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Hängen sollst du! Hängen, hängen, hängen …“

      Seine Stimme überschlug sich und kreischte in schrillem Falsett.

      Wie von einem Katapult abgeschnellt raste er los, quer über die Kuhl. Ganz offensichtlich hatte er vor, über Bord zu springen.

      Bill und der alte Segelmacher waren wie gelähmt.

      Hasard reagierte sofort und wollte sich mit einem Satz über die Schmuckbalustrade schwingen, aber da sprangen bereits die Männer auf, die vor den Speigatten gehockt und Tauwerk gepleißt hatten. Mit vier, fünf Schritten erreichte der drahtige, flinke Sam Roscill den Schiffbrüchigen – und torkelte im nächsten Moment zurück, als die ausgemergelte Elendsgestalt ihn unversehens mit einem wilden Schwinger erwischte.

      Viel Dampf saß nicht dahinter, aber der Schlag erfolgte so überraschend, daß sich Sam. Roscill auf den Planken überschlug.

      „Hiergeblieben!“ rief Ed Carberry, der von der anderen Seite heranfegte. Seine riesige Pranke schoß vor und packte den Unbekannten am Kragen. Der Mann kreischte. Sam Roscill sprang auf, fauchend vor Wut, und wollte sich auf den Mann stürzen.

      Matt Davies streckte nur mal eben die Rechte aus. Roscill schrie wütend auf, als er plötzlich am Haken des Einarmigen festhing. Die anderen wollten sich ausschütten vor Lachen. Sam Roscill wollte etwas ganz anderes, nämlich Matt Davies an die Kehle fahren. Aber im nächsten Augenblick vergaß er seine Absicht, denn da begann der Schiffbrüchige in Carberrys Griff zu toben wie ein rasender Derwisch.

      Er schrie, spuckte, geiferte und sprudelte einen Schwall von unverständlichen Worten hervor, während seine Augen im Wahnsinn glühten. Blindlings schlug er um sich, bäumte sich auf, versuchte zu kratzen und zu beißen. Ed Carberry, der dem armen Kerl nicht ernsthaft wehtun wollte, vermochte ihn kaum zu bändigen. Mit der ausgestreckten Faust hielt er ihn am Kragen, und immer noch kreischte die heisere Greisenstimme Flüche und Verwünschungen.

      „Verrat“, war zu verstehen. „Meuterei – Mordsgesindel – Rache …“

      In wilder Wut drohte der Verrückte, irgendwelche Verräter aufhängen zu lassen, und kreischte immer wieder, daß der Tag der Rache kommen und er, der Kapitän, blutiges Gericht halten werde. Inzwischen war auch der Rest der Crew an Deck erschienen und starrte auf die makabre Szene. Zumindest diejenigen unter den rauhen Kerlen, die ohnehin an Wassermänner, Geisterschiffe, Unglücksboten und ähnlichen Spuk glaubten, wurden etwas blaß um die Nasen.

      Carberry gehörte auch nicht zu denen, die etwa am Mast gekratzt oder vor sich hin gepfiffen hätten, da man schließlich wußte, daß so etwas den Sturm anlockte. Aber im Augenblick erschien ihm der tobende, geifernde, um sich schlagende Kerl in seinem Griff viel zu real, um ihn unheimlich zu finden. Nach dem zweiten Nasenstüber war es der Profos leid.

      „Na warte, du Affenarsch!“ sagte er erbittert, und dann begann er, den Tobsüchtigen wie einen nassen Lappen zu schütteln.

      Schlimmer hätte es dem Burschen auch nicht ergehen können, wenn er ins Zentrum der Wasserhose geraten wäre.

      Er beruhigte sich sehr schnell.

      Das heißt: er verlor das halbe Bewußtsein, und Carberrys kräftige Fäuste schienen die Erinnerungsfetzen in seinem Hirn dermaßen durcheinanderzuschütteln, daß er auch die „Verräter“ und den „Tag der Rache“ vergaß. Er fiel in sich zusammen. Als der Profos ihn mit einem ärgerlichen Brummen wieder auf die Persenning neben dem Niedergang setzte, ließ er den Kopf auf die Knie sinken und rührte sich nicht mehr.

      Carberry rieb sich über sein Rammkinn und blickte zum Achterkastell hoch.

      „Der Idiot wollte über Bord springen“, entschuldigte er sich. „Sollte ich ihm vielleicht zu seinem eigenen Besten noch eins auf seinen verlausten Schädel plätten?“

      „Wo soll der denn Läuse haben?“ fragte Dan O’Flynn grinsend. „Der ist doch so kahl wie …“

      „Halt deinen vorlauten Mund, sonst bist du auch gleich kahl“, schnauzte der Profos. „Weil ich dir nämlich die Haare einzeln ausreiße, du grüner Hering! Aber im Ernst: man sollte den Kerl vielleicht anbinden.“

      „Laßt ihn in Ruhe“, beendete Hasard die Diskussion. „Dan – ab in den Großmars! Wenn wir Thorfin und Siri-Tong nicht bald sichten, werden wir Segel wegnehmen müssen.“

      Dan O’Flynn enterte wieder auf.

      Stille senkte sich über die Decks. Nur Sir John, der Papagei, hockte auf der Nock der Großrah, plusterte sein leuchtendes Gefieder auf und übte sich darin, die dünne, heisere Fistelstimme des Schiffbrüchigen nachzuahmen, die ihm offenbar sehr imponiert hatte.

      „Meuterei!“ krächzte er. „Verrat – Verrat …“

      2.

      „Land ho! Land Steuerbord voraus! Vier Strich vorlicher als dwars!“

      Bob Grey war es, der Dan O’Flynn im Ausguck abgelöst hatte. Die Sonne strahlte von einem blaugrauen Himmel, den die wachsende Tageshitze mit opalisierenden Schleiern überzog. Auf dem Achterkastell zog Hasard die Brauen zusammen. Er wußte, daß die Seekarten keine Inseln in diesem Gebiet verzeichneten. Aber andererseits war jetzt, um drei Glasen der Morgenwache, die Hitze noch nicht so groß, daß die flimmernde Luft Spiegelungen hätte hervorbringen können.

      Am Steuerbord-Schanzkleid zog Hasard das Spektiv auseinander. Ruhig schwenkte er die Kimm ab, dann nahm er die Unterlippe zwischen die Zähne, als er den dunklen, verschwimmenden Flecken erkannte. Eine Insel, in der Tat. Er sah den kegelförmigen Buckel einer Anhöhe und einen dünnen weißen Streifen, wo sich die anrollenden Wogen vor dem Riff brachen. Der Kurs der „Isabella“ würde dicht an dem unbekannten Eiland vorbeiführen, das keine Seekarte verzeichnete.

      Bei vier Glasen waren bereits Einzelheiten zu erkennen.

      Da war ein geschwungener Strandstreifen, dem die fein zermahlenen Korallen einen rosafarbenen Schimmer verliehen. Sie entdeckten schlanke Palmen, die roten Felsen des Riffs, das das stille dunkelblaue Auge der Lagune einschloß, und das Wrack, das irgendwann einmal an diesem Riff gescheitert war.

      Hasard blickte durch das Spektiv und betrachtete die kläglichen Reste, die einmal zu einer stolzen, ranken Karavelle gehört haben mußten. Eine spanische Karavelle? Der Seewolf runzelte die Stirn. Er wußte, daß es Spanier in der Südsee gab, wenn sie diesem Gebiet auch nur wenig Aufmerksamkeit schenkten, da es bei den polynesischen Eingeborenen kaum etwas zu räubern und zusammenzuraffen gab.

      Die Karavelle mochte zu einem Geleitzug gehört haben. Oder zu einem Verband, der nach Westen segelte, um Neuland zu entdecken. Sehr lange konnte sie noch nicht auf dem Riff liegen, das war am Zustand der zerfetzten Segel und des unentwirrbar verknäulten Tauwerks zu erkennen. Der Aufprall hatte das Schiff in der Mitte auseinanderbrechen lassen. In der Lagune schwammen noch ein paar Trümmer, den Rest hatte die See mitgenommen.

      Hasard zuckte unbewußt mit den Schultern. Für seine Begriffe sah es nicht so aus, als könne irgend jemand die Katastrophe überlebt haben.

      Oder doch?

      Unwillkürlich war der Blick des Seewolfs zu der ausgemergelten Gestalt neben dem Niedergang gewandert. Jetzt sah er, daß sich der Unbekannte aufgerichtet hatte. Er schwankte und hielt sich offenbar nur mühsam auf den Beinen. Wie von einem Magneten angezogen taumelte er nach Steuerbord, klammerte die Fäuste um das Schanzkleid und starrte zu dem Wrack hinüber.

      Hasard konnte sein Gesicht nicht sehen, aber in der ganzen Haltung des Unbekannten lag stumme, angespannte Erregung, eine Erregung, die deutlich von ihm ausstrahlte und sich auf das Wrack dort drüben bezog. Der Fremde kannte das Schiff. Sein Schiff vermutlich, von dem er versucht hatte, sich mit dem kleinen Boot zu retten.

      Oder von dessen Mannschaft er in der Nußschale ausgesetzt worden war, vollendete Hasard in Gedanken.

      Die Worte des Unbekannten klangen ihm noch in den Ohren, das Geschrei von Meuterei und Verrätern und Rache. Wenn der Fremde den Schiffbruch

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