaft, ihren Kunden an Bord das Überspielen von digitalen Fotos auf eine DVD zu ermöglichen, hatte dieser Anfang August einen Virus eingebracht. Den verteilten sie fortan an Besucher aus der ganzen Welt, auch an Paul-Werner Hagendorn.

      Während die Kolleginnen und Kollegen nun über den gelungenen Hochzeitsbildern die Köpfe zusammensteckten, enterten die drei Teile den ersten Regierungscomputer. Ein reger Postverkehr via E-Mail und deutsche Gründlichkeit, die Kopien eines Vorganges an eine Unzahl angeblich Beteiligter verlangte, verhalfen den Komponenten zu einer raschen Verbreitung in allen

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