Скачать книгу

in der Faust stand er im Kombüsenschott und riß die Augen auf. In seinem Allerheiligsten sah es aus, als hätte eine Horde Gorillas mit einem Elefanten gekämpft, daher war ihm im Eifer des Gefechts entgangen, was sich inzwischen abgespielt hatte. Jetzt starrte er verblüfft auf die Szene, wollte sich am Kopf kratzen und schlug sich dabei fast selbst die Bratpfanne um die Ohren.

      „Klapp den Mund zu, bevor du dir den Gehirnkasten erkältest“, knurrte Carberry. „Der Kerl hier hat den Sturm in ’ner Nußschale abgeritten. Sieh nach, was die Wasserhose von ihm übriggelassen hat, aber ein bißchen plötzlich.“

      Normalerweise war der Kutscher nicht auf den Mund gefallen, auch wenn er sich gelegentlich etwas gewählter ausdrückte als die anderen. Dem Arzt Sir Freemont aus Plymouth, bei dem er Kutscher gewesen war, bevor ihn eine Preßgang auf Francis Drakes „Marygold“ verschleppte, hatte er nicht nur einiges über die Wundbehandlung, sondern auch feine Manieren abgeschaut, die er dann allerdings rasch vergaß, weil sie nicht recht für salzgewässerte Schiffsplanken taugten. Jetzt besann er sich sichtlich auf seine Würde als höchste medizinische Instanz an Bord. Wo es darum ging, Blessuren zusammenzuflicken und Halbtote wieder auf die Beine zu bringen, da hatte er das Sagen – und da mußte notfalls sogar der eiserne Profos den Mund halten.

      Der Kutscher besah sich die reglose, ins Leere starrende Elendsgestalt am Schanzkleid und gab nicht zu erkennen, daß auch ihm die Totenkopf-Physiognomie des Burschen unheimlich war.

      „Hol mal die Rumflasche und den kleinen braunen Lederbeutel aus der Kombüse, Ed“, sagte er sanft. „Und bring auch gleich eine Muck mit, ja?“

      „Du hast wohl einen Furz im Hirn, du …“

      „Ed!“ sagte Hasard nur.

      Der Profos schnaufte erbittert. Immerhin sah er ein, daß der Umgang mit der Rumbuddel aus den Geheimvorräten des Kutschers eine verantwortungsvolle Aufgabe war, die durchaus der moralischen Standfestigkeit des Zuchtmeisters bedurfte. Mindestens ein halbes Dutzend Männer hatten sich schon gestrafft, um sich freiwillig zu melden, Garantiert in der edelmütigen Absicht, die Qualität des Rums zu prüfen, bevor man den bedauernswerten Schiffbrüchigen damit traktierte.

      Ed Carberry hielt das ebenfalls für eine ausgezeichnete Idee. Allerdings konnte er sie jetzt nicht mehr reinen Gewissens in die Tat umsetzen, da er sich sozusagen selbst durchschaut hatte. Fluchend und brummend verschwand er in der Kombüse, während der Kutscher neben dem Schiffbrüchigen niederkniete und ihn leicht an der Schulter rüttelte.

      Der Mann reagierte nicht.

      Seine dunklen, brennenden Augen waren weit aufgerissen, der seltsam starre Blick schien durch alles hindurchzugehen. Dicht vor diesen unheimlichen Augen schnippte der Kutscher mit den Fingern und nickte nachdenklich, als sich die Pupillen sekundenlang verengten.

      „Blind ist er nicht“, stellte er fest, „aber halb verdurstet. Wahrscheinlich hat ihn die Sonne verrückt gemacht.“

      „Du meinst, er hat den Verstand verloren?“

      Der Kutscher nickte zögernd. Hasard starrte in das ausgemergelte Gesicht, dessen verbrannte Haut sich wie dunkles, brüchiges Pergament über den Knochen spannte. Der Mann starrte ins Leere. Und da die tiefe rote Narbe seine Oberlippe nach oben zog und die Zähne freilegte, sah es aus, als liege auf seinen Zügen ein ständiges teuflisches Grinsen, das der völlige Mangel an Ausdruck um so unheimlicher wirken ließ.

      „Ein Jonas!“ flüsterte Blacky schauernd.

      Hasard fuhr herum. Er sah gerade noch, wie sich Smoky, Decksältester und abergläubischster Mann der Crew, verstohlen bekreuzigte. Old Donegal Daniel O’Flynn spuckte über die Schulter und scharrte angelegentlich mit seinem Holzbein, als er den Blick des Seewolfs spürte. In Hasard war schlagartig wieder die Erinnerung an den Ärger mit dem unheimlichen „Jonas“ in der Karibik wachgeworden, und der Gedanke, daß ihnen etwas Ähnliches bevorstehen könne, ließ seine eisblauen Augen gefährlich glitzern.

      „Blacky, Smoky“, sagte er scharf. „Wenn ich noch einmal das Wort Jonas höre, wird der Bursche tatsächlich Unglück bringen. Nämlich demjenigen, der sein Maul aufgerissen hat. Verstanden?“

      „Aye, aye, Sir“, sagte Blacky.

      „Aye, aye, Sir“, sagte Smoky.

      „Aye, aye“, murmelte Old O’Flynn, der zwar nicht angesprochen worden war, aber aus Erfahrung wußte, daß man bei dem gewissen scharfen Tonfall in der Stimme des Seewolfs nicht vorsichtig genug sein konnte.

      „Wer quasselt da was von Jonas?“ erkundigte sich Ed Carberry, der eben im Kombüsenschott auftauchte und nur die Hälfte gehört hatte.

      „Niemand, Ed“, sagte Hasard.

      Aber er sagte es so, daß der eiserne Profos lieber darauf verzichtete, lauthals zu verkünden, daß er, verdammt noch eins, schließlich gesunde Ohren habe.

      Der Kutscher flößte dem Schiffbrüchigen erst eine Muck Trinkwasser und dann einen kräftigen Schluck Rum ein. Anschließend stellte er fest, daß die Kopfwunde schon hinreichend vom Salzwasser des Pazifiks desinfiziert sei, und murmelte etwas von „Kreislauf“ und „Blut in Wallung bringen“.

      Ein paar von den Männern begannen an ihrem Weltbild zu zweifeln, als sie sahen, wie der Kutscher einen alten Lappen mit Rum tränkte und den starren Körper des Schiffbrüchigen damit abrieb. Die Reaktion war gleich Null. Sträfliche Verschwendung, ließ sich von den Gesichtern der Männer ablesen. Aber im Augenblick verspürte niemand Lust, das laut zu sagen.

      Der Kutscher erklärte, daß der Unbekannte vorerst nichts weiter als Ruhe, Schatten und kräftiges Essen brauche.

      Das alles konnte er ohne viel Aufwand kriegen. Er wurde auf eine Persenning im Schatten des Achterkastells gebettet, und für den Rest des Tages hatten die Seewölfe keine Zeit mehr, sich um ihn zu kümmern.

      Die Wasserhose hatte auf der „Isabella“ eine ganze Menge zerschlagen.

      Eine neue Fockmarsrah mußte geriggt, das Steuerbord-Hauptwant repariert, haufenweise Tauwerk gespleißt und ein neues Fockmarssegel angeschlagen werden. Will Thorne, der Segelmacher, war pausenlos beschäftigt, ebenso wie der Schiffszimmermann und der Stückmeister, der dafür zu sorgen hatte, daß die „Isabella“ wieder gefechtsklar wurde. Die Männer schufteten in der Hitze des tropischen Nachmittags, lenzten den achteren Laderaum leer, klarten auf, überprüften jede Planke, jeden Bolzen, jedes Bändsel, und der Profos tobte von einem Ende des Schiffs zum anderen und drohte jedem mit Kielholen, Hautabziehen und Ander-Rahnock-hängen, der es auch nur wagte, mal den Kopf zu heben.

      Die Dämmerung brach plötzlich herein, wie immer in den Tropen.

      Es hatte aufgebrist, die „Isabella“ lief wieder Fahrt. Immer noch war von dem Schwarzen Segler Siri-Tongs nichts zu sehen, aber Hasard wußte, daß der Viermaster rasch wieder aufsegeln würde. Stetig glitt die „Isabella“ nach Westen.

      Den ausgemergelten Schiffbrüchigen, der im Schatten des Achterkastells kauerte, hatten die Seewölfe fast vergessen.

      Als er sich wieder in Erinnerung brachte, hockte der Schiffsjunge Bill gerade im Licht einer Schiffslaterne auf der Kuhl und sah dem Segelmacher über die Schulter, um die Bootsmanns-Naht zu lernen.

      Der weißhaarige Will Thorne zuckte leicht zusammen, als er den Schatten bemerkte, der plötzlich neben dem Niedergang hochschnellte.

      Auch Hasard hatte die Bewegung gesehen. Er lehnte an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und blickte aus zusammengekniffenen Augen zu dem Fremden hinunter. Bisher hatte der Mann an seinem Platz gekauert, als sei er zu Stein erstarrt, jetzt atmete er heftig. Seine Brust hob und senkte sich rasch, die Hände mit den langen, dürren Fingern zuckten unruhig.

      Er flüsterte etwas.

      Ein einzelnes Wort, das er zwei-, dreimal wiederholte. Ein Name, wie der Seewolf zu verstehen glaubte.

      „Morro“, krächzte die dünne, brüchige Stimme. „Morro – Morro …“

      Und dann, mit erschreckender

Скачать книгу