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Holzkreuz, das die meisten Schiffe Philipps II. von Spanien als Symbol der Christenheit über die Meere trugen. Daß es an den Gestaden der Neuen Welt dann keineswegs christlich zuging, merkten die Bewohner meistens erst, wenn es zu spät war und Feuer und Schwert unter ihnen gewütet hatten – ganz abgesehen von den Beutezügen in bester Raubrittermanier.

      Die Galeone war ein Einzelfahrer, da sie nicht im Geleit segelte, was an sich üblich war, um die Beute aus der Neuen Welt sicher über den Atlantik zu bringen.

      Das ließ drei Schlüsse zu. Entweder waren ihre Frachträume leer, oder sie war vom Geleit abgekommen, oder sie war so schwer bewaffnet, daß sie keinen Geleitschutz brauchte.

      Das erstere schien nicht zuzutreffen, denn sie lag ziemlich tief im Wasser. Hingegen waren allmählich deutlich ihre Stückpforten zu erkennen, und die reichten, um so manch braven Mann auf der „Marygold“ die Haare zu Berge stehen zu lassen.

      Das Bürschchen im Hauptmars indessen verkündete lauthals und völlig respektlos: „Auf der Backbordseite hat der Don nur dreißig Kanonen.“

      Er sagte „nur“ – was bei den Hartgesottenen wie dem Profoß und dem Riesen Ferris Tucker Heiterkeit hervorrief, während so mancher junge Kampfhahn doch erst mal den Kloß im Hals herunterschlucken mußte.

      Auf der „Marygold“ breitete sich Stille aus – die Ruhe vor dem Sturm. Nur halblaut gab der Kapitän seine Anweisungen an den Rudergänger.

      Da der Spanier hoch an den Wind gegangen war – er segelte jetzt fast nordöstlichen Kurs –, verringerte sich der Abstand zwischen den beiden Schiffen zusehends.

      Achthundert Yards Abstand!

      Auf der Galeone fielen die Stückpforten, und sie zeigte ihre Zähne – beachtliche Zähne ziemlichen Kalibers.

      Francis Drake reagierte prompt. Er ließ anbrassen und wich nach Steuerbord aus. Mitdrehen konnte der Spanier nicht – es sei denn, er wendete. Aber er segelte seinen Kurs weiter.

      Sofort fiel der Kapitän auf den alten Kurs zurück und zeigte dem Spanier die schmale Silhouette. Eine Breitseite konnte ihn nicht mehr kratzen. Der Spanier hatte die Gelegenheit zum Kernschuß verpaßt, denn jetzt begann Francis Drake langsam nach Backbord hochzudrehen und in einem Halbkreis das Kielwasser des Spaniers anzusteuern.

      Hasard grinste vor sich hin und reichte dem Stückmeister die Lunte.

      „Anzünden“, sagte er knapp.

      Er kniete seitlich von der Serpentine und peilte über das Geschützrohr.

      Zwei Kanonen im Heck der Galeone wummerten, spuckten Feuer und Pulverqualm, und zwei runde Brocken segelten heran. Ihre Flugbahn war deutlich zu erkennen. Fünfzig Yards vor dem Bug der „Marygold“ war die Luftreise der beiden Brocken zu Ende. Sie klatschten ins Wasser und zauberten zwei weiße Schaumkronen auf die Oberfläche.

      „Pff“, machte Hasard. „Die schießen wie alte Waschfrauen. Mal sehen, wie lange sie brauchen, bis sie ihre Stücke wieder klar zum nächsten Schuß haben.“

      Die „Marygold“ lag jetzt genau im Kielwasser der Galeone und jagte hinter ihr her. Ihr Bugspriet senkte sich sanft, stieg wieder hoch, senkte sich. Hasard beobachtete ihn, während er gleichzeitig weiterpeilte. Das war wichtig. Er durfte nicht zu hoch und nicht zu tief abkommen. Im Direktschuß – dem Kernschuß – mußte seine Visierlinie eine direkte Gerade zum Ziel bilden. Das Ziel lag, wie er gesagt hatte, etwa zwei Handbreiten über dem Ruderkopf. Der Ruderkopf war der oberste Abschluß des Ruderblatts. Seine waagerechte Verlängerung bildete der Pinnenbaum, der im Ruderhaus endete. Dort stand der spanische Rudergänger.

      Hasard konzentrierte sich voll und ganz auf das imaginäre Ziel, registrierte die Stampfbewegungen der „Marygold“, korrigierte die Seiten- und Höhenrichtung der Serpentine, die in der Gabellafette drehbar gelagert war, setzte sie dann fest und war bereit.

      Der Abstand zwischen der „Marygold“ und der Galeone schmolz zusammen. Unterarmiert war sie, die gute „Marygold“, aber sie war schnell, unheimlich schnell. Sie lag leicht nach Steuerbord über und nahm die See wie ein rassiges Rennpferd. Die Galeone vor ihr, dickbäuchig mit breitem Heck, walzte wie eine Kuh durchs Wasser – behäbig, satt, fast träge. Ihre Bestükkung allerdings war scharf, eine segelnde Festung mit schwerer, mittlerer und leichter Artillerie.

      Auf ihrem Achterkastell tauchten Gestalten auf, montierten an Gabelstützen, auf denen Handfeuerwaffen lagerten.

      Der Kapitän hatte vorgesorgt.

      Vom Vorkastell krachten Musketenschüsse. Die Scharfschützen des Kapitäns traten in Aktion.

      Zwei Spanier brachen neben ihren Gabelstützen zusammen. Ein dritter ruderte armschwenkend und taumelnd auf die Steuerbordseite, prallte gegen die Zierreling, knickte über ihr zusammen und kippte außenbords. Sein Kopf verschwand im Wasser, tauchte wieder auf, eine Welle packte ihn und schwemmte ihn achteraus. Als die „Marygold“ luvwärts an ihm vorbeisegelte, schien er bereits bewußtlos zu sein. Er trieb in der See, ohne sich zu bewegen – sie würde ihn zu sich nehmen, das war sicher.

      Die anderen Gestalten auf dem Achterkastell der spanischen Galeone waren nach den Musketenschüssen der „Marygold“ sehr schnell in Deckung gegangen. Kampfgeist hin, Kampfgeist her, sehr wild schienen die Dons nicht zu sein.

      Die Stimme des Kapitäns schallte über die Decks: „Gut das Vorkastell! Haltet sie unter Beschuß, damit der Seewolf Ruhe zum Zielen hat!“

      Der Seewolf!

      Hasard hatte es gehört und fragte sich, ob er diesen Namen, den er zum erstenmal vor der „Bloody Mary“ gehört hatte, nun akzeptieren oder verwünschen solle. Seewolf! Raubfisch im nördlichen Atlantik—kurzköpfig und mit einem wüsten Gebiß ausgestattet. Er blickte kurz zu Burnaby nach rechts, der eine rauchende Lunte in der Hand hielt.

      „Seh ich wie ein Seewolf aus?“ fuhr er ihn an.

      „Ja“, sagte Burnaby prompt.

      „Danke“, sagte Hasard erbittert und fügte ziemlich unlogisch hinzu: „Ich dachte, ich sähe wie ein Mensch aus.“

      „Ja – ja“, sagte Burnaby verwirrt, „wie ein Mensch natürlich auch …“

      „Ich bin ein Mensch und kein Fisch!“ fauchte ihn Hasard an.

      „Aye, aye, Sir“, sagte der Stückmeister, „Entschuldigung, Sir.“

      „Verrückt“, murmelte Hasard und peilte über das Geschützrohr.

      Die „Marygold“ holte auf. Etwa hundert Yards lagen noch zwischen ihr und der Galeone. Vom Vorkastell hinter Hasard krachten unaufhörlich Musketenschüsse und zwangen die Spanier in die Deckung.

      Hasard duckte sich lauernd zusammen und streckte die Hand nach rechts aus.

      „Her mit der Lunte!“

      Burnaby drückte sie ihm in die Hand.

      „Vorsicht, Sir, sie brennt!“

      Hasard erlaubte sich noch einen Blick auf den Stückmeister und schüttelte den Kopf.

      „Das soll sie doch, oder?“

      „Aye, aye, Sir.“

      Hasard seufzte, vergaß den Stückmeister, der ein Kind zu kriegen schien und in den Wehen lag, lehnte sich mit der rechten Schulter gegen das Bodenstück, peilte, wartete, wurde eins mit der Serpentine.

      „Heilige Mutter Maria“, flüsterte Burnaby.

      Hasard hörte es nicht.

      „Mannmann“ keuchte Smoky.

      Hasard hörte es nicht.

      „Himmel-Arsch!“ sagte Blacky.

      Hasard hörte es nicht. Zwei Handbreiten über dem Ruderkopf befand sich das Ziel. Der Ruderkopf sackte nach unten weg, erschien wieder, wanderte durch die Ziellinie nach oben, verharrte dort, sackte nach unten, verschwand.

      Hasard

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