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der Freude über den ersten Erfolg gegen die Spanier einen Dämpfer aufgesetzt zu haben.

      „Lange Gesichter?“ sagte Old O’Flynn betroffen. „Hölle, was ist denn jetzt passiert?“

      Als die Boote landeten, stieg er als erster aus und marschierte auf die Wartenden zu. Seine Männer und die Zwillinge folgten ihm, auch Plymmie tobte über den Strand. Renkes Crew erschien komplett, und alle vernahmen, wie Jerry Reeves gerade sagte: „Es hat keinen Zweck gehabt, nach ihm zu suchen. Alles sinnlos.“

      „Von wem ist die Rede?“ fragte Old O’Flynn.

      Arkana wandte sich langsam zu ihm um. Ihr Blick fiel auf die Zwillinge, dann sah sie wieder dem Alten in das verkniffene, runzlige Gesicht. „Das erklären wir dir gleich noch. Sonst scheint alles gut verlaufen zu sein. Welche Meldungen habt ihr?“

      „Die Dons haben den Schwanz eingekniffen und sich in eine Bucht am Ostufer von Grand Turk zurückgezogen“, erwiderte der Alte. „Aber jetzt mal raus mit der Sprache. Was wollt ihr uns verheimlichen?“

      Die Zwillinge waren rechts und links neben ihm, und Philip junior sagte: „Arkana, es ist deine Pflicht, uns zu informieren. Was ist los? Hat es – Tote gegeben?“

      „Nein. Nur Ben Brighton hat eine Kopfverletzung.“

      „Und unser Vater?“ fragte Hasard junior. „Ist er wohlauf?“

      Sie biß sich auf die Unterlippe, aber dann sah sie ihn doch voll an und antwortete: „Er ist im Gefecht außenbords geflogen und wird vermißt.“

      „Vermißt?“ murmelte Philip entsetzt.

      Sein Bruder sprach kein Wort ehr. Beide waren sie wie versteinert und blickten starr geradeaus. Sie bissen die Zähne zusammen. Die Nachricht traf sie wie ein Hieb, aber sie versuchten, sie zu verarbeiten. Der Seewolf vermißt – das bedeutete Schlimmes. Tot – sonst wäre er längst wieder aufgetaucht. War er ertrunken? Allein die Vorstellung war entsetzlich. Aber Philip und Hasard zeigte keine Tränen.

      Arkana trat auf sie zu. „Ihr wißt ja nicht, wie leid mir das tut“, sagte sie. „Aber ihr werdet sehen, es wird alles wieder gut. Er hat sich irgendwo festklammern können, hat sich gerettet und befindet sich jetzt vielleicht schon auf dem Weg zu uns.“

      Sie wollte nach Hasards Arm greifen, aber der Junge wandte sich fast kalt von ihr ab.

      Philip sah sie an und erklärte: „Du brauchst so was nicht zu sagen, Arkana. Wir werden auch so damit fertig. Wir sind keine Kinder mehr. Und wir wollen keinen Trost, verstehst du?“

      „Ja. In Ordnung.“

      „Das sehen wir ein“, sagte Reeves. „Aber ihr sollt wissen, daß wir genauso empfinden wie ihr. Euer Schmerz ist auch unser Schmerz.“

      „Das brauchst du nicht hervorzuheben“, sagte Hasard leise, aber klar und deutlich. „Das wissen wir selber. Aber wo ist die ‚Isabella‘?“

      „Sie muß bald eintreffen“, erwiderte Reeves. „Sie segelt jetzt unter dem Kommando von Dan, weil Ben im Moment nicht einsatzfähig ist.“

      „Und die anderen?“ fragte Philip. „Das Schwarze Schiff, die ‚Queen‘ und die ‚Pommern‘? Was ist mit ihnen?“

      „Sie kehren ebenfalls zurück“, entgegnete Reeves, dann berichtete er hoch einmal, was er bereits den Verteidigern der Insel geschildert hatte: wie sich der erste Kampf gegen den Kriegsverband abgespielt hatte, was sich an Bord der einzelnen Schiffe ereignet hatte und wieso die Schiffe der Schlangen-Insel den Verband im Nebel zunächst nicht gesichtet hatten, wie sie dann aber umgekehrt waren und ihn verfolgt hatten.

      „Und wo sind Arne und Jörgen?“ wollte Hasard junior mit einem Blick zu Don Juan wissen. Absichtlich stellte er die Frage auf spanisch.

      „Sie sind nach Havanna zurückgekehrt“, erwiderte der Spanier ernst. „Das erschien uns klüger, weil Arne dort um jeden Preis die Stellung des Handelshauses halten soll. Es ist eine Strategisch wichtige Position, und viel zu leicht hätte es passieren können, daß die Männer an Bord der Kriegsschiffe Arne und Jörgen erkannt hätten. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, daß sich Don Antonio an Bord der ‚San José‘ befindet.“

      „Der Teufel soll ihn holen“, sagte Old O’Flynn. „Hoffentlich ist er schon verreckt, von einem Pfeil oder einem Splitter getroffen. Verdammt und zugenäht, was tun wir jetzt? Wo sollen wir nach Hasard suchen?“

      Philip hörte schon nicht mehr hin, er wandte sich ab und trat mit Hasard an den Rand des Ufers. Alle sahen ihnen nach, und Arkana wollte ihnen nacheilen, wurde aber von dem alten O’Flynn zurückgehalten.

      „Laß sie in Ruhe“, sagte er leise. „Sie wollen jetzt allein sein. Sie müssen das schlucken, aber sie schaffen es, das schwöre ich dir.“

      „Aber sie tun mir trotzdem leid“, sagte Arkana traurig.

      „Klar. Aber vergiß eins nicht.“

      „Daß sie keine Kinder mehr sind?“

      „Ja. Sie sind im November 1580 geboren.“

      „Sie sind jetzt fast vierzehn“, sagte Karl von Hutten, der zu ihnen trat. „Das sollte man wirklich nicht vergessen. Ich weiß, was du sagen willst, Arkana. Daß sie trotzdem noch schutzbedürftig sind. Aber du irrst dich.“

      „Ja, sie sind den Kinderschuhen längst entwachsen“, pflichtete der Alte ihm bei. „Sie sind viel erwachsener, als du denkst.“

      Philip und Hasard blickten stumm auf das Wasser der Bucht und die vor Anker liegenden Schiffe. Das Bild ihres Vaters tauchte vor ihrem geistigen Auge auf, und noch einmal schienen sie all das nachzuvollziehen, was sie an Bord der „Isabella VIII.“ und der „Isabella IX.“ erlebt hatten.

      Diese Erfahrungen und Abenteuer, Entbehrungen und Strapazen hatten sie vieles gelehrt, sie waren die beste Schule des Lebens für sie gewesen. Sie waren reifer und vielleicht sogar auch schon männlicher als andere Jungen ihres Alters. Sie konnten kämpfen, kannten sich hervorragend in der Seemannschaft aus und hatten beide einen bereits fest und vollendet geformten Charakter. Sie wußten, daß es im Leben nicht nur Erfolge und Höhepunkte gab. Sie hatten es gelernt, Nackenhiebe und Tiefschläge einzustecken. Mit allem mußte man fertig werden, es gab keinen anderen Weg.

      „Himmel, warum mußte das passieren?“ fragte Hasard leise.

      „Er hat immer Glück gehabt, aber einmal im Leben muß der Mensch auch Pech haben“, flüsterte Philip. „Das ist ein Gesetz der Natur, oder? Ich meine, es ist noch gut, daß kein anderer getroffen worden ist, tödlich. Stell dir mal vor, Ben wäre tot.“

      „Ich mag nicht daran denken.“

      „Oder Dan.“

      „Hör auf“, sagte Hasard und schluckte einen imaginären Kloß hinunter, der ihm in der Kehle steckte. „Mach es nicht noch schlimmer. Aber der Kampf ist noch nicht zu Ende.“

      „Ja, die Spanier müssen noch besiegt werden“, sagte Philip. „Sie haben an allem schuld.“

      „Vor allem Don Antonio de Quintanilla.“

      „Wenn ich den jetzt vor mir hätte“, flüsterte Philip. „Weißt du, was ich mit ihm tun würde?“

      „Das gleiche wie ich.“ Hasard holte tief Luft. „Schluß jetzt mit dem Trübsalblasen. Das führt zu nichts. Gehen wir zu den anderen zurück.“

      Sie drehten sich um und gesellten sich wieder zu der Gruppe. Karl von Hutten erzählte gerade, wie sich der Angriff der Spanier auf die Insel abgespielt hatte. Sein Bericht wurde mit einigen Äußerungen der Zuhörer quittiert, und der alte O’Flynn sprach Arkana, Ramsgate, Pater David und ihm sogar ein dickes Lob für die erzielten Erfolge aus.

      Stunden später, am hellen Morgen dieses neuen Tages, sichteten die Ausgucks der Schlangen-Insel Mastspitzen an der westlichen Kimm. Für kurze Zeit bestand die Befürchtung, es könne sich um eine Nachhut der Spanier handeln, dann aber erkannten die Späher, daß es

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