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ihm blitzschnell die Ratte in den aufgerissenen Mund. Gordon Brown kriegte ihn nicht mehr zu, es sei denn, er biß die Ratte durch. Smoky drückte und stopfte mit dem Handballen. Gordon Brown würgte, seine Augen quollen aus den Höhlen, er lief rot an.

      Zuletzt hing nur noch der Rattenschwanz aus seinem Mund. Seine Wangen waren ausgestopft, als habe er dort Pfannkuchen gehamstert.

      Die Männer ließen ihn los. Smoky hievte ihn hoch und beförderte ihn mit einem Tritt in den Hintern aufs Mitteldeck hinaus. Dort krachte er auf die Planken, rappelte sich auf und stürzte zum Schanzkleid der Leeseite. Würgend erbrach er sich und schickte die Ratte zu den Fischen. Zehn Minuten später erbrach er sich immer noch, aber da spie er nur noch Galle. Auch nach fünfzehn Minuten hing er noch über dem Schanzkleid.

      Smoky erschien auf dem Vordeck und schleppte den Kessel mit der Kohlsuppe zu ihm hin. Er stemmte ihn hoch und stülpte ihn samt Inhalt über den Kopf von Gordon Brown.

      Als Smoky wieder im Vordeck verschwunden war, tobte Carberry den Niedergang vom Achterkastell hinunter und donnerte Gordon Brown zusammen, was das für eine verdammte Sauerei auf dem Deck und am Schanzkleid sei. Und dann mußte Gordon Brown mit Seewasser Deck und Schanzkleid schrubben, und damit hielt ihn der Profoß für drei Stunden erbarmungslos in Trab.

      Mac Pellew hatte den Profoß bereits vorher über die Geschichte mit der Ratte informiert, und Carberry hatte nur darauf gewartet, Gordon Brown in die Mangel zu nehmen, wobei er nach altem Brauch allerdings den Männern vom Vorkastell den Vortritt lassen mußte. Das war ungeschriebenes Gesetz. Solche Dinge mußten die Männer unter sich aushandeln.

      Aber mit der Ratte in der Kohlsuppe riß die Serie der unerklärlichen Zwischenfälle keineswegs ab.

      Am nächsten Tag frischte der Wind auf, wehte aber stetig aus Nordost. Sie hatten auch die Blinde, das Rahsegel unter dem Bugspriet gesetzt und rauschten mit brausender Fahrt vor dem Wind südwestwärts.

      Gegen zehn Uhr vormittags brach der Bugspriet mit einem peitschenartigen Knall. Der achterliche Wind fuhr unter die Blinde, hob sie samt Schoten, Geitauen und Brassen in die Luft, beutelte sie wie ein Bettlaken, das ausgeschüttelt wird. Sie flatterte hoch und stieß plötzlich wie ein abstürzender Drachen samt Rah, Vorstag, Bugspriet und einem Gemengsel von Tauen in die Bugsee, wurde vom Bug überrannt und auf der Backbordseite hochkommend wie ein riesiger Treibanker mitgeschleppt.

      Fast abrupt verlangsamte die „Marygold“ ihre Fahrt, lief aus dem Ruder, schwoite nach Backbord herum und hing buchstäblich an diesem Tohuwabohu von Hölzern, Segeltuch und diversen Tauen. Gleichzeitig – mit dem Herumschwenken – schlugen die Segel am Vormast, Großmast und Besanmast back, Fallen quarrten, Braßtaue und Schoten quietschten schrill, sämtliche Hölzer, ob Rahen oder Masten, stöhnten mißtönend und protestierten gegen die Vergewaltigung. Es war überhaupt ein Wunder, daß nichts von oben herunterkam.

      Hasard, Freiwächter und demzufolge pennend in einer Hängematte im Vordeck, schoß aus dem frei aufgehängten Schaukelbett heraus, durchs Schott des Vorkastells und auf die Back. Mit einem Blick sah er, was passiert war, brüllte nach einem Enterbeil, das ihm zwei Minuten später jemand in die Hand drückte, und hieb den Gordischen Knoten von Fallen, Brassen, Schoten und Geitauen mit wenigen, aber wüsten Schlägen durch.

      Die „Marygold“ atmete direkt auf. Das heißt, sie sackte, von dem erzwungenen Treibanker befreit, achteraus. Francis Drake, längst auf dem Deck des Achterkastells, peitschte mit seiner scharfen Stimme Segelkommandos über das Deck. Die „Marygold“, befreit von ihrem Ballast, drehte vor den Wind und zurück auf alten Kurs.

      Hasard starrte auf die Bruchstelle, dorthin, wo der Bugspriet weggeknackt war. Er starrte noch dorthin, als neben ihm der Kapitän auftauchte, sich bückte und die Bruchstelle mit den Fingern abtastete.

      „Verdammt“, sagte der Kapitän.

      Hasard versuchte, dieses „verdammt“ noch etwas härter auszudrücken. Er hätte gerne „verdammte Scheiße“ gesagt, aber er verkniff sich diese Bekräftigung.

      Der Kapitän deutete auf die Bruchstelle. Erbittert sagte er: „Da hat jemand mit einem scharfen Messer herumgesäbelt. Dieser Jemand hat eine Kerbe in das Holz geschnitten, und zwar ziemlich geschickt. Der Bugspriet mußte wegkrachen, sobald mehr Winddruck auf der Blinden stand als bisher.“ Er starrte in die eisblauen Augen des Seewolfs. „Möchte wissen, wer dieser Schweinehund ist – ein Mann außenbords, vier Wasserfässer leer, eine tote Ratte in der Kohlsuppe und jetzt dies hier.“

      Hasard nickte. „Das möchte ich auch wissen“, sagte er. „Aber vielleicht ist das gar nicht Jemand. Vielleicht sind da mehr Leute im Spiel. Darf ich Sie etwas fragen, Sir?“

      „Fragen Sie.“

      „Bei Patrick Evarts in der Segelkammer arbeitet der Taubstumme. Wie lange ist er schon an Bord?“

      Der Kapitän schüttelte den Kopf.

      „Seit knapp einem Jahr. Evarts sagte, dieser arme Mann sei besser als alle Gehilfen, die er jemals beschäftigt habe. Er bezog das nicht nur auf dessen Geschicklichkeit, sondern auch auf sein Wissen und seinen Fleiß. Der Taubstumme ist völlig integer.“

      Hasard blickte vielsagend auf die Schnittstelle.

      „Unser Jemand hat genau gewußt, wo er das Messer anzusetzen hat. Hier, genau knapp hinter den Zurrings, die den Bugspriet gegen die schräg von oben wirkenden Kräfte festhalten, hat er seine Kerbe angebracht. Und bitte“ – er beugte sich vor –, „die Zurrings sind ebenfalls angeschnitten worden.“ Er blickte den Kapitän an. „Wie ist denn der Taubstumme an Bord der „Marygold“ gekommen – auch über die „Bloody Mary“?“

      Der Kapitän stutzte. „Nein. Gordon Brown hat ihn angeschleppt. Der Taubstumme war halb verhungert und suchte eine Heuer.“

      „Gordon Brown, sagte Hasard gedehnt, „ausgerechnet Gordon Brown, diese Ratte. Als ich unten in der Vorpiek meinen Zwangsaufenthalt verbrachte, kreuzte er in der Nacht auf und bot mir eine Muck Trinkwasser an – gegen Bezahlung. Vorher hatte er wissen wollen, ob wir Killigrews von der Feste Arwenack Geld hätten. Ich ließ ihn abfahren.“

      „Und das haben Sie verschwiegen, als Sie ausgepeitscht wurden?“ fuhr ihn der Kapitän an.

      Hasard lächelte. „Wer bei mir Schulden hat, zahlt sie irgendwann zurück, Sir.“

      „Habe ich bei Ihnen Schulden?“ fragte der Kapitän prompt.

      „Nein – keiner hier an Bord, nur Gordon Brown. Und Sie können sich darauf verlassen, daß ich von jetzt ab – auch nachts – hören werde, ob die Flöhe husten. Und irgendwann werde ich Ihnen jemanden oder noch einen auf einem silbernen Tablett präsentieren.“

      Das Gesicht des Kapitäns blieb unbewegt.

      „Sagen Sie, Killigrew, warum haben Sie Arwenack verlassen?“

      „Weil ich zu Ihnen wollte, Sir. Außerdem hat sich der Alte zu einem biestigen Ekel entwickelt. Wäre ich noch länger auf Arwenack geblieben, hätte ich ihm irgendwann den Hals umgedreht.“

      „Ihrem Vater?“

      „Meinem Vater“, sagte Hasard hart. „Väter, die ihre Söhne derart schikanieren, wie er es getan hat, denen springt man eines Tages an die Gurgel.“

      Ein verhaltenes Lächeln glitt über die scharfgeschnittenen Züge des Kapitäns.

      „Da kann ich nicht mitreden, ich habe noch keine Söhne, die mir an die Gurgel springen könnten.“

      „Aber Sie waren einmal Sohn eines Vaters“, sagte Hasard schlagfertig. „Wollten Sie Ihrem Vater nie ...“

      „Du lieber Gott“, sagte Francis Drake, „mein Vater war ein protestantischer Pfarrer. Ich hätte nie gewagt, wider den Stachel zu löcken.“

      „Und eines Tages sind Sie auf und davon, nicht wahr?“

      „Ja“, sagte der Kapitän überrascht und räusperte sich. „Sie müssen wohl immer das letzte Wort haben, wie?“

      „Manchmal“,

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