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man ihn wieder in das übelriechende Verlies zurück.

      Geschunden und zerschlagen lag er da und konnte sich nicht bewegen. Aus dem Funken Haß, den er anfangs verspürt hatte, war Glut geworden, dann ein Feuer und schließlich eine Feuersbrunst, die ihn fast selbst verzehrte.

      Er haßte alle, die Kadis, die Betrüger, die ihn um sein Vermögen gebracht hatten, und die Schergen und Wächter, die ihn alle Augenblicke einer erneuten Folterung unterwarfen.

      Er war drauf und dran, alles zuzugeben, damit diese fürchterlichen Torturen endlich ein Ende nahmen. Aber nahmen sie dann wirklich ein Ende? Er glaubte es nicht. Vielleicht würde dadurch alles nur noch schlimmer werden. Außerdem ließ sein Stolz nicht zu, sich selbst zu bezichtigen.

      Mit Schaudern dachte er daran, was ihm noch alles bevorstand – morgen, wenn sie ihn vor die große Kanone banden. Zumindest wird es schnell vorbei sein, überlegte er. Nach dem zweiten Gebet des Muezzin hatte alles ein Ende.

      Noch lange vor Morgengrauen erschienen sie wieder in seiner stinkenden Zelle. Sie nahmen ihm die Binde von den Augen, aber er sah trotzdem immer noch nichts. Er war auf eine weitere Folterung gefaßt. Doch sie schlugen ihn diesmal nicht.

      Statt dessen sagte einer: „Hast du schon gehört, Ali Mustafa? Die beiden Kadis haben dich begnadigt.“

      Natürlich hatte Ali das nicht gehört, woher sollte er auch! Er hatte auch nie damit gerechnet.

      „Begnadigt?“ sagte er mit schwerer Zunge. „Dann hat Allah Gerechtigkeit geübt?“

      „Ja, du wirst erst nach dem vierten Gebet des Muezzin vor die Kanone gebunden.“

      Die beiden lachten schrecklich laut, stießen ihn in die Brühe zurück und entfernten sich, immer noch lachend.

      Er war wieder allein mit der Dunkelheit, dem übelriechenden Wasser und den Ratten, die in seinem Verlies erschienen.

       2.

      Istanbul, vormals Konstantinopel, das antike Byzanz, das war der Orient in all seiner vielfältigen Pracht. Istanbul, an der südlichen Einmündung des Bosporus in das Marmarameer gelegen, war durch die Lage zwischen Europa, Asien, dem Mittelmeer und Schwarzen Meer ein Kreuzungspunkt wichtiger und alter Verkehrs- und Handelswege.

      In Istanbul ging einem so richtig „das Herz auf“, wie der Profos Edwin Carberry es formuliert hatte. Hier gab es alles, aber auch wirklich alles, was einen Seemann erfreuen konnte.

      So waren sie denn auch losgezogen, hatten sich zuerst Üsküdar auf der asiatischen Seite angesehen und waren Zeugen einer wilden Messerstecherei geworden. Danach hatten sie mit einer üblen Bande aufgeräumt, den Brüdern Porceddu.

      Heute war ein anderer Trupp der Arwenacks durch Istanbuls Stadtviertel unterwegs, um sich ausgiebig alles anzusehen, es waren der Kutscher, der Decksälteste Smoky, Luke Morgan, Jung Philip und der Profos Edwin Carberry.

      Sie waren von Sirkedschi herübergekommen, wo ihre Dubas lag, und befanden sich jetzt auf dem großen Basar. Etwas später sollte noch ein Abstecher zum Ägyptischen Basar folgen.

      Der Profos schritt mit einem solchen zufriedenen Gesichtsausdruck daher, wie sie es selten an ihm gesehen hatten. Der Kutscher lächelte heimlich über die Glückseligkeit in dem wilden und narbigen Gesicht, dem „lieben Ed“ schien es hier ausnehmend gut zu gefallen, aber das war schließlich kein Wunder, denn hier taten sich alle Schönheiten des Orients auf.

      Es gab Schleierladys, Bauchtänzerinnen, Gaukler, Bärenführer, Bratschenspieler, Goldschmiede, Händler und Marktschreier, daß es die reine Freude war.

      Immer wieder blieben sie fasziniert stehen und sahen sich alles genau an.

      „Wenn man bedenkt, was wir im Schwarzen Meer so alles versäumt haben“, sagte Carberry nachdenklich, „dann ist das hier eine ganze Menge, was einem geboten wird. Wir haben ja Zeit, also sehen wir uns alles in aller Ruhe und gründlich an. Wir können ja weiterschlendern, ein bißchen rumfressen, dann wieder ein kleines Schlückchen und so weiter, bis der Tag gelaufen ist.“

      Der Kutscher sah ganz dezent und „rein studienhalber“ einer Lady nach, die einen zartgrünen Schleier trug und ihm einen schmachtenden Blick schenkte. Der Blick aus kohlschwarzen Augen brannte sich sekundenlang in seine Augen. Daraufhin seufzte der Kutscher verhalten.

      Carberry grinste bis an die Ohren. Smoky und Luke Morgan starrten der Lady nach, und da begann auch Jung Philip zu grinsen.

      „Jaja, die Ladys“, sagte Carberry versonnen. „Da geht sogar dem braven Kutscherlein das Herz in Flammen auf.“

      „Mir geht gar nichts in Flammen auf“, verwahrte sich der Kutscher. „Ich pflege lediglich Land und Leute zu studieren, und wenn ich jemanden ansehe, dann geschieht das nur Interesse halber.“

      „Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos ernst. „Womit du also zugibst, daß du Interesse an der Lady hast. Na ja, das ist durchaus verständlich, sie ist wirklich verdammt hübsch. Du hättest ihr ein bißchen nachpfeifen sollen.“

      „Das ist Rabaukentum, von dem ich mich ganz entschieden distanziere. Man pfeift einer Lady nicht nach.“

      „Ich tue das immer“, versicherte Carberry. „Sonst dreht sie sich ja nicht mehr um.“

      „Sie wird sich nach einem Pfiff sowieso nicht umdrehen. Außerdem finde ich das geschmacklos.“

      Der Profos hatte schon Daumen und Zeigefinger im Mund und stieß einen Pfiff aus. Und wahrhaftig – die Lady drehte sich ganz langsam um, blieb stehen und warf aus ihren kohlschwarzen Augen einen Blick zurück.

      Der Kutscher, immerhin ein Mann von Welt, errötete leicht.

      „Siehst du“, sagte der Profos überlegen, „so geht das. Vielleicht funktioniert das in der feinen englischen Gesellschaft nicht so einfach, aber hier klappt das immer. Soll ich die Lady mal für dich anpreien?“

      „Himmel noch mal! Man preit keine Lady an, Ed. Untersteh dich!“

      Aber da war die Lady schon im Gewühl verschwunden und nicht mehr zu sehen, was der Profos lebhaft bedauerte.

      Luke Morgan hatte unterdessen sein Herz an etwas anderes verloren, und das betraf die türkischen Süßspeisen, denen er nicht widerstehen konnte. So stand er vor einer Bude und blickte begehrlich auf die Leckereien, die es da gab. Dabei schnüffelte er wie ein Jagdhund, der eine heiße Fährte entdeckt hat.

      „Einfach himmlisch, diese vielfältigen Gerüche des Orients“, begann er zu schwärmen. „Da kann man nicht dran vorbei. Dieser betörende Duft von Honig und Mandeln, Nüssen und Rosenwasser, dieses Aroma von Pistazien und glasierten Melonenscheiben. Ah!“ Er schnalzte mit der Zunge und kramte eifrig eine Silbermünze hervor.

      Sie blieben vor der Bude stehen, wo ein eifriger Händler mit einem kleinen Jungen zusammen leckere Sachen buk. Der Junge goß aus einer Schale zähflüssiges Zeug auf eine armlange Holzgabel und drehte sie dann eifrig.

      Luke stand mit offenem Mund daneben und sah zu, wie sich die dunklen Fäden zu einem Gespinst zusammenwanden.

      „Sieht fast aus wie der Bart vom Wikinger“, meinte er, weil er keinen besseren Vergleich fand. „Kann man das essen?“

      Der Händler radebrechte, daß man das durchaus essen könne. Es sei eine Spezialität, genau wie die kandierten und gebrannten Mandeln, die so verlockend dufteten.

      Etwas später hatte Luke ein gewaltiges Ding in der Hand, das noch größer und mächtiger als der Bart des Wikingers war. Dann zupfte er zaghaft mit den Zähnen daran herum.

      Der Profos sah interessiert zu, wie sich der braune Kleister langsam wieder in seine einzelnen Fäden auflöste und zerrann. Das klebrige Zeug blieb in Lukes Gesicht hängen und pappte fest. Gleichzeitig auch löste sich die kandierte Schicht der gebrannten Mandeln langsam auf, und wenn Luke in die Hosentasche griff, dann klebten ihm sämtliche Finger zusammen, daß er sie kaum noch

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