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versonnen. Abrupt richtete er sich auf und fügte im Weggehen hinzu: „Das Gespräch bleibt unter uns, Killigrew.“

      „Aye, aye“, erwiderte der Seewolf.

      Ferris Tucker tauchte auf, musterte den abgebrochenen Stummel des Bugspriets, sagte ebenfalls „verdammt“, als er erkannte, was den Bruch des Bugspriets hervorgerufen hatte, und ging an die Arbeit. Am Nachmittag hatte er einen neuen Sprietteil angelascht und den Bugspriet wieder völlig aufgerichtet, so daß eine andere Blinde gesetzt werden konnte.

      Natürlich wußte jeder an Bord der „Marygold“ innerhalb kürzester Frist, daß der Bugspriet nicht von allein weggebrochen war, sondern jemand ihn angekerbt hatte. Und nun ging auf der „Marygold“ das Mißtrauen um und vergiftete die Atmosphäre. Die Männer wurden gereizt, belauerten sich gegenseitig und verdächtigten alles und jeden. Jene, die zum Aberglauben neigten – und das waren nicht wenige –, deuteten die Geschehnisse als ein Wirken magischer Teufelskräfte und verstiegen sich zu der Behauptung, an Bord gingen Wassermänner um und trieben ihr Unwesen.

      Was Hasard zu der Bemerkung veranlaßte, da seien ihm vollbusige Nixen schon lieber. Und ob die verehrten Gentlemen denn schon mal Wassermänner gesehen hätten?

      „Das ist es ja gerade“, sagte Mac Pellew mit der Miene eines Sargträgers, „sie sind unsichtbare Geister der Hölle.“

      „Quatsch“, sagte Hasard resolut, „zumindest bei der Sache mit der Ratte warst du der Meinung, Gordon Brown sei der Schuldige. Ist der nun ein Wassermann oder Gordon Brown?“

      „Beides.“

      „Aber sichtbar, wie?“ fragte Hasard ironisch. „Eben sagtest du, Wassermänner seien unsichtbare Geister der Hölle.“

      „Papperlapapp“, sagte der Koch wütend.

      Hasard grinste ihn an, und sehr freundlich sagte er: „Mac, hör auf, hier Unsinn zu verzapfen. Du machst die Männer nur noch kribbeliger, als sie es ohnehin schon sind. Es gibt keine Wassermänner. Ist das klar?“

      „Aber ...“ begann Mac Pellew.

      „Kein Aber“, unterbrach ihn Hasard scharf. „Wenn du weiter Unsinn faselst, muß ich annehmen, daß du darauf aus bist, den Unfrieden hier noch anzuheizen.“

      „Ich?“ sagte Mac Pellew empört.

      „Jawohl, du. Ende der Diskussion. Noch ein Wort über Wassermänner, und ich falte dich zusammen und stopf dich ins Feuerloch deines Kombüsenherdes.“

      „Aye, aye, Sir“, sagte Mac Pellew erschrocken.

      Während der Mitternachtswache war es Hasard, der merkte, daß wieder etwas passiert war. Er hatte dem Kapitän zwar gesagt, daß er das Flöhehusten hören werde, aber das war wohl doch etwas zu schwierig, wenn man am Ruder stand, Kurs zu steuern hatte und auf den Stand der Segel aufpassen mußte.

      Jedenfalls spürte er gegen zwei Uhr nachts, daß die „Marygold“ immer träger aufs Ruder reagierte. Zuerst registrierte er es mehr unbewußt. Dann plötzlich war da noch etwas: Die bisherigen Roll- und Stampfbewegungen der „Marygold“ veränderte sich. Sie brauchte eine beängstigend lange Zeit, sich aus der jeweiligen Krängungslage wieder aufzurichten.

      Die Erkenntnis durchzuckte Hasard wie ein Blitzstrahl.

      Wasser im Schiff!

      „Ferris!“ brüllte Hasard mit einer Stimme, die sämtliche Schläfer auf der „Marygold“ hochfahren ließ.

      Der riesige Schiffszimmermann war eine Viertelstunde später bei ihm.

      „Schnell, laß die Pumpen besetzen!“ stieß Hasard hervor. „Wir haben Wasser im Schiff. Und dann kontrolliere die Räume unter der Unterwasserlinie. Da muß irgendwo ein ganz verdammtes Leck sein.“

      Ferris Tucker verschwand wie ein Geist. Seine Stimme schallte über Deck. Plötzlich quietschte die Pumpe, die auf der Backbordseite in Höhe des Großmastes stand. Ein saugendes Geräusch ertönte, dann plätscherte Wasser aufs Deck und floß durch die Speigatten ab.

      Öllampen flammten auf und beleuchteten die Szenerie an Deck. Männer schrien durcheinander, die scharfe Stimme des Kapitäns fuhr dazwischen.

      „Geit Vorsmars- und Großmarssegel auf, weg mit der Blinden, beeilt euch, Männer, hurtig, hurtig!“

      Richtig, dachte Hasard, weg mit dem Segeltuch, das belastet jetzt nur.

      Zwei Männer, halbnackt, arbeiteten wie die Irren an der Pumpe. Der Pumpenschwengel, jeweils auf einer Seite bedient, ging auf und nieder. Und als die beiden Männer erlahmten, wurden sie von zwei anderen abgelöst, die mit frischen Kräften loslegten. Ein dicker Wasserstrahl schoß aus dem Pumpenrohr.

      Es wurde ein mörderischer Kampf gegen das steigende Wasser im Schiffsrumpf. Es stand bereits über der Bilgegräting. Ferris Tucker planschte und watete durch die unteren Decks auf der Suche nach dem Leck, peilte immer wieder den Wasserstand und stellte fest, daß das Wasser zwar immer noch stieg, aber nicht mehr derart rapide. Die Pumpe beförderte saugend und schmatzend Mengen von Wasser aus dem Rumpf, aber doch schien es irgendwie ein ewiger, nie endender Kreislauf zu sein – oben an Deck schoß der Wasserstrahl in die See und irgendwo zwischen Kiel und Wasserlinie drang das Wasser wieder ein.

      Der Kapitän ließ sämtliche Segel bergen, den Steuerbordbuganker mit achtzig Yards Trossenlänge auswerfen und legte auf diese Weise die „Marygold in den Wind. Sie benahm sich jetzt manierlicher, hing an Trosse und Anker und trieb langsam mit dem Wind südwestwärts.

      Alle Hände waren frei, um gegen das eindringende Wasser zu kämpfen. Durch die vordere Luke der Kuhl wurde eine Kette ins Unterdeck gebildet und das Wasser mit Pützen hochgemannt. Die Pützen wanderten von Hand zu Hand – die vollen außenbords, die leeren zurück in den Schiffsbauch.

      Sie kämpften Stunde um Stunde – je zwei Männer an der Pumpe, die anderen in der Kette.

      Ferris Tucker, ein besonnener, ruhiger Mann, suchte verzweifelt nach dem verdammten Leck, tauchte sogar in die stinkende Brühe und tastete Zoll für Zoll die Innenplanken ab.

      In den Morgenstunden erreichten sie einen Stillstand des steigenden Wassers und hielten ihn verbissen. Nur – und das war jedem klar – konnte das nicht bis in alle Ewigkeit weitergehen. Das Leck mußte gefunden werden, oder sie würden bis ans Ende ihres Lebens pumpen und Wasser hochmannen müssen, und das war eine Utopie.

      Philip Hasard Killigrew wurde gerade von Blacky an der Pumpe abgelöst, als die Sonne im Osten hinter der Kimm hochkroch und den Spiegel der leichtbewegten See rot überhauchte. Dann wechselte die Farbe in glühendes Gelb. Der neue Tag brach an.

      Hasard reckte die mächtigen Schultern, auch er war halbnackt, und blickte zum Achterkastell hoch in das eiserne, beherrschte Gesicht des Kapitäns.

      „Sir“, sagte er, „ich habe an der Küste von Cornwall viel getaucht. Wenn Ferris Tucker von innen das Leck nicht findet, sollten wir zumindest den Versuch unternehmen, die Außenbeplankung mal zu kontrollieren. Ich bin überzeugt, daß ich das Leck finde. Es von außen zu stopfen, ist außerdem bestimmt leichter und auch sinnvoller – wegen des Wasserdrucks.“ Er grinste. „Haben Sie etwas dagegen, daß ich ein Bad nehme?“

      Das Gesicht des Kapitäns blieb unbewegt, aber seine Augen lächelten. Und nur Hasard sah, daß der Kapitän wie befreit aufatmete.

      „In Ordnung“, sagte der Kapitän. „Aber ich möchte nicht, daß Sie allein ins Wasser steigen ...“

      Das Bürschchen schob sich neben Hasard, reckte den Kopf zum Kapitän hoch und sagte: „Ich begleite den Seewolf.“

      „Du?“ fragte der Kapitän, und jetzt lächelte er offen. „Kannst du denn schwimmen?“

      Noch bevor das Bürschchen frech werden konnte, sagte Hasard schnell: „Er ist ein O’Flynn, Sir.“

      „Und was besagt das?“

      „Sein Vater ist bei meinem Vater gefahren — oben in der

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