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Ribault, Old O’Flynn, Oliver O’Brien, Don Juan de Alcazar und Renke Eggens hatten sich abgesondert. Mit Leinen, Fackeln und Laternen ausgerüstet, begaben sie sich unter der Führung des Alten zu der Tropfsteinhöhle. Sie wollten sie jetzt gründlich inspizieren.

      Als auslösender Impuls für dieses Vorhaben hatte Jean Ribaults Idee gewirkt. Am Abend hatte er sie am Lagerfeuer verkündet. Die Höhle war riesig und weit verzweigt wie ein gigantisches Labyrinth. War sie nicht der ideale Platz für die Schatzbeute des Bundes der Korsaren?

      Schon jetzt bot sich an, dort die Schätze der Caspicara-Flores-Bande zu verstecken, die sich an Bord der „Golden Hen“ befanden. Und spätere Beute würde hier ebenfalls an einem sicheren Platz liegen, den niemand außer ihnen kannte.

      Die Männer waren sich darüber einig, daß diese Idee wirklich nicht schlecht war. Man mußte ja bedenken, daß Old O’Flynn aus reinem Zufall in eine Art Loch getreten und in die Höhle hinuntergesaust war.

      Old O’Flynn fand das Loch als erster wieder. Es war von Buschwerk getarnt und zum Teil von Flugsand verweht gewesen.

      „Aber ausgerechnet ich mußte in das Loch treten“, sagte er mit einem schiefen Grinsen. „Das liegt daran, daß die Geister hinter mir her sind.“

      „Was wollen die denn von dir?“ fragte O’Brien.

      „Na, mich abmurksen natürlich.“

      „Seilen wir uns erst mal ab“, schlug Jean Ribault vor. „Dann können wir immer noch über Geister, Kobolde und ähnliche Kameraden diskutieren.“

      Wenig später sahen sie sich in dem Höhlenlabyrinth um.

      „Wo sind denn die Männchen mit den Kalbsköpfen und den langen Giftzähnen?“ wollte Renke Eggens wissen. „Ich sehe sie nicht.“

      „Paß auf, daß sie dir nicht in den Hals beißen“, brummte der Alte.

      Don Juan hielt eine der Fackeln in der Hand, die sie entfacht hatten. Er sah sich aufmerksam nach allen Seiten um und gab sich keine Mühe, sein Staunen zu verhüllen.

      „Das ist wirklich faszinierend“, sagte er. „Eine unterirdische Welt! Wer hätte das gedacht?“

      „Ich bestimmt nicht“, erwiderte Old O’Flynn. „Und ich möchte hier nicht noch mal allein herumirren, das schwöre ich euch.“

      „Das verlangt auch niemand von dir“, sagte O’Brien trocken.

      „Kein Fremder wird unter den Dünen dieser Halbinsel, die die Cherokee-Bucht abschirmt, eine Höhle vermuten“, sagte Jean Ribault nach eingehender Untersuchung ihrer bizarren, rätselhaft anmutenden Umgebung.

      „Vorausgesetzt, man hinterläßt keine Spuren und der Eingang bleibt hervorragend getarnt“, sagte Renke Eggens. „Das ist das Allerwichtigste.“

      „Ja“, pflichtete Don Juan ihnen bei. „Doch dafür werden wir schon sorgen, nicht wahr?“ Er ging ein Stück weiter und beugte sich über einen der Tropfsteine, der die Form eines gewaltigen Kegels hatte. Das Licht der Fackel wurde von dem Gebilde in verschiedenen Farbtönen reflektiert: rosa, orange und milchig-rot. In anderen Bereichen der Kaverne wiederum schimmerten violette, blaue und grüne Töne. Es war ein verwirrendes Kaleidoskop.

       2.

      Von beeindruckender Schönheit war die Tropfsteinhöhle im Licht der Laternen und Fackeln, auch für Jean Ribault und Old Donegal, die sie ja bereits kannten.

      Ribault trat zu Don Juan und sagte: „Die Welt ist voller Wunder, nicht wahr?“

      „Ja“, erwiderte Don Juan und schaute ihn nachdenklich an. „Aber was weißt du über die Entstehung dieser eigenartigen Gebilde?“

      „Sicher nicht mehr als du, Juan.“

      „Die Wissenschaft ist sich noch nicht schlüssig, wie das seltsame Gestein entsteht“, entgegnete der Spanier. „Aber ich glaube, unsere Gelehrten vergleichen sie mit Eiszapfen.“

      „So kalt ist es hier doch gar nicht“, sagte Old O’Flynn. „Da komme ich nicht ganz mit. Das Zeug müßte doch längst geschmolzen sein.“

      „Nein, das trifft nicht zu“, sagte O’Brien. „Die Tropfen fallen von oben herunter und müssen Kalk oder winziges Gestein oder so was Ähnliches enthalten, das sich allmählich auf dem Boden aufschichtet.“ Er deutete zunächst auf die Stalaktiten, die von der Höhlendecke herunterhingen, dann auf die Stalagmiten, die den oberen Zapfen entgegenwuchsen.

      „Genau das meinte ich eben“, sagte Don Juan. „Es gibt Abtropfsteine und Auftropfsteine. Sie sind Gestein, kein Eis, Donegal, aber das Prinzip entspricht im Grunde dem von Eiszapfen.“

      „Na ja, meinetwegen“, brummte der Alte. „Mir ist das ziemlich egal, ich will Mary schließlich keinen Vortrag darüber halten.“

      „Dazu würde ich dir auch nicht raten“, sagte Ribault mit dem süffisantesten Grinsen, das er aufzusetzen vermochte. „Mary ist jetzt ein bißchen nervös. Ich glaube, sie verträgt es nicht, wenn man ihr mit komischen Sprüchen kommt.“

      „Fängst du schon wieder an?“ fragte der Alte giftig.

      „Nein. Ich habe nur etwas festgestellt.“

      Old O’Flynn sah ihn drohend an. „Um meine Privatangelegenheiten kümmere ich mich selbst, verstanden? Ich habe es nicht gern, wenn man sich da einmischt.“

      „Hör doch auf, Donegal“, sagte O’Brien. „Sei lieber froh, daß Jean und Martin dich aus der Höhle hier abgeborgen haben. Du würdest sonst wohl immer noch hier liegen.“

      „Oder die Geister hätten dich aufgefressen“, sagte Renke Eggens.

      „Schon gut, schon gut“, sagte Old O’Flynn. „Das genügt. Sind wir hier, um die Scheißhöhle zu untersuchen oder um dummes Zeug zu reden?“

      „Bleiben wir bei der wissenschaftlichen Seite“, sagte Don Juan. Er wies auf die mächtigen Säulen ganz am Ende der Kaverne, die wie eine phantastische Orgel wirkten. „Die Kegel wachsen sich also entgegen“, fuhr er fort. „Und nach unendlich langer Zeit verbinden sie sich zu Säulen. Ich stimme mit dir überein, Oliver – die Tropfen enthalten einen Stoff, der sich ablagert und verfestigt.“

      „Ja“, sagte Ribault. „Und wie wäre es, wenn wir jetzt ein Stück weiter vordringen würden?“

      „Einverstanden“, erwiderte Renke Eggens. „Aber wir müssen ein Zeichen zurücklassen, um den Eingang wiederzufinden, sonst verlieren wir uns in dem Irrgarten.“

      „Daran habe ich gedacht“, sagte Old O’Flynn. Er brachte eine Fadenrolle zum Vorschein, die er mitgenommen hatte. „Wir spulen den Faden ab. Auf dem Rückweg brauchen wir ihm nur zu folgen, und wir finden das Loch wieder.“ Er schaute zu dem Eingangsloch auf. „Verdammt steil übrigens, das Ganze. Aber bequemer geht’s eben nicht.“

      „Ausgezeichnet, Donegal“, sagte O’Brien. „Du weißt ja selbst am besten, wie leicht man sich hier unten verirren kann.“

      „Ja. Also, was ist? Gehen wir nun weiter oder nicht?“ Old Donegal wurde allmählich ungeduldig.

      Täuschte er sich, oder war da wirklich das feine Wispern von Geistern zu hören, die sich kichernd über ihn unterhielten? Er hütete sich, darüber zu sprechen. Die anderen hätten ihn ja doch nur ausgelacht. Aber ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn doch, wie so oft, wenn er es mit „übersinnlichen Erscheinungen“ zu tun hatte.

      Jean Ribault setzte sich mit einer Laterne an die Spitze des kleinen Trupps. Don Juan folgte ihm mit der einen Fackel, dann schlossen die anderen auf, ebenfalls mit Fackeln und Öllampen ausgerüstet. Old O’Flynn ging am Schluß. Immer wieder schaute er sich besorgt um. Doch von den Gespenstern, die er überall vermutete, ließ sich kein einziges blicken.

      Jetzt, bei Licht, wurde erst

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